
Erstkommunion – Kurzgeschichte von Jane Roberts
Erstkommunion
von Jane Roberts
Diese Geschichte ist aus dem Magazin Fantastic Universe vom März 1957
(übersetzt von Jonathan Dilas, 2013)
Ein Kritiker schrieb über diese Geschichte: „Jane Roberts, eine begabte neue Autorin, die mit dieser Geschichte „Erstkomminion“ ihren ersten Auftritt im Fantastic Universe hat, erzählt von den Kindern, die in der Nacht vor ihrer Erstkommunion alle denselben Traum träumten – und was an diesem Morgen geschah, an diesem seltsamen Morgen… Erwachsene sind wirklich seltsam. Du kannst ihnen weder deine Träume erzählen – noch deine besonderen geheimen Ängste…“
MARIETTA war froh, dass sie kein Junge war. Verwundert berührte sie die weißen Falten ihres Kommunionskleides und hatte sofort Mitleid mit Bobbie, der eine blaue Hose und ein weißes Hemd tragen musste.
Erstens waren Hosen nicht annähernd so hübsch, und die Jungen mussten sich alle gleich anziehen. Aber es gab unendlich viele weiße Kleider, und ihres war das schönste, das sie je gesehen hatte.
Es hatte auch einen Schleier, weiße Schuhe und ein goldenes Gebetbuch mit nagelneuen Heiligenbildern für die Messe.
Sehnsüchtig beäugte sie das Kommunionskleid. „Mutti, werde ich morgen tatsächlich Gott sehen?“
Mrs. Loomis lächelte und blickte kurz von ihrer Näharbeit auf. „Ich weiß nicht, ob du ihn wirklich sehen wirst, Marietta. Aber du wirst wissen, dass er da ist.“
Wie sollte sie es wissen, wenn sie ihn nicht sehen konnte?
„Schwester Claire sagte, wir würden ihn sehen, wenn unsere Herzen rein wären.“
Ihre Mutter seufzte: „Schon wieder Schwester Claire“, sagte sie. „Ich hoffe nur, dass sie dich nicht dazu bringt, zu viel zu erwarten. Geh jetzt nach draußen und vergiss die Sache für eine Weile.“
Marietta ging hinaus auf die Veranda und schmollte. Erwachsene waren schon komisch. Alle hatten ihr erzählt, wie wichtig die Erstkommunion war, und jetzt sagte Mutti, sie solle es vergessen. Aber ihr Bruder war schon auf der Treppe. Vorsichtig setzte sie sich neben ihn und übte. Denn morgen würde sie ein Kind Gottes sein, und sie musste immer gut und sanft und … und damenhaft sein.
Armer Bobby, dachte sie. Seine Sommersprossen waren immer noch da. Vielleicht war Franziskus gerade zu beschäftigt, um sich darum zu kümmern, aber es blieb nicht viel Zeit, und er betete, dass sie bis morgen verschwunden sein würden.
„Bobby?“ Aber er blickte nicht auf. „Was ist denn los?“, fragte sie.
„Nichts.“
Sie beäugte ihn kritisch. „Doch, ist es“, sagte sie.
„Ist es nicht.“ Er starrte geradeaus und wartete eine Minute. „Hast du letzte Nacht etwas geträumt?“, fragte er schließlich.
„Sicher.“
Er drehte sich um. „Von der Kommunion morgen und davon, dass du in den Himmel kommst?“
„Klar.“
„Und du hast keine Angst oder so?“
„Angst? Aber Bobby Loomis, natürlich nicht. Wovor sollte ich denn Angst haben?“
Bobbie runzelte die Stirn: „Ich habe nicht gesagt, dass es etwas gibt. Also habe ich nur gefragt. Also was?“
Aber Marietta sah ihn mit plötzlicher Verwunderung an: „Du hast ja Angst. Das merke ich! Bobby hat Angst, Bobby hat Angst!“, rief sie und tanzte auf der Treppe um ihn herum.
Aber er wurde nicht wütend oder so, also hörte sie auf.
„Keiner von uns hat Angst.“ Sie sah ihn verächtlich an. „Und du bist älter.“
„Ich bin nur zwei Jahre älter“, rief er. „Es ist nicht meine Schuld, dass ich bei der letzten Erstkommunion krank war.“
Marietta runzelte die Stirn.“ Du bist besser still“, mahnte sie. „Du sollst von jetzt an nett sein. Außerdem“, ihre Augen funkelten vor Stolz, „du wirst dort der größte Junge sein.“
Bobbie beäugte seine Schwester mit Abscheu:
„Du weißt eine Menge. Mädchen haben keine Ahnung. Wenn du mit einem Haufen sechsjähriger Babys zum Traualtar marschierst, werden die Jungs lachen.“
„Was kümmert dich das?“ verlangte Marietta. „Außerdem wirst du die Letzte in der Reihe sein. Die kleinsten Kinder gehen zuerst. Bis dahin weißt du, was du zu tun hast, und du wirst keine Angst mehr haben.“
Aber Bobby ignorierte sie. Er warf einen Stein über die Straße, schlenderte dann hinüber und untersuchte ihn mit methodischer Sorgfalt.
„Wann gehst du?“, fragte er, als er wieder auf der Veranda stand.
„Zuerst. Ich bin die Kleinste“, sagte sie bescheiden.
Aber sie war das süßeste Mädchen. Alle sagten das. Mit ihren langen blonden Locken und ihren großen Augen. Das sagten alle, einfach so.
„Du bist die Erste?“
Was schaute er denn so besorgt? Es war doch nichts Schlimmes. Jeder wollte der Erste sein.
Bobbie beugte sich vor und senkte seine Stimme:
„Ist jemand drinnen an der Tür?“, fragte er.
Marietta sah sich um. „Nein.“
Er legte seinen Arm um sie und flüsterte ihr ins Ohr:
„Hör zu“, sagte er, „irgendetwas ist komisch. Jemand hat letzte Nacht im Schlaf mit mir gesprochen. Direkt in meinem Zimmer. Heute Morgen habe ich mich erinnert. Jemand hat etwas von morgen geflüstert.“
War das alles?
„Das war Gott, der Dumme“, sagte sie. „Er spricht zu jedem vor der Erstkommunion. Schwester Claire hat es gesagt.“
Bobby warf ihr einen trotzigen Blick zu.
„Das war nicht Gott. Ich glaube sowieso nicht, dass er in der Kirche sein wird. Billys Cousine empfängt zur gleichen Zeit wie wir ihre Erstkommunion in Albany, und das ist dreißig Meilen entfernt. Wie soll er denn an beiden Orten gleichzeitig sein?“
Mann, war der dumm!
„Gott ist überall. Das sagt der Katechismus“, sang sie im Singsang vor sich hin. Aber der Gedanke erschreckte sie, und sie blickte mit plötzlicher Ehrfurcht auf den leeren Platz neben ihr.
„Bobby, Bobby, du glaubst doch nicht, dass Er dort ist und zuhört, oder?“
Einen Moment lang wurde Bobbys Gesicht weiß, dann packte er Marietta am Arm.
„Natürlich ist Er nicht da. Du siehst ihn nicht, oder? Komm mit nach draußen und spiel‘.“ Aber Marietta blickte nervös zurück, und Bobbie lenkte sie nach hinten.
„Du bleibst morgen bei mir, hörst du?“, sagte er, und Marietta seufzte mit übertriebener Geduld.
„Ok.“, sagte sie, „wenn du es willst.“
Am nächsten Morgen stand Schwester Januarius am Kopfende des Klassenzimmers.
„Nun“, sagte sie, „Schwester Claire ist krank und ich übernehme die Klasse. Wenn ich also Schwierigkeiten habe, mir eure Namen zu merken, korrigiert mich einfach. In Ordnung?“
Marietta warf Bobby einen bedeutungsvollen Blick zu. Nonnen sollten nicht lügen und sie wusste, dass Schwester Claire nicht krank war. Gestern Abend hatten sie und Bobbie gehört, wie Mutti mit den Nachbarn gesprochen hatte. Sie sagten, Schwester Claire sei überdreht. Da erinnerte sie sich genau, und wie Schwester Januarius sie beruhigen sollte.
„Sie haben ihn nicht einmal gehört. Niemand hat ihn gehört.“
Marietta schnappte nach Luft. Das war Bobby. Erschrocken drehte sie sich um. Bobby weinte, und die Schwester fegte den Gang hinunter.
Bobby sah zu ihr auf.
„Es war nicht Gott“, schluchzte er.
„Hast du auch geträumt?“
Die Schwester sprach sehr leise. Marietta musste ihre Ohren spitzen, um zu hören.
Bobby schluckte. „Ja, ich habe geträumt, aber es war nicht Gott. Er blickte die Schwester trotzig an. „Es war jemand Böses.“
Der Mund der Schwester machte ein rundes O.
„Wie kommst du darauf? Du kannst es mir sagen. Hier…“, sie beugte sich hinunter. „Flüstern“!
Alle im Raum waren still und lauschten und Marietta schlich näher heran.
Bobbys Augen waren groß und ängstlich.
„Er sagte, ich könne nicht mit den anderen gehen, ich sei zu alt für… für die Ausbildung. Und Gott würde das nicht sagen, oder?“
Ein paar der Mädchen hörten das und kicherten. Die Schwester drehte sich um und warf ihnen einen Blick zu, dann lächelte sie Bobby an.
„Das hast du nur geträumt, weil du dir Sorgen gemacht hast, weil du der älteste Junge bist.“ Sie richtete sich auf. „Aber es ist eine große Ehre, der Größte zu sein, und ich brauche dich, um mir mit den anderen zu helfen. So, fühlst du dich jetzt besser?“
Bobby sagte ganz leise „Ja“ und sah dann finster zu Marietta hinüber. Aber das war ihr egal. Sie war froh, dass es wirklich nicht Gott gewesen war, der gesagt hatte, er sei zu alt. Armer Bobby, dachte sie. Er fühlt sich schlecht, weil er noch Sommersprossen hat.
Die Schwester stellte sich an die Spitze der Klasse.
„Nun“, sagte sie, „ich bin wohl die Einzige, die überhaupt nicht geträumt hat.“
Die Schüler betrachteten sie mit stummem Mitgefühl, und Marietta hob die Hand.
„Vielleicht liegt das daran, dass du nicht zur Erstkommunion gehst.“
„Da hast du zweifellos recht, und jetzt kniet euch alle hin. Wir werden jetzt das Vaterunser beten und unsere Träume und Vorstellungen vergessen.“
Die Klasse kniete nieder.
„Also gut“, sagte die Schwester, als die Gebete beendet waren, „folgt mir alle in die Aula, denkt daran, leise. Kein Reden auf dem Gang! Sagt zu euch: „Mein Jesus, Gnade wilI tun. Einer nach dem anderen.“
Marietta ging langsam und beobachtete Mary Agnes‘ Absätze vor ihr.
„Mein Jesus, Gnade, mein Jesus…“, aber sie konnte sich einfach nicht auf das Gebet konzentrieren.
Sie wollten sich jetzt anziehen – und da wartete Mutti mit dem schönen Kleid über dem Arm.
Vorsichtig zog sie sich um, aber schon da verhedderte sich ihr Slip mit dem von Mary Agnes.
„Sei vorsichtig“, mahnte ihre Mutter.
Dann der Schleier. Oh. Sie drehte sich im Kreis und drehte sich. Ihr Rock ging weiter als der von allen anderen.
„Bitte, haltet die Kinder ruhig. Unten in der Kirche beginnt der Gottesdienst. Bitte, Mütter, beruhigt die Kinder.“
Es war die Stimme der Schwester, und Mariettas Mutter zwang sie, sich zu setzen.
„Bleibt hier“, befahl sie, „während ich nachsehe, wie es Bobbie geht.“
Aber jetzt rief die Schwester zum Handzeichen auf.
„Wie viele haben gestern Abend mit besonderer Sorgfalt gebetet?“, fragte sie, und die Hände aller zwanzig Kinder hoben sich aufgeregt in die Luft.
„Swester, Swester…“
Lächelnd gab Schwester Januarius ein Zeichen zur Ordnung.
„Meine Güte“, sagte sie, „so viele, die alle auf einmal sprechen wollen. Aber zuerst heißt es Schwester, langsam gesagt, nicht Swster, alles in einem Atemzug. Also gut“, sie schaute auf die Sitzordnung, „Betsy, die Erste.“
Das kleine Mädchen auf dem Vordersitz sprang neben ihrem Schreibtisch auf.
„Ich habe letzte Nacht von Gott geträumt“, begann sie atemlos, „er sagte, wenn ich wirklich gut bin, komme ich in den Himmel, wir fliegen weit über die Wolken und…“
„Das ist gut.“ Die Schwester unterbrach Betsy kurz: „Billy.“
„In einem großen Schiff“, sagte Billy und beendete damit Betsys Gedankengang, „und ich habe gefragt, ob ich ein Fahrrad zum Geburtstag bekomme, und Gott hat Ja gesagt.“
Marietta war ungeduldig. Sie hatte auch von Gott geträumt, aber bei der Geschwindigkeit, mit der alle redeten, würde sie nie die Gelegenheit dazu bekommen. „Ich habe Gott gesehen“, schrie sie, unterbrach Billy und brachte den Rest der Klasse in ein erschrockenes Schweigen.
„Das hast du nicht.“
Das war Mary Agnes, und Marietta ignorierte sie.
„Ich habe ihn auch gesehen“, rief sie triumphierend, „er hatte einen langen weißen Bart und war sehr groß.“
Die Schwester beäugte sie, und sie errötete.
„Na ja, das war nicht ganz richtig. Na ja, jedenfalls habe ich ihn auch gehört“, korrigierte sie sich.
Bobbie sah nicht so nett aus wie sie, aber er sah recht nett aus. Blinzelnd warf Marietta einen Blick auf sein Gebetbuch. Es war schwarz und nicht annähernd so schön wie das, das die Mädchen bekamen.
„Du siehst gut aus“, sagte sie, aber Bobbie zog sie neben sich herunter.
„Wenn du das tust, gehe ich jetzt nach Hause.“
Marietta starrte ihn erstaunt an.
„Du meinst, jetzt vor der Kommunion? Das ist doch albern.“, begann sie, aber die Schwester zerrte Bobby bis ans Ende der Schlange.
Alles war bereit. Sie hielt den Atem an und sah zu, wie alle hinter ihr ihre Plätze einnahmen. Vielleicht hatte sie Angst. Es waren furchtbar viele Leute in der Kirche. Teum deo…Die Musik setzte ein. Sie bekam das Stichwort von der Schwester und begann langsam, den Gang hinauf zu marschieren.
Würde Gott wirklich kommen, wie alle sagten? Wirklich? Und sie würden alle Kinder Gottes sein und in den Himmel kommen? Stirnrunzelnd erinnerte sie sich daran, dass die Schwester heute Morgen etwas darüber gesagt hatte, dass das… symbolisch sei… oder so. Jedenfalls, dass es nicht wirklich passiert sei.
Aber der Traum sagte, dass es passieren würde. Sie würden in einem großen Schiff in den Himmel kommen. Das war komisch – sie sollte am Altargeländer stehen bleiben, aber etwas sagte ihr, sie solle weitergehen. Gott wartete auf sie, aber draußen, weit weg von all den Menschen. Sie zögerte, dann schaute sie zurück. Es muss alles in Ordnung sein. Alle waren ihr gefolgt.
Die Schwester schrie, und Pater John versuchte, durch die Sakristeitür zu kommen, konnte es aber nicht. Bobbie versuchte es auch. Er sollte sich besser beeilen. Aber da war es! Das Schiff war riesig. Alle rannten. Sie hatten sich überhaupt nicht an die Regeln gehalten.
Sie sah sich um. Alle Kinder waren drinnen, und plötzlich schloss sich die Tür.
Wo war Bobby?
Aber sie hatte ein komisches Gefühl im Magen und Mary Agnes weinte. Und Billy auch. Sie rannte zum Fenster und schaute mit einem mulmigen Gefühl auf die Menschenmenge, die sich in der Kirche tummelte. Alles Erwachsene, außer Bobby, aber ohne Bobby und Mommie würde sie nirgendwo hingehen.
Sie rannte zur Tür, aber sie ließ sich nicht öffnen. Dann wieder zum Fenster, aber die Kirche war weg.
„Mutti“, rief sie verzweifelt, „Mutti, Mutti…“
Auch zu empfehlen:
Mehr über Seth
Jane Roberts Buch: “Gespräche mit Seth“
