Re: frau Holle

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Keine mythologische figur ist nur nett. Frau Holle ist die göttin, die gebiert und verschlingt, nur ein verkindlichter, ein wenig verkitschter aspekt von ihr. Isis, Astarte, Diana, Hekate, Demeter, Kali...... Innana :halloween:

lg morgane
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

Re: frau Holle

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Kapitel 3

"Erinnerst du dich an dein altes Märchenbuch? Am liebsten hast du die Geschichte von der Frau Holle gehört, die habe ich dir immer wieder vorlesen müssen. Dann hast du mich immer gefragt: "Mama, die Goldmarie, das bin ich, gelt?" Wir haben dich ja auch manchmal scherzhaft so genannt, weil du damals so goldblond warst. Später sind deine Haare dann dunkler geworden, so wie jetzt. Dann warst du aber auch eine Goldmarie, wegen deiner vielen Pokale." Helenes Stimme wurde brüchig vor Kummer, als sie eindringlich flehte: "Komm zurück, meine Goldmarie, ich bitte dich! Wir lieben dich auch ohne Siege, selbst wenn du behindert bleiben solltest!" Diese Vorstellung allerdings war sehr schwer zu ertragen, und Helene musste sich erst langsam herantasten an den Gedanken, von nun an vielleicht eine behinderte Tochter zu haben.

"Ich hätte nie gedacht, dass es dich wirklich gibt! Und dass du auch wirklich genau so aussiehst, wie im Märchen!" Und mit neuerlicher Verunsicherung in der Stimme, "oder ist das jetzt auch wieder so ein Trick...?" Das hier hatte einen doppelten Boden, das hatte Maria bereits vorher geahnt. Jetzt aber war es zur Gewissheit geworden. "Nun wollen wir doch einmal die Kinder hier fragen, was sie denken," schmunzelte Frau Holle und forderte gleich darauf die Kinder auf, dem neuen Mädchen zu sagen, wer sie sei. Als vielstimmige Antwort ertönte es aus unzähligen Kehlen:
"Du bist meine Mutter!" "Wieso sagen alle, dass du 'seine' Mutter bist, warum sagen sie nicht 'unsere' Mutter?" Frau Holle antwortete nicht gleich, sondern forderte Maria auf: "Ich merke schon, das wird ein ausführlicheres Gespräch. Wir wollen die Kinder einstweilen beschäftigen, warte!" Sie wandte sich an eines der Grösseren mit der Bitte, den Apfelbaum zu schütteln. Er war vorher noch nicht dagestanden, das wusste Maria mit Bestimmtheit. Seine Äpfel wären bereits reif, und sie sollten sie danach einsammeln, in einen grossen Korb, der auch ganz plötzlich unter dem Baum stand. "So,"erklärte sie zufrieden, "damit werden sie eine Weile zu tun haben." Und den Kindern rief sie freundlich nach: "Esst davon, bis euch der Bauch weh tut, es gibt genug für alle!"


"Weisst du noch, Kleines, wie du bei jedem rotbäckigen Apfel, den ich dir gab, wissen wolltest, ob er auch vom Apfelbaum der Frau Holle sei? Und wenn ich verneinte, dann hast du ihn eben nicht gegessen!" Helene musste lächeln, obwohl ihr das Herz schwer war. Es wurde jetzt langsam wieder Zeit, heimzugehen. Anna war zwar schon achzehn und stand knapp vor der Matura, aber sie brauchte auch noch ein wenig Aufmerksamkeit von ihrer Mutter. Ausserdem Gregor! Auch er bangte um Maria, musste aber in der Firma trotzdem seinen Mann stehen. Mit einer Weichheit, die sie lange nicht gefühlt hatte, dachte sie an ihren Mann. Ja, sie musste, wollte jetzt nach Hause, und sie würden in eine neue Gemeinsamkeit finden müssen, so oder so, nichts konnte bleiben, wie es war. Helene küsste Marias Gesicht zum Abschied, das klein geworden und blass auf dem Kissen lag. "Bis morgen, meine Kleine, schlaf gut und träum schön! Ohne es zu bemerken, verwendete sie die Worte, die sie früher immer beim Zubettgehen zu ihren Kindern gesagt hatte.

"So, jetzt wollen wir einmal Klartext reden," mit entschlossener Miene machte Frau Holle es sich im Gras am Ufer des Teiches bequem und forderte Maria auf, sich neben sie zu setzen. " Also, warum jedes Kind mich seine Mutter nennt, dürfte doch wohl klar sein. Nämlich, weil ich die Mutter eines Jeden bin, so einfach ist das. Du hast mich doch auch in der Gestalt deiner leiblichen Mutter erlebt, nicht wahr?" So war es gewesen, zumindest am Anfang. Später war Maria dann etwas unsicher geworden, und das Aussehen von Frau Holle hatte sich in der schon beschriebenen Weise verändert. Die alte Frau fuhr fort: "Es gibt auch einen Grund dafür, dass du dich in der Umwelt deiner frühen Kindheit wiedergefunden hast. Es ist der: du hast dir diese Szenerie selbst geschaffen, weil du dir oftmals unbewusst gewünscht hast, noch einmal dorthin zurückkehren zu können." Das ging aber denn doch zu weit! Maria hatte doch nichts gemacht, ihr war vielmehr etwas geschehen! Empört wollte sie das auch erwidern, doch Holle fiel ihr ins Wort: " Ich weiss schon, das klingt ganz unglaublich für dich. Aber, es ist so. Ein Teil von dir hat das gemacht. Du bist dir seiner meistens nicht bewusst. Aber, sag selbst: Hättest du dir eine andere Umwelt ausgesucht, für deine Ankunft hier, wenn du es vorher geplant hättest, ich meine, bewusst geplant?" Maria musste diese Frage verneinen. Ganz genau dort hätte sie sich wiederfinden wollen. "Na siehst du. Und wer anders als deine Mutter hätte dir alles das geben können, das du so sehr vermisst hast?" Wieder sagte Holle die Wahrheit. Ja, Maria spürte, auch wenn ihr das alles reichlich märchenhaft vorkam, so war es doch wahr.

Erinnert Ihr Euch der kurzen Abhandlung über die Wahrheit am Anfang unserer Geschichte? Natürlich tut Ihr das. Und sicher habt Ihr wie ich, auch schon erlebt, dass man es einfach weiss und sich seiner Sache sicher ist, wenn man auf eine der grundlegenden Wahrheiten stösst. Man kann niemanden davon überzeugen und es auch nicht beweisen. Nichtsdestotrotz weiss man mit unumstösslicher Gewissheit: das ist w a h r! So ging es auch der Heldin unserer Geschichte. Ihr fragt mich, warum ich das weiss? Eben, weil ich ein Märchenerzähler bin, und im Märchen geht es immer um Wahrheit, deswegen!


Später dann, die Zurückgebliebenen sassen beim Abendessen, keiner hatte viel Appetit, doch jeder zwang sich, ein paar Bissen hinunterzuwürgen. Die Stille zwischen ihnen war schwer von ungesprochenen Worten. Anna zog sich bald zurück. Helene küsste sie zärtlich, ohne zu fragen: "Hast du alles für morgen" und ähnliche sachliche Floskeln. Statt dessen sagte sie: Schlaf gut, Kleines, und sei nicht verzweifelt. Es wird alles gut werden, du wirst sehen, auf die eine oder andere Weise." Die warmen Worte lösten Annas zurückgehaltenen Schmerz, und sie weinte heftig in den Armen ihrer Mutter. Da brachen auch die Dämme in Gregors Innerstem. Er stöhnte gequält auf, um gleich darauf in ein trockenes Schluchzen auszubrechen. Gleich darauf umarmten ihn Helene und Anna, und so, einander haltend, fühlten sie trotz allen Schmerzes, wie ihre Zusammengehörigkeit sie wie ein festes Band umschloss. In dieser Nacht schliefen Gregor und Helene nach langer Zeit wieder so miteinander, wie es früher einmal oft gewesen war. Die Hingabe an den Anderen, die Herz und Geschlecht zu einer einzigen feurig - flüssigen Lava aus Verlangen zusammenschmolz, da war es wieder, trotz ihres schlechten Gewissens. Ihre Tochter lag im Koma, und sie hatte nichts Besseres zu tun, als sich mit ihrem Mann in den Laken zu wälzen wie eine.... ja was denn eigentlich? Wie eine Frau, die das Leben feierte, wo der Tod an die Pforte klopfte, das war's.
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

Re: frau Holle

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...tolle Story, morgane!

Besonders der Teil, in dem du das Absinken von Mariechen im Becken beschreibst, erinnert mich sehr an mein eigenes "Beinahe-Ertrunken"-Erlebnis von anno dazumal. Wie locker dir sowas zu Worten wird...

wow,

feuervogel

Re: frau Holle

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Kap. 4
Am nächsten Morgen, beim Frühstück, bot Anna sich an, den Nachmittag statt ihrer Mutter bei Maria zu verbringen. "Du musst dich auch ein wenig ausruhen, wer weiss, wie lange dieses Koma dauern wird," meinte sie "Das ist sehr lieb von dir, meine Grosse, später vielleicht, wenn es notwendig sein sollte." Sie strich ihrer Tochter zärtlich über die Wange. "Aber dies hier ist meine Angelegenheit, denn ich habe Maria dorthin geschickt, wo sie jetzt ist." "Aber Mutter, du konntest doch nicht wissen...!" "Still, Kind, es ist nun einmal so, ich weiss es." Den verwunderten Ausdruck in Annas Augen sah Helene nicht, denn sie war gerade dabei, sich eine Semmel mit Honig zu bestreichen. "Da, gönn' dir auch einmal eine, ich weiss doch, wie gerne du sie magst," forderte sie Anna auf. "Aber Mutter, mein Diätplan...!" Ihre verwunderte Miene wandelte sich in Unverständnis und Staunen. "Ja, ja, dein Diätplan, ich weiss schon! Mariechen musste auch immer auf ihr Lieblingsfrühstück verzichten und wozu? Jetzt liegt sie dort in ihrem blinkenden, sterilen Chromsarg und hat gar nichts davon!" Helenes Stimme war dabei immer lauter geworden. Die letzten Worte schrie sie mit wutverzerrtem Gesicht heraus, wobei sie mit der Faust auf den Tisch schlug, dass Geschirr und Besteck hüpften. In die Stille hinein, die darauf folgte, sagte sie, nun wieder mit ruhiger und gefasster Stimme: "Verzeiht, ihr Beiden, die Wut gilt nicht euch, nur mir, mir allein. Ich habe alles vermurkst, mein Leben und eures. Irgendwie ist es mir gelungen, das all die Jahre vor mir selbst geheimzuhalten. Das arme Mädel hat müssen fast sterben, oder vielleicht stirbt sie ja auch wirklich, wo liegt der Unterschied? Ich sehe keinen, ob sie jetzt dort aufgebahrt noch einige Jahre dahinvegetiert oder gleich stirbt...." "Nun geh' einmal nicht so hart mit dir ins Gericht," versuchte Gregor einzulenken, "schliesslich hast du es ja doch gut gemeint mit dem Sport und alldem!" "Ja, ja" Helene lachte bitter auf, "das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Dabei bin ich mir nicht einmal sicher, ob es das überhaupt war. Ich glaube, in Wirklichkeit habe ich das alles nur für mich getan, für mein Ego, das hab ich gefüttert und gemästet. Was aber für die Kinder wirklich gut gewesen wäre,... na, ja, es war mir wohl nicht so ein grosses Anliegen."

Gregor war irgendwie unangenehm berührt von der plötzlichen Selbsterkenntnis seiner Frau. Ihre Problematik berührte sich mit seiner, und das hiess, dass er sein Leben wohl oder übel auch überdenken würde müssen, jedenfalls war ihrer aller gewohnter Alltag aus dem Gleis, sehr aus dem Gleis. Nichts würde so bleiben wie es einmal war, das wusste und befürchtete er. Er war nun einmal einer jener Menschen, die, wenn sie sich einmal im im gewohnten Einerlei häuslich eingerichtet hatten, Veränderungen mieden, auch wenn diese neue Lebenschancen verheissen mochten.

Helene hatte Marias Haarbürste und ihre Gesichtscreme mitgebracht, auch einen Rest des Maiglöckchenparfüms, dass sie vor vielen Jahren immer benutzt hatte. Heute bevorzugte sie dezentere Düfte. Mariechen pflegte ihr Näschen dann immer in Helenes Halsgrube zu stecken und ganz intensiv an der Haut ihrer Mutter zu schnüffeln. Sie hatte den Geruch so sehr geliebt! Helene hatte einmal gelesen, dass der Geruchssinn die am tiefsten verankerte Empfindung des Menschen sei. Vielleicht geschah das Wunder, und der vertraute Duft würde ihre Tochter an ihrem Ort im Irgendwo erreichen. Sie hatte beschlossen, nichts unversucht zu lassen. Vorsichtig begann sie, das honigblonde Haar Marias zu bürsten, dabei sang sie ein Lied, dessen Text ihr schon fast entfallen war: "Aber heidschi, bumbeidschi, schlaf langa, dei Muata die is ja ausganga...." Früher einmal hatte sie dieses Lied jeden Abend für ihre Töchter singen müssen, wenn sie sie zu Bett brachte.

Frau Holle versammelte die Kinderschar um sich und inspizierte sie genau. "Komm her, Maria, siehst du, einige von ihnen sind sehr schmutzig. Wir müssen sie gründlich säubern!" Sie gab Maria eine weiche Bürste und einen Lappen, dann hiess sie das Mädchen, den Kindern beim Auskleiden behilflich zu sein, worauf sie alle in den Teich steigen liess. Unzählige, kleine Häufchen aus bunten Kinderkleidern blieben am Ufer zurück. Erst jetzt fiel Maria auf, dass hässliche, grauschwarze Flecken die kleinen Körper verunzierten. Sie gab sich alle Mühe mit ihrer Beseitigung, rieb und rieb, bis die Haut der Kinder so rot wurde wie die Äpfel, die sie gerade eben geerntet hatten. Frau Holle selbst liess es sich nicht nehmen, persönlich Hand anzulegen. Es war ein hartes Stück Arbeit, und trotzdem war einigen Flecken nicht beizukommen. So viel sie auch wuschen und rieben, mindestens ein Grauschimmer blieb immer noch an der Haut vieler Kinder zurück. Ein kleiner Junge fiel Maria ganz besonders auf. Er weigerte sich nämlich, sich auszuziehen und begann auch noch zu weinen, als Maria ihm dabei helfen wollte. Als sie versuchte, ihn in die Arme zu nehmen und zu trösten, verkrampfte sich sein kleiner, schmächtigenr Körper, als könne er die Berührung nicht ertragen. So versuchte sie, ihn mitsamt seinen Kleidern zu säubern, so gut es eben ging. Endlich war die Prozedur beendet. Frau Holle rieb die Haut der Kleinen liebevoll mit einer duftenden Lotion ein. Dabei sang sie sanft und zärtlich ein Lied, dessen Melodie Maria so seltsam bekannt vorkam. Sie konnte sich aber nicht mehr genau der die Worte entsinnen, es war irgend etwas mit 'heidschi und schlafen' oder so. Da war auch der Duft dieser Lotion, süss irgendwie und lang vertraut. Woher nur? Jedenfalls hatte sie das Gefühl, sich an irgend etwas erinnern zu sollen, sie kam und kam aber nicht dahinter, woran. Etwas, ein schattenhaftes Bild, eine Szene ihres Lebens, wartete im Halbdunkel ihrer Vergangenheit, ohne sich ihr zu erkennen zu geben. Als alles vorüber war, liefen die Kinder zu den netten, kleinen Häuschen, die plötzlich aus dem Nichts erschienen waren. Sie sollten sich nun ausruhen. Das war etwas, worauf Frau Holle äussersten Wert legte, dass ihre kleinen Gäste genug assen und ruhten. Wie in einem Sanatorium, dachte Maria.

"Das sind schon ganz arme Geschöpfe, sie brauchen sehr viel Zartgefühl, weisst du," liess sich Frau Holle vernehmen. Sie räusperte sich, als wisse sie nicht genau, wie sie mit dem, was sie zu sagen hatte, beginnen sollte. "Du bist ja noch sehr jung,.... nun ja, es wird dir sicher nicht verborgen geblieben sein,... wie soll ich es sagen,.... nun, dass in der Welt der Menschen nicht alles so ist, wie es sein soll. Kinder bekommen oft nicht die Zuwendung, die sie brauchen. Manche von ihnen aber kriegen eine besondere Art von Zuwendung, eine, die sie am allerwenigsten brauchen können.... .Also, was soll die Herumrederei..... du bist ja auch kein kleines Kind mehr." Maria dämmerte es langsam. Sie las Zeitung und sah auch fern. Sie lebte ja schliesslich nicht hinter dem Mond. "Meinst du, das alles sind missbrauchte Kinder?" fragte sie entsetzt, "so viele!" Erleichtert seufzte Frau Holle: "Ja, du hast schnell begriffen, Gott sei Dank! Es war mir nämlich ein bisschen peinlich. Trotzdem muss ich es etwas genauer eingrenzen: dies hier waren nur die sexuell missbrauchten Kinder. Es gibt auch noch genug anderen Missbrauch, z.B. Kinder, die zum Soldatsein, Töten und Kämpfen gezwungen werden. Man tötet ihr Gemüt zuerst, indem man sie demütigt, sexuell missbraucht oder bei Folterungen zusehen lässt. Später werden sie selbst dazu gezwungen, die ärgsten Greueltaten an Nahestehenden zu begehen. Daraus führt dann in diesem Leben kein Weg mehr für sie zurück. Immer mehr solcher armer Seelenkrüppel steigen in letzter Zeit bei mir an Land. Dann gibt es die kleinen, dienstbaren Mädchen, Asiatinnen meist. Sie werden von ihren bettelarmen Familien in die grossen Städte verkauft, um dort reichen Touristen ihre Männlichkeit zu bestätigen, damit diese, zurückgekehrt in ihren eigenen armseligen Alltag, vor den anderen männlichen Zombies damit prahlen können. Dann wären da noch die Strassenkinder, überall in den grossen Stadtwüsten zu finden, Abfall und Ausschuss vom ersten Atemzug an, den sie der schmutzigen Luft um sie herum abringen. Damit aber noch nicht genug. Da sind noch die Kinder, die zu Sklavenarbeit gezwungen und ausgebeutet werden, und die Kinder, deren Lebensraum durch ständige Kämpfe, Bürger-und sonstige Kriege verwüstet sind. Die meisten von ihnen kommen zu mir, weil sie ganz einfach verhungern, oder durch den ständigen Hunger so geschwächt sind, dass sie jeder Krankheit erliegen. Ich sage dir, da gibt es Greuel in allen Abstufungen. Ich kann dir gar nicht alles aufzählen. Man glaubt es ja gar nicht, was Kindern alles angetan wird, bei euch da oben! Zuletzt sind da noch die Kinder, die den Lebenstraum ihrer Eltern erfüllen müssen, so wie du. Erschrocken wandte Marie sich der alten Frau zu. "Du meinst also, dass ich auch missbraucht worden bin?" "Ja," antwortete diese, "in gewisser Weise schon, wenn du auch nicht so tief verwundet worden bist, wie diese Kleinen." Sie deutete in Richtung der Kinder, die Maria gerade gewaschen hatte. "Sind sie alle an ihrem Missbrauch gestorben, weil sie hierher zu dir gekommen sind?" "Manche schon, das sind die grausamsten und unappetitlichsten Fälle, darüber kann nicht einmal ich in angemessener Weise sprechen. Manche aber haben ihre Verletzung ihr Leben lang mitgeschleppt und sich niemandem anvertrauen können. Sie sind nach ihrem Tod hierher gekommen, um ihr Kindheits - Ich in meineHände zu legen. In einigen ist auch nur ein Teil ihrer selbst gestorben, ein ganz wichtiger Teil, der nämlich, der fühlt und liebt und auch Liebe empfangen kann. Sie haben ihn zu mir gesandt, während sie da 'oben'," sie deutete mit einer unbestimmten Geste in die Luft, "recht und schlecht weiter existieren, so wie du übrigens auch." "Ich bin gar nicht richtig tot, meinst du das? Von mir soll auch nur ein Teil hier sein? Wieso habe ich dann einen Körper, kann fühlen, hören und das alles?" "Das ist eben so, das wirst du irgendwann verstehen. Aber höre, das ist nämlich ganz wichtig, und du musst dir das gut merken!

Diese Kinder nun, sie schämen sich und fühlen sich beschmutzt und schuldig. Nicht genug damit, dass ihnen diese Abscheulichkeiten angetan worden sind, nein, die armen Geschöpfe glauben auch noch, selbst irgend eine Art Schuld daran zu tragen! Stell dir nur diesen schreienden Wahnsinn vor! Deshalb auch die ganze Waschprozedur. In Wirklichkeit kann der Leib, mit dem sie sich hier aufhalten, natürlich niemals beschmutzt werden. Aber die Gedanken formen die Wirklichkeit, immer und in jedem Fall, deshalb die schmutzigen Flecken auf den kleinen, armen Körpern." Eindringlich sah Frau Holle Maria in die Augen, wie, um sich zu versichern, dass diese auch alles genau verstanden hatte. "Ich glaube, ich verstehe", sagte Maria versonnen, "wir helfen damit ihrer Vorstellung von sich selbst ein wenig auf die Beine, nicht wahr?" "Kluges Mädchen!" Der zufriedene Ton in Holles Stimme war nicht zu überhören.

Die Zeit verging. Es ist mir bewusst, dass ich damit einen Begriff verwende, der dort keine Bedeutung hat, oder jedenfalls eine andere als hier, aber, sosehr ich auch in meinem Wortschatz krame, ich finde keinen anderen. Also, 'die Zeit verging' ist ein Synonym für: Maria hatte das Gefühl, schon unendlich lange in Frau Holles Reich zu sein. Seltsam war hier auch, dass es keinerlei Jahreszeiten zu geben schien. Auch die Sonne war niemals zu sehen gewesen, obwohl ein helles, warmes Licht die ewig sommerliche Landschaft erhellte. Die Tage Marias waren erfüllt von der Pflege der vielen Kinder, und täglich kamen neue. Sie stiegen aus dem kleinen Teich an Land und wurden meistens von 'ihrer' Mutter empfangen. Viele aber gingen später anderswo hin, an einen neuen Ort der Andersweltgeographie, der ihnen nunmehr besser entsprach, wenn sich das Loch in ihrer Brust geschlossen hatte und die dunklen Flecken ihrer Seele endlich abgewaschen waren. Ihre Gestalt veränderte sich dann zu dem, was sie im Reich der Mütter geworden waren, zum Erwachsenen. Das waren die Einen. Die Anderen entschlossen sich, es wieder mit dem irdischen Leben zu versuchen. Frau Holle hatte ihre Aufgabe gut an ihnen erfüllt und leistete ihnen nun Starthilfe, indem sie sie in den Teich hineinführte, aus dem sie sie einmal, verletzt und bedürftig, geholt hatte. Manche brauchten freilich einen kleinen Schubs. Das waren die Zaghafteren. Aber alle wussten, am anderen Ende würde wieder eine Mutter sie empfangen, vielleicht nicht so perfekt wie die, aus deren Reich sie gerade kamen, aber mit den besten Vorsätzen. Die Kinder, die gerade hier waren, spielten gerne eines ihrer Lieblingsspiele. Es hiess Schnee Machen und ging so: immer zwei und zwei fassten eine der grossen und dicken Tuchenten, von denen Frau Holle anscheinend unzählige besass und schüttelten sie, dass die Federn nur so flogen. Leider durfte man dieses Spiel nur spielen, wenn auf der Erde Winter zu sein hatte. Wenn man Kinder kennt, weiss man, dass es geradezu als ein Zeichen von seelischer Gesundheit angesehen werden kann, dass sie die Vorschriften der Erwachsenen manchmal umgehen. Daher schmunzelte Frau Holle nur gütig, wenn sie bemerkte, dass die Betten auch zwischendurch manchmal ein wenig geschüttelt wurden und ein paar unvorschriftsmässige Federn flogen. Also bitte, wundert Euch nicht zu sehr über zeitweise Wetterkapriolen! Ihr könnt Euch dann damit trösten, dass wieder ein paar von den kleinen Schützlingen Frau Holles ihrer Gesundung entgegengehen.

Im Garten, gleich beim Häuschen Frau Holles, stand ein grosser, gemauerter Backofen. Es gehörte zu Marias täglichen Pflichten, ihn tüchtig zu heizen und die Brote, die Holle jeden Tag aufs Neue bereitete, einzuschieben. Es war nicht leicht und bedurfte schon einigen Geschickes, die Laibe auch wieder im richtigen Augenblick herauszuholen. Denn wenn sie verbrannten und ungeniessbar wurden, dann gab es an diesem Tag kein Brot für Frau Holles kleine Gäste. Was das für diejenigen unter ihnen hiess, die in ihrem kurzen Leben so viel Hunger hatten leiden müssen, kann sich jeder an fünf Fingern abzählen! War das Brot aber gut gelungen, dann nährte es, wie keine andere Speise sonst, Leib und Seele gleichermassen. Ihr könnt mir also glauben, Maria hatte alle Hände voll zu tun, und sie war wirklich todmüde, wenn sie am Ende des Tages in ihr weiches Bett sank. Dennoch, diese Müdigkeit war süss und befriedigend, denn sie rührte daher, dass das Mädchen seine Arbeit aus Liebe und Fürsorge für andere tat.

Trotzdem, manchmal überkam sie immer drängender das Gefühl, sich an irgend etwas erinnern zu müssen, so wie damals, beim Säubern der Kinder. Da war dieser Liedfetzen, er wollte ihr nicht aus dem Kopf gehen. Manchmal ertappte sie sich dabei, wie sie, ohne sich dessen bewusst zu sein, immer wieder Dasselbe vor sich hinsang. Manchmal traf sie ein nachdenklich forschender Blick Frau Holles. "Einen Fünfer für ihre Gedanken", dachte Maria dann manchmal. Auch, wenn sie, wie jeden Tag, der Alten beim Reinigen der Kinder half, wenn sie die kleinen Körper mit der Lotion salbte, glaubte sie immer wieder, deren Duft von irgendwoher zu kennen. Immer dringlicher wurde das Gefühl: jetzt gleich, nur ein wenig fehlte noch, dann müsste ihr das Geheimnis offenbar werden! Sie musste Frau Holle fragen, vielleicht wusste sie, was das zu bedeuten hatte. Doch diese, darauf angesprochen, war ihr auch keine Hilfe. Sie hüllte sich in geheimnisvolles Schweigen und sagte höchstens: "Diese Aufgabe musst du alleine lösen, " oder "diesen Weg musst du selbst finden." "Sehr aufschlussreich, danke," pflegte Maria dann spitz zu erwidern. Das brachte sie auch nicht weiter.
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Re: frau Holle

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Kap.5
Helene wirkte von Tag zu Tag mehr erschöpft. Gregor und Anna hätten sie gerne mehr unterstützt. Sie versuchten beide, Helene davon zu überzeugen, sich öfter einmal von ihnen am Krankenbett ablösen zu lassen. Immerhin lag Maria schon wochenlang im Koma. Helenes Reserven waren fast erschöpft, und wer weiss, wie lange diese Situation noch dauern würde! Jedoch, die Mutter wies alle diesbezüglichen Angebote zurück. Es war und blieb ihre alleinige Aufgabe, sie hatte eine Schuld abzutragen, wie sie meinte. Mit der selben, verbissenen Hartnäckigkeit, mit welcher sie zuvor die Karriere ihrer Töchter gefördert hatte, sass sie nun Tag für Tag am Bett Marias und liess nichts unversucht, ihr Kind zurückzuholen aus dem Schattenreich des Todes. So war sie selbst im Begriff, zum Schatten zu werden, ohne es wahrzunehmen. Eine tödliche, winterliche Starre breitete sich über das kleine Reich der Familie aus. Wo zuerst alles nach Tauwetter der Gefühle ausgesehen hatte, drohte nun ein eisiger Hauch das neue Blühen zu ersticken. Alle Bemühungen waren fruchtlos geblieben, wie es schien, konnte Helene ihre Tochter nicht erreichen. Zuletzt erinnerte sie sich noch des kleinen, krähenden Dinges aus Marias Kinderzeit, des Hahnenweckers. Vielleicht hätte sie damit Erfolg. Wenn nicht, dann konnte es wohl nicht schaden, ein Weiteres zu versuchen.

Als Helene ins Krankenzimmer trat, in dem immer noch eine zarte Nuance des Maiglöckchenparfums die medizinischen Gerüche überlagerte, meinte sie, noch einen anderen Duft wahrzunehmen, so irgendwie säuerlich-süss, wie nach frischen Äpfeln. Und noch etwas Anderes,....... frisch gebackenes Brot!..... Konnte das möglich sein? Gleich darauf kam sie zur Überzeugung, dass sie wohl so übermüdet sein müsse, dass sogar ihr Geruchssinn ihr dumme Streiche spielte. Nichtsdestotrotz war der Duft immer noch da. "Schwester, was riecht denn da so, irgendwie nach Äpfeln und Brot, merken Sie das auch?" fragte sie die eben eingetretene Pflegerin. Ein mitfühlender Blick der Schwester war die Antwort. Die arme Haut, das alles hatte sie wohl schon sehr mitgenommen!

Gegen Mittag dann, als etwas Ruhe im Krankenhausablauf eingekehrt war und nur mehr das Piepsen der Monitore die Stille des Raumes in gleichmässige Stücke aus Zeit zerhackte, nickte Helene am Bett ihres Kindes ein. Die Anspannung der letzten Tage forderte ihren Tribut. Zuletzt war ein friedliches Gefühl des Einverstandenseins über sie gekommen. Sie erkannte mit einem Mal, dass sie nichts mehr tun, nichts mehr beeinflussen und lenken konnte. Es würde geschehen, was immer geschehen musste. Sie, die ihr Leben und das ihrer Lieben gefördert und gemanagt hatte, so lange sie sich erinnern konnte, gab sich hin an eine Macht, deren Wege ihr nicht einsehbar waren. Das erste Mal seit vielen Tagen umhüllte sie die weiche und samtene Ruhe eines erholsamen Schlafes.

Der Geruch nach Äpfeln und Brot wurde stärker. Helene versuchte die Augen zu öffnen, um die Quelle des Geruches zu ergründen, doch ihre Augenlider waren schwer wie Blei. Sie hatte die Empfindung, wunderbar warm und weich dahinzutreiben, gewiegt von einem lebendigen Ozean, während eine sanfte Frauenstimme ein Lied aus fernen Tagen sang. Ihr war so wohl, wie in den Armen ihrer Mutter, einst vor Ewigkeiten. Hier wollte sie bleiben und ausruhen von ihrer Mühsal, ihrem Wollen und Streben. Hier war es gut sein.

Nachdem Maria ihre täglichen Pflichten erfüllt hatte, ging sie gerne noch am Teich spazieren. Seerosen wuchsen hier, und Binsen säumten das flache Ufer. Wieder sang sie das Lied, von dem ihr nicht einfallen wollte, woher sie es kannte. Fast wäre sie über etwas gestolpert, etwas, was nicht hier sein sollte, ein Mensch, ein erwachsener Mensch, eine Frau! Ihr Körper war offenbar von dem leichten Wellengang ans Ufer gespült worden und lag halb im Wasser. Sie hatte die Augen geschlossen und schien zu schlafen. Maria erkannte das Gesicht. "Maaammaaa!" Ihr Schrei hallte durch Frau Holles Reich wie der Ton einer riesigen Glocke und liess seine Bewohner erstaunt aufhorchen. "Wie konnte ich nur so lange vergessen, wohin ich gehöre!"

Mit einem Schlag war alles wieder da, ihr Leben da 'oben', zog an ihrem inneren Auge vorbei wie ein Film in Zeitraffertempo. Sie wusste jetzt, woher die rätselhaften Erinnerungsfetzen stammten, das Lied, der Geruch! Aber wie sah ihre Mutter denn nur aus! Ihr Gesicht war so sehr von Kummer und Gram gezeichnet, wie Maria es nie zuvor an ihr wahrgenommen hatte! Oh, arme Mama! Was tat sie denn nur hier? Kein Mensch war je in seiner erwachsenen Gestalt an diese Gestade geraten! Hatte sie sogar hier nach ihr gesucht? Da schlug Helene die Augen auf und sah direkt........ in die Augen ihres Kindes. Ja, es war Mariechen! Nur anders, mit einem Ausdruck von Wissen, Verstehen und noch etwas........Verzeihen und Erbarmen. Dieser Blick aus den Augen ihrer Tochter löschte in einem Moment alles aus, die Schuld, das Bedauern, erlöste sie mit seiner Wärme aus Müdigkeit und Starre. Er sprach mit unhörbarer Stimme direkt zu ihrem Herzen: "Sieh her, ich lebe, denn der Tod ist nur ein Traum, und du sollst auch wieder leben!" Helene schloss erneut die Augen und gab sich hin an den Frieden, der sie jetzt erfüllte wie ein lebendiger Fluss. Er trug sie zurück in ihre Welt, die Welt der Lebenden.

Frau Holle wusste schon, als sie Maria kommen sah, dass das Mädchen ihr Lebewohl sagen würde. Dieses Lebewohl sprach aus ihren Augen, ihren Gebärden, ihren Bewegungen, und es war gut und richtig so. "Ich sehe," sprach sie, "du hast deinen Entschluss getroffen. Nun hat deine Mutter dich endlich doch gefunden, nachdem sie so lange nach dir gesucht hat!" Sprachlos vor Erstaunen sah Maria der Alten ins Gesicht. Dann aber fiel es ihr mit einem Mal wie Schuppen von den Augen. Natürlich, so war es, warum hatte sie das nicht gleich erkannt!" "Nun, mein Kind, jetzt verstehst du, nicht wahr? Alles hier, der Teich, die Äpfel, das Brot im Backofen, das Lied und das Parfum; ja sogar mein Aussehen, waren Botschaften, die deine Mutter an dich ausgesandt hat. An diesem zarten, doch starken Faden hat sie dich festgehalten wie an einer Angelschnur, damit du ihr nicht vollends entgleitest in die Anderwelt, um hier, im Reich der Mütter zu bleiben. Und als das alles nicht genützt hat, kam sie sogar selber hierher, um dich zu holen, die tapfere Frau. Ich meine, sie verdient, nein, ihr alle verdient eine zweite Chance. Du, mein Kind, wirst sie ihr und deiner Familie bringen, willst du?" Maria konnte nur nicken, so überwältigt war sie von der Welle aus Zuneigung für ihre Familie, die sie plötzlich überflutete. "Ich habe noch eine Bitte an dich, Maria, sie ist sehr wichtig." Frau Holles Stimme war eindringlich und sehr ernst: " Die Menschen müssen endlich begreifen, dass dies hier keine Reparaturwerkstätte für Seelen ist. Immer schicken sie mir hier herunter, was sie in ihrer schrecklichen Borniertheit und Dummheit angerichtet haben. Sie sind wie Kinder, die ein Spielzeug kaputt machen und es der Mutter geben, dass sie es wieder heil macht. Ihr Menschen könnt aber doch nicht immer Kinder bleiben! Werdet endlich erwachsen und schaut über eure Nasenspitze hinaus! Erkennt doch endlich, dass nur Güte, Liebe und Erbarmen eure Welt am Leben erhalten. Übernehmt endlich die Verantwortung für euch selbst! Wirst du den Menschen da oben das ausrichten, Maria? Es wird aber nicht leicht für dich werden, das sage ich dir gleich. Du hast ein hartes Stück Arbeit vor dir! Aber du sollst nicht ohne Hilfe bleiben. Zum Abschied sollst du von mir eine Gabe erhalten. Bediene dich ihrer mit Herz und Klugheit, dann wird sie dir und allen Anderen zum Guten gereichen." Frau Holle führte Maria zum Ufer des Teiches. Dort umarmte sie das Mädchen noch einmal. Dann bückte sie sich und legte ihre Hand zuerst auf Marias Füsse mit den Worten: "Wo immer du auch hingehst," auf ihr Herz: "was immer du auch fühlst," auf den Mund: ".....und sprichst," auf die Stirn: "......... denkst," die Hände: "....und tust, tu' es in meinem Namen, mit meiner Liebe und meiner Kraft. Sei gesegnet, Goldmarie!" Maria sah sich in lebendig pulsierendes, goldenes Licht getaucht, das auch ihr Inneres erfüllte. Dann nahm Frau Holle sie an der Hand und geleitete sie hinein in den Teich, immer tiefer, bis das Wasser über ihrem Kopf zusammenschlug.

Im selben Augenblick hörte Maria ein lautes, blechernes "Kickerikiiiiiii" und wieder "Kickerikiiiiii" und noch ein letztes Mal"Kickerikiiiii". Nanu, es war wohl Zeit, aufzustehen! Als sie die Augen aufschlug, fand sie sich nicht zurecht. Wo war sie denn jetzt schon wieder! Ihre Mutter war im Sitzen eingeschlafen und lag vornübergebeugt auf dem Bett. Sonst war niemand im Raum. Der Wecker hatte auch ihre Mutter aus dem Schlaf geschreckt. Ihr erster Blick fiel in die weit geöffneten Augen ihrer Tochter, aber ihr Blick schien aus weiter Ferne zurückzukehren. Endlich begriff sie: "Mariechen, meine Goldmarie, sie ist wieder da!" Das Krankenzimmer füllte sich auf diesen Schrei hin mit Personal. Schwestern, Ärzte und Pfleger eilten herbei, Geschäftigkeit brach aus. Das alles berührte Helene nicht. Es lief an ihr ab wie Regen an einer Scheibe. Ihr Kind war zurückgekehrt aus dem Land, von dem die Mutter einen kurzen, flüchtigen Eindruck erhaschen hatte können. Er hatte genügt, um zu ermessen, was ihrer Tochter geschehen war. Es gab zwischen ihnen nichts zu fragen, nichts zu erzählen, beide wussten, was sie wussten.


NACHWORT

Suchtet Ihr heute nach den Eltern Marias, fändet Ihr sie immer noch in dem kleinen Häuschen am Stadtrand. Es fiele Euch sofort auf, ohne dass Ihr lange danach zu suchen brauchtet. Der kleine Garten ist nämlich jetzt etwas weniger gepflegt, hier und da darf sich schon einmal ein wenig sogenanntes Unkraut hervorwagen, und der Rasen ist ein bisschen weniger akkurat geschnitten. Sie nehmen es jetzt damit nicht mehr so ganz genau. Ganz allgemein gesagt, gibt es heute bei ihnen von fast allem ein bisschen weniger: weniger Leistung, weniger Karriere, weniger Stress, aber dafür viel mehr Lebensfreude.

Gregor hat die dünne Luft am obersten Ende der Karriereleiter nicht zu schnuppern bekommen, weil...siehe oben. Helene hat eine Selbsthilfe-Gruppe für Angehörige komatöser Patienten gegründet und findet darin Befriedigung, anderen in ihrer Situation zu helfen. Die brave Anna hat Sportmedizin studiert und arbeitet an einer Spezialklinik. Inzwischen hat sie ihre Eltern zu glücklichen Grosseltern gemacht. Unsere Goldmarie, ja, einige Zeit brauchte sie schon zur Rehabilitation, so ein Gehirnschlag ist ja kein Schnupfen. Dann aber.... Sie holte alles auf, und nach ihrer Matura studierte sie Medizin. Sie wurde Kinderärztin und ist jetzt gerade dabei, eine Ausbildung in Psychotherapie zu machen. Denn ihr eigentliches Gebiet, dem sie sich mit allen Gaben widmet, die Frau Holle ihr geschenkt hat, ist die Seele, sind die Seelen der unschuldigen Kinder, die so wie sie selbst auch, eine zweite Chance im Leben bekommen sollen.

Ja, und damit meine Geschichte auch ein richtiges Märchen wird, endet sie so, wie alle Märchen enden: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

Re: frau Holle

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sehr gut möglich, das du schonmal ein nahtoderlebnis hattest und das nur vergessen hast, oder es ist die kommunikation zu einem anderen fokus.

gute ute, brat die pute...häh^^
Sei du selbst,
steh zu dir,
die Wahrheit wird gelebt
und nicht doziert

"Böhse Onkelz"

Re: frau Holle

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Hi FF!
Ich kann mich an kein nahtoderlebnis erinnern. Keine meiner geschichten ist autobiographisch, alles reine erfindung :-P

lg morgane
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).