Re: sumari - rabenclan - geschichten

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Stimmen

Das Wetter ist freundlich dieser Tage, und das ist zur Zeit nichts Alltägliches. Nach einem großteils verregneten und kühlen Sommer scheinen die ersten Herbsttage nun doch ein wenig Milde und Wärme zu bringen. V. lächelt zum wolkenlosen Himmel empor und lässt sich die wärmenden Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen. Auch, wenn sie sich auf dem Weg zur Arbeit befindet und eigentlich in Eile ist, so macht doch an einem solchen Tag auch die Arbeit mehr Freude als im ewig, eintönigen Grau der letzten Zeit.
Im Funkhaus ist alles Routine, die Nachrichtensendung anmoderieren, dann eine kurze Unterbrechung für die Kennung, danach die aktuellen Meldungen, erst global, dann regional, alles wie immer. Aber dann doch nicht. Der Techniker hinter der Scheibe scheint Probleme zu haben. Er winkt V. nervös zu und schiebt hektisch an den Reglern. Was soll sie tun? Es ist eine live – Sendung. Die kann nicht einfach so unterbrochen werden. V. versucht, sich ruhig und gelassen, weiter auf den Text zu konzentrieren, alles Andere ist ja schließlich nicht ihr Problem und fällt in die Kompetenz der Technik. Endlich Schluss. Aufatmend ordnet v. ihre Textunterlagen und verlässt, als das Lichtsignal es erlaubt, die Sprecherkabine.

Draußen scheint das Chaos ausgebrochen. Toningenieur und die gesamte andere Crew blickt ihr entgeistert entgegen.

„Was ist los, habt ihr einen Geist gesehen? Und was war das für ein hektisches Gefuchtle vorhin? Ich konnte doch überhaupt nichts machen außer weiter lesen. Oder sollte ich einfach die Nachrichten unterbrechen?“

Doch V. erhält keine Auskunft. Statt dessen prasseln vorwurfsvolle Fragen auf sie nieder:

„Sag mal, bist du übergeschnappt? Was redest du denn für verworrenes Zeug daher? Hast du schlechten Stoff erwischt oder was? Wir konnten nur mehr die Sendung unterbrechen und technisches Gebrechen vorschieben. Aber trotzdem ist noch einiges von deinem unsinnigen Gebrabbel durch gekommen. Keine Ahnung, was die Leute glauben werden, aber es ist eine Katastrophe! Trinkst du neuerdings?“

V. versteht überhaupt nichts mehr. Was ist denn hier nur los? Spinnen die alle? „Könnte mir, bitte, jemand sagen, wovon ihr sprecht?“, fragt sie fassungslos.

„Wovon wir sprechen? W o v o n wir sprechen? Wovon bitte, hast du gesprochen, das ist hier die Frage!“ Das Gesicht des Toningenieurs läuft rot an, was V. bisher noch niemals an ihm, der ihr als ruhiger und ausgeglichener Mensch bekannt war, gesehen hat.

V. versteht überhaupt nichts mehr: „Wovon soll ich denn gesprochen haben? Ich habe meinen Text gelesen, wie immer. Oder soll ich jetzt auf einmal Shakespeare zitieren oder was?“ Sie legt ihre Textblätter auf den Regietisch. „Hier, seht doch selbst, nur Nachrichten, was sonst?“

Nun spielt man ihr das Band mit den Aufzeichnungen noch einmal vor. Alles völlig normal…. Plötzlich….. ein Rabenschrei! Noch einmal und noch ein Dritter. Dann wieder Vs. Professionelle Nachrichtenstimme. V. erblasst. Das kann doch nicht sein! Keine Raben im Studio, nirgendwo! Keinerlei Tiere außer dem fetten, alten Kater des Portiers. Aber das war nur der Anfang. Klar und deutlich hört man nun eine Stimme, Vs. Stimme und doch nicht ganz die Ihre:

„Die Raben sammeln sich über der Stadt. Die Zeit ist nah. Das Sternentor ist errichtet. Wir warten.“

Version 2 Stimmen
Das gleichmäßige Dahin gleiten auf der fast leeren Autobahn ließ E. ein wenig schläfrig werden. Sie hatte sich schon überlegt, die Nacht in einem Hotel zu verbringen und erst am nächsten Morgen die Heimfahrt anzutreten. Dann aber hatte sie wenig Lust verspürt, in einem fremden Hotelbett zu schlafen und beschlossen, trotz ihrer Müdigkeit doch noch die etwa zweistündige Fahrt nach Hause auf sich zu nehmen, in ihr gemütliches Heim, zu ihrer geliebten Katze. Sie war eben ein sehr häuslicher Mensch. Ohnehin hatte sie sich nur mit Mühe dazu aufgerafft, zu diesem Medium zu reisen, dieser Frau, die angeblich mit den Toten verkehren konnte. Zu viele Vorbehalte gegen Scharlatanerie, gegen Täuschung und Irreführung hatten sie bisher von solchen Unternehmungen abgehalten. Nun aber war sie froh, diesem Impuls nachgegeben und die Frau aufgesucht zu haben.

Das Gefühl, mit ihrem verstorbenen Mann zu sprechen, ihm nahe zu sein, seine persönlichen Eigenheiten wieder zu erleben, war deutlich und echt. Genau so echt, wie die Enttäuschung und das neuerlich aufflammende Gefühl des Verlustes. Was hatte sie eigentlich erwartet? Dass er sich nach ihr sehnte, verzehrte, über die Tatsache seines Todes hinaus? Aber tat sie selbst das denn eigentlich? Wollte sie wirklich, dass er zu ihr zurück kam, in das aufkeimende, erstmals eigene, ihr allein gehörende Leben? E. musste sich selbst eingestehen, dass das nicht so ganz der Fall war, und darüber war sie doch einigermaßen erstaunt. Aber es war doch schön gewesen, noch einmal mit dem Gefährten langer Ehejahre zu kommunizieren. Es ging ihm gut, und er nahm, trotz eigener Herausforderungen, Anteil an ihrem Befinden, und das tat gut. Und nun war sie müde, müde der aufwühlenden und widersprüchlichen Gefühle. Deshalb wollte sie heim, nichts als heim, heim zu sich selbst.

Um der Müdigkeit ein Schnippchen zu schlagen, drehte sie das Radio an. Es gab gerade Nachrichten. Natürlich, immer die gleichen Katastrophen, Aufstände, Kursabstürze, Finanzmiseren – eigentlich nicht das, worauf E. jetzt gerade Lust hatte. Aber danach sollte es das Beethoven Violinkonzert in D – Dur geben, ihr Lieblingsstück. Da lohnte es nicht, einen anderen Sender zu suchen. Gerade eben war Syrien das Thema, die Aufstände, die Panzer, die in die Menge schossen, ohne Ansehen der Person, Frauen, Kinder und Verwundete gleichermaßen nieder mähend und die Stimme der Radiosprecherin, deutlich erkennbar um den Ton echten Mitgefühls bemüht:

„….die Staatengemeinschaft verurteilt aufs schärfste das Vorgehen Assads…… und…. crah…..überlegt Sanktionen….. crah… crah…..“

Ärgerlich drehte E. an der Sendereinstellung. Gerade jetzt, wo gleich ihr Lieblingskonzert gespielt werden sollte, gab es diese lästigen atmosphärischen Störungen! Aber schon ertönte die Stimme der Nachrichtensprecherin wieder deutlich und ohne Störung:

„…..massive Verhaftungswellen in Homs…. Kuwait zieht Botschafter ab….. das Sternentor ist errichtet, die Raben sammeln sich über der Stadt.“

„Was zum Teufel…?“ Es. Schläfrigkeit war mit einem Mal wie weg geblasen. Welches Sternentor, welche Raben? Die Nachrichtenstimme hatte jetzt einen Ton kühler Professionalität angenommen. Es ging um die Börsenkurse:

„Nach der Rückstufung der amerikanischen Wirtschaft von der Bestnote AAA+ auf…. die Zeit ist gekommen….. wir warten in der Rabenstadt. Wir warten….“

E. fuhr auf den nächsten Parkplatz und stellte den Motor ab. Es kam ja häufig vor, dass Menschen durch Sekundenschlaf verunglückten, und offensichtlich war ihr dieses Phänomen eben gerade zugestoßen. Sie stieg aus dem Wagen, dehnte und streckte sich und machte ein paar Schritte, um wieder ganz wach zu werden. In diesem Augenblick wurde sie des Raben gewahr, der sich auf der Motorhaube ihres Autos nieder gelassen hatte und sie mit schief gelegtem Kopf anstarrte.

Zur gleichen Zeit legte G. ihr eben gelesenes Buch auf den Nachttisch und knipste die Nachttischlampe aus. Nach solchen Besuchen war sie immer todmüde. Obwohl es ihr Freude machte, ihre Familie bei sich zu haben und sie zu bekochen, war sie doch immer auch erleichtert, wenn die gewohnte Ruhe wieder eingekehrt war. Nachdem sie sich noch kurz die, mittlerweile zur Gewohnheit gewordenen, Suggestionen, sich an die Träume zu erinnern, gegeben hatte, driftete sie bereits weg aus der Alltagswelt, und nachdem sie sich einmal herum gedreht hatte, war sie bereits tief und fest eingeschlafen. Deshalb hörte sie nicht gleich das Läuten an ihrer Türe. So etwas baut man ja gerne in seine Träume ein. Noch im Traum schaltet man seinen geträumten Wecker aus, um gleichzeitig ruhig und fest weiter zu schlafen. Oder man träumt, aufzustehen, sich anzukleiden und zur Arbeit zu gehen, ohne wirklich dort anzukommen.
G. öffnete im Traum die Türe, um festzustellen, dass niemand davor stand. Es läutete wieder. Nun ging die träumende G. zum Telefon. Aber auch da war keiner in der Leitung. Beim nächsten Läuten war sie wach, nein, eigentlich nicht richtig wach, sondern in dem Zustand, in dem sie das Läuten als Signal erkannte. „Seltsam“, sagte sie zu sich selbst, „um diese Zeit bekomme ich doch für gewöhnlich keine Durchsagen!“ Trotzdem drückte sie mit dem Zeh die Aufnahmetaste. Darin hatte sie bereits einige Übung, sogar im Halbschlaf. Gleich danach schlief sie wieder ein. Es war schon hell im Zimmer, als sie, zur gewohnten Zeit am Morgen, erwachte. Erst später, beim Frühstück erinnerte sich G. daran, dass sie in der Nacht die Aufnahmetaste gedrückt hatte und drückte die Wiedergabetaste, um sich das anzuhören, was möglicherweise oder auch nicht auf der Kassette zu hören war. „Um Himmels Willen!“ rief sie, völlig überrascht aus, als sie das ungewöhnliche Störgeräusch als…… Rabengekrächze identifizierte! Dann folgte ihre gewohnte Stimme:

„Wir, wir ,wir, hier sind wir in dir, die Echsenwesen – Gaukler – Raben – Bande. Wir haben eine Botschaft für dich von deinem Freund Ibucock. Er braucht deine, eure Hilfe. Er wartet auf dich in der Sumaristadt. Das Sternentor, das Sternentor. Es muss aktiviert werden. Heute werden wir dir keine anderen Dinge erzählen. Für heute verabschieden wir uns von dir.“

.Als G. den Recorder ausschaltete, war da immer noch ein Geräusch, ein gleichmäßiges, irritierendes Klopfen, und es kam von Fenster her. Ein Rabe saß auf dem Fensterbrett und klopfte mit dem Schnabel an die Scheibe. G. öffnete das Fenster, aber der Rabe flog nicht weg. Er sah sie mit schief gelegtem Kopf unverwandt an.

Die alte Eiche war eine imposante Baumgestalt. Ausladend überspannten ihre Wetter erprobten Äste einen gehörigen Radius auf der Wiese am Berghang. V. liebte Eichen. In dieser jedenfalls schien ein ziemlich exzentrischer, alter Baumgeist zu wohnen, der seinem Wohnort ein unverwechselbar, individuelles Aussehen verlieh, sperrig, kraftvoll und trotz seines Alters voller Vitalität. Und er erkannte V. schon an ihrem Energiefeld, bevor sie noch die Wiese betreten hatte. Seine Äste winkten freudig, und seine Blätter wedelten ihr ein huldvolles Willkommen zu, wie es würdigen Herrschergestalten wie ihm angemessen war.

V. lehnte sich an den umfangreichen Stamm und sprach eine herzliche Begrüßung in die mächtige Krone hinauf. Der Kontakt mit diesem Baum verlieh ihr jedes Mal aufs Neue eine besondere, innere Ruhe. Seine Wurzeln wurden zu ihren eigenen, reichten tief hinab in die Erde, während ihr eigener Pulsschlag sich mit dem Pulsieren der Säfte in seinem Stamm vermengte und der gemeinsame Atem des Lebens sie beide mit dem Atem der Erde verband.

Nach einer Weile löste sich V. vom stamm der Eiche und kramte aus einer Umhängetasche einige Utensilien heraus: eine, in Stanniol verpackte Rolle mit Räucherkohle, ein kleines Schraubdeckelglas mit getrockneten Kräutern und Harzen, ein Feuerzeug. Der Rabe, der bewegungslos auf einem der untersten Äste saß, beobachtete das Tun der Frau mit schief gelegtem Kopf. Nur das Glitzern seiner Augen verriet, dass er überhaupt am Leben war. Doch als der erste, wohlriechende Rauchfaden zu ihm aufstieg, kam Leben in seine Gestalt. Er flatterte aufgeregt mit den Flügeln, wobei er immer wieder und insistierend seine Rabenbotschaft der Frau unter ihm überbrachte, die fragend zu ihm aufsah. Dann aber schien sie zu verstehen.
„In die Stadt? Das Sternentor? Ist es das, was du meinst?“ fragte sie zögernd und unsicher. Zur Antwort ließ der Rabe für V. eine seiner blauschwarzen Schwungfedern fallen. Diese steckte sich die Feder ins Haar und machte sich auf den Heimweg. Und wieder saß der Rabe mit schief gelegtem Kopf auf dem Ast der Eiche.

„Ach verdammt, schon wieder fast Mittag!“ Jeden Tag das Selbe, immer versickert die Zeit irgendwo zwischen Putzen, Küche, Garten und – ja zugegeben, auch dem Sitzen am Computer. Keine Disziplin, viel zu wenig Einteilung, immer im Widerstreit zwischen Wollen und Sollen. Dabei ist sie doch schon in Rente, was zwingt sie eigentlich noch immer unter die eiserne Knute der so genannten Pflicht? Woher kommt diese drückende Faust in ihrem Nacken, dieses ständige Flüstern in ihrem Inneren: „Du sollst, du müsstest eigentlich, tu lieber dies statt das?“ M. vermutet die Quelle all dessen in ihrer Kindheit. Aber eigentlich ist es doch völlig egal, wo und wann der Same gelegt wurde, wichtig wäre, der giftigen Pflanze keine Nahrung mehr zu geben, so, dass sie schließlich verkümmern und einer Neuen, Gesunden, Platz machen würde. Jeden Tag aufs Neue nimmt M. sich das vor, und jeden Tag aufs Neue scheitert sie wieder.

„Nun ist aber Schluss mit diesem Unsinn!“, schreit sie laut und zornig heraus, so, dass ihr Mann erschrocken in die Küche kommt, um nachzusehen, was denn los sei. „Ach, mach dir keine Sorgen. Ich habe mich nur gerade eben wieder über mich geärgert. Denn eigentlich mag ich überhaupt nicht jeden Tag kochen. Es ist mir lästig. Nein, eigentlich ist es nicht das Kochen an sich, nur dieses Gefühl des Müssens, verstehst du?“

Seine Antwort: „Ja, aber, du musst doch gar nicht. Sag es einfach, dann mache ich mir selbst etwas.“

Das ist zwar lieb von ihm, es ist aber nicht das eigentliche Problem. Sie fühlt sich einfach schrecklich unbehaglich, wenn sie ihre *Pflicht* nicht erfüllt und kann die so gewonnene Freiheit nicht wirklich genießen. Darum geht es. Und nun kommt dieser Einfall, diese plötzliche Idee, die jetzt und sofort umgesetzt werden muss, um nicht wieder im Strudel des Vergessens zu verschwinden. M. will dem Impuls, sich jetzt sofort an den Computer zu setzen, um zu schreiben, Widerstand leisten, denn immerhin brutzelt gerade *sein* Lieblingsessen in der Pfanne, Wiener Schnitzel. Das kann sie nicht sich selbst überlassen. Die Idee muss einfach warten! Denn immerhin ist ihr Schreiben ja nur ein Hobby, und Hobbies kommen eben nach den Pflichten, punktum.

Das Schnitzel brutzelt, die Idee kitzelt, M. zappelt und wird immer nervöser. Verdammt noch mal, jetzt muss GÜ ran, ihr Mann. Das Essen ist ohnehin fertig, er muss ausnahmsweise alleine essen. Sie muss jetzt schreiben. Was eigentlich? Schon wieder vergessen, zu lange gewartet? Da sitzt dieser Rabe, mit schief gelegtem Kopf, draußen auf dem Zaunpfahl, zwischen den Büschen der Hecke. M. schaut ihm geradewegs in die glänzenden, klugen Augen, als sie vom Bildschirm aufblickt, um nachzudenken. Seltsam! Und sein Blick scheint etwas sagen zu wollen, eine Botschaft, die sie aber nicht versteht. Einfach beginnen, irgend etwas schreiben, vielleicht kann sie dort wieder anknüpfen, wo der Faden gerissen ist. Und M. beginnt:

Stimmen
Das gleichmäßige Dahin gleiten auf der fast leeren Autobahn ließ E. ein wenig schläfrig werden. Sie hatte sich schon überlegt, die Nacht in einem Hotel zu verbringen und erst am nächsten Morgen die Heimfahrt anzutreten. Dann aber hatte sie wenig Lust verspürt, in einem fremden Hotelbett zu schlafen und beschlossen, trotz ihrer Müdigkeit doch noch die etwa zweistündige Fahrt nach Hause auf sich zu nehmen…………………………………………………………………………………………………
„In die Stadt? Das Sternentor? Ist es das, was du meinst?“ fragte sie zögernd und unsicher. Zur Antwort ließ der Rabe für V. eine seiner blauschwarzen Schwungfedern fallen. Diese steckte sich die Feder ins Haar und machte sich auf den Heimweg. Und wieder saß der Rabe mit schief gelegtem Kopf auf dem Ast der Eiche.

Als M. das Kapitel beendet, dämmert es bereits. Die Gestalt des Raben, der sich allem Anschein nach, die ganze Zeit nicht bewegt hat, wird bereits undeutlich im Blauschwarz des hereinbrechenden Abends. „Ist ja gut“, sagt sie in die Dämmerung hinein, „ich habe schon verstanden, das Sternentor, es wartet. Ich komme. Zumindest werde ich es versuchen. Der Rabe, so, als hätte er auf die Antwort gewartet, fliegt auf und verschwindet in der Dunkelheit.
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

Re: sumari - rabenclan - geschichten

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Stadtführer
Wanderer, kommst du nach…… nein, nicht Sparta, sondern in die Stadt der Raben, die Sumaristadt, dann brauchst du, wie jeder Reisende, einen Stadtplan, einen Reiseführer, eine Anleitung, wie diese Stadt funktioniert. Denn jede Stadt hat ihre zugrunde liegende Idee, eine innere Blaupause, nach der sich ihr Wachstum richtet, eine erkennbare Grundstruktur, entlang der sich ihre Gebäude und Einrichtungen orientieren.

Die Stadt der Raben ist eine ideale Stadt. Sie ist entstanden und entsteht immer noch aus den Träumen und Vorstellungen von vier Frauen, deren individuelle Wünsche nicht verschiedener sein könnten, deren zentrale Zielrichtung sich aber um einen gemeinsamen Kristallisationskeim aufbaut. Was das ist? Nicht weniger als die Metamorphose ihres Bewusstseins und das Erkennen ihres wahren Wesens. Wem das zu abgehoben erscheint, der wird sich wahrscheinlich in dieser Stadt nicht heimisch fühlen, für den sind andere Städte erbaut, von anderen Geistern ersonnen. Ähnliches zieht Ähnliches an, und deshalb wird sich wahrscheinlich nach und nach
Ein buntes Völkchen von *Weltenwanderern und Nebelgängern, von Schattentänzern und Nachtwindsängern* (Zitat: *Fahrendes Volk* von *Singvögel*) einfinden. Für diese ist diese Beschreibung gedacht.

Wenn du von Westen her, über das Meer des Vergessens, mit dem Nachen des Charon, im kleinen Hafen der Stadt, ankommst, hast du wahrscheinlich den Fährlohn bereits bezahlt. Er wird dich also keinesfalls wieder zurück bringen, egal, woher du immer kommen magst. Mach dich also getrost auf den Weg in die Stadt. Du brauchst nur dem Fluss, der hier ins Meer mündet, ein kleines Stück aufwärts zu folgen, entlang der Straße mit der Allee. Die kannst du gar nicht verfehlen. Sie führt direkt zum eigentlichen Eingangstor der Stadt, dem viel besungenen Sternentor. Ja, ich weiß, es gibt Geschichten darüber, sogar Filme wie zum Beispiel *Stargate*. In einigen Sagen steht jemand unwissentlich in einem *Hexenring* aus Pilzen und verschwindet aus seiner Welt. Auch das ist eine Art Sternentor, nur aus einer etwas anderen Sicht der Welt.

Du trittst also durch dieses Tor ein. Wenn zuvor die Silhouette der Stadt ein wenig nebelhaft, unwirklich für dich gewesen sein mag, nun ist sie klar und völlig real. Ja, genau, das ist eine der zahlreichen Funktionen des Sternentores, es ist ein Eingang zu Wirklichkeiten. Du folgst der Chaussee bis zur ersten Brücke über den äußeren Ringkanal. Dann kommst du auf einen runden Platz mit einer Art Amphitheater, in dessen Mitte ein dreieckiger Obelisk steht. Das ist die Säule des Erinnerns. Jede ihrer drei Seiten steht für eine Richtung der Zeit. Berühre sie, und du erinnerst dich an dein eben *vergangenes* Leben, an Leben, die noch in der *Zukunft* liegen, oder an Gegenwärtiges, das aus deinem Blickfokus abgerückt ist. Die Kugel an der Spitze der Säule aber soll dir sagen, dass alle Zeit gleich – zeitig ist.

Vielleicht hat dein vergangenes Leben Schmerzhaft oder traumatisch geendet. Du brauchst dann Heilung und Erholung. Wende dich der Pyramide im Zentrum der Stadt zu. Du musst noch zwei Brücken über zwei weitere Ringkanäle überqueren, dann stehst du vor der Großen Pyramide. Der Antigravitationslift bringt dich direkt auf die oberste Plattform, wo du den Alabastersarkophag sehen wirst. Du darfst dich ohne Weiteres hinein legen, in das warme, lebendige Wasser. Es gibt hier immer Personal, das deine Heilung unterstützen wird. Solltest du nach der Heilbehandlung noch Bedürfnis nach Rekonvaleszenz haben, dann begib dich auf das grüne Stockwerk, es ist das fünfte. Dort findest du das komfortable Sanatorium der verwundeten Seelen. Die Aufenthaltsdauer dort ist unbeschränkt. Irgendwann wirst du aber das Bedürfnis verspüren, die Stadt und ihre Möglichkeiten weiter zu erkunden. Dann kannst du die Bibliothek aufsuchen, die Konzerträume, das Theater und nicht zuletzt die Agora, die Halle der Weisheit. Hier stehen dir alle berühmten Weisheitslehrer zu Verfügung. Du kannst Kurse bei Seth belegen oder bei Elias oder auch P’tah, oder, je nach Prägung und vorherrschendem Interesse auch bei Jesus, Buddha, Laotse und vielen Anderen. Sie alle werden dich über dein wahres Wesen und deine Bestimmung im unendlichen Meer des Bewusstseins aufklären.

Solltest du, trotz deiner astralen Gestalt, immer noch das Äquivalent von Hunger verspüren – auch dafür ist gesorgt. Im ersten Stockwerk der Pyramide, dem roten, betreibt eine von uns ein exzellentes Restaurant, das ich ohne Vorbehalt empfehlen kann.

An der Ostseite der Pyramide findest du ein Labyrinth aus kräuterbewachsenen Steinmäuerchen. Du kannst hier, in deinem eigenen Tempo, den Weg nach innen gehen, der natürlich der Weg in dein eigenes Inneres ist, aber das weißt du sicher selbst. Genieße das Summen der Bienen, den würzigen Duft der Kräuter und die Bilder, die in dir aufsteigen werden.

Unweit davon gibt es auch einen kleinen See. Natürlich ist sein Wasser glasklar und sauber. Du kannst schwimmen, plantschen, dich treiben lassen, was immer du willst. Das Wasser dieses Sees hat aber auch noch andere Fähigkeiten. Es könnte sein, dass dich alte Schuld belastet. Du könntest dich beschmutzt fühlen von vergangenen Taten, die du begangen hast, oder die an dir begangen wurden, wie auch immer. Dann gehe in den See und wasche all diesen Schmutz von dir ab. Lass das Wasser von dir abrinnen, bis du dich ganz sauber fühlst. Jetzt erst bist du frei, dir eine Behausung zu errichten, nach deinem Geschmack und deinen Wünschen. Denk daran, alles ist möglich und erlaubt, nur eines nicht, die wünsche und Möglichkeiten der Anderen zu beeinträchtigen. Du glaubst, das sei leicht? Reden wir später darüber, einverstanden?

Ja, noch eines hätte ich fast vergessen. Du solltest ein Bäumchen pflanzen im Hain des Gedenkens. Er umgibt die ganze Stadt und reicht fast ganz bis an die Küste. Auch, wenn du uns wieder verlässt, und das wirst du irgendwann, wird etwas von dir hier, in unserer Stadt bleiben. Man wird sich deiner erinnern.
Du willst etwas über die Bewohner der Stadt wissen? Nun ja, sie kommen von überall her. Es sind kürzlich Verstorbene, wie du wahrscheinlich einer bist, Traumreisende wie ich und die anderen Erbauer der Stadt und Forschungsreisende aus anderen Dimensionen. Du kannst hier treffen, wen immer du zu treffen wünschst. Aber eines kannst du hier nicht – bleiben. Die Stadt ist ein temporärer Aufenthaltsort, ein Ort der Erholung und Neuorientierung, den du wieder verlassen wollen wirst. Denn wir alle sind Reisende, Forschende, Erkunder der Realitäten. Und deshalb werden wir alle irgendwann die Stadt verlassen, durch das Sternentor, wie wir gekommen sind, um unserer Bestimmung zu folgen.

Ich hoffe, ich konnte dir eine ungefähre Orientierung in unserer Stadt bieten und wünsche dir und anderen Reisenden einen angenehmen Aufenthalt.

Das Sternentor
Es mag ja recht kurzweilig sein, sich mit Fantasiegebilden und Fantasiehandlungen zu beschäftigen, wie es das Erbauen einer Fantasiestadt ist. Wenn aber Realitäten erschaffen werden, andere Wesenheiten diese Stadt bereits bevölkern und deren Erbauer um Beistand bitten, dann wird die Sache heikel und geht ein wenig mehr über reines Spiel hinaus. Oder ist vielleicht jeder unserer Gedanken ein solch schöpferischer Akt, der Welten gebiert?

Die Vier waren jedenfalls jetzt an einem Punkt ihres Weges angelangt, wo ihre *jenseitigen Spielgefährten* um ihre Hilfe gebeten hatten, und das verlangte nach ein wenig mehr als nur Fantasie. Es erforderte Konzentration und Feinabstimmung – und zum hundertsten Mal – Klarträumen! Und genau diese Fähigkeit war es, die sie immer noch nicht willentlich beherrschten. Wie Zauberlehrlinge mussten sie sich darauf verlassen, dass schon alles gut gehen und die Aktivierung des Sternentores gelingen würde. Denn es gab, in beide Richtungen, bereits gehörige Warteschlangen von reisewilligen Besuchern und Bewohnern.

Man einigte sich auf eine Vollmondnacht, da der Vollmond den magischen Fähigkeiten des Traumwandelns förderlich sein soll. Die genaue Zeit war nicht so furchtbar wichtig, denn die Stadt liegt ja, wie wir wissen, außerhalb von Zeit und Raum, zwischen den Welten, wie versierte Traumreisende, im Volksmund auch Hexen genannt, es in ihrer speziell lyrischen Sprache auszudrücken pflegen. Die Suggestionen, die man sich erteilte, waren sehr unterschiedlich, liefen aber im wesentlichen darauf hinaus, sich am Sternentor zu treffen. M. sah sich im Geiste einen Hexenbesen besteigen und ihm die Sporen gebend, ausrufen:

„Flattermähne, Wolkenschweif,
mein Pferdchen, wie ein Nebelstreif,
trag mich mit einem Wimpernschlag
wohin ich immer fliegen mag.“

Dann gab sie als Zielort das Sternentor an, und los ging es, durch Nacht und Wind, der ihr um die astralen Ohren pfiff, dass es nur so rauschte. Gleich darauf senkte sich der Pferdebesen und landete punktgenau am Zielort. Tatsächlich, da stand, an beiden Seiten des Tores, bereits eine erkleckliche Anzahl Wartender. Aber keine Spur von G.,E. und V. Nervös schaute M. auf ihre Armbanduhr. Sie hatte keine Zeiger. Natürlich, sie griff sich an den Kopf, keine Zeit, keine Zeiger, wozu auch?

Am Sternentor ging es nicht viel anders her, als auf jedem anderen internationalen Flughafen auch. Statt der Gepäckstrolleys trugen die meisten Ankommenden schwere Säcke mit Erinnerungen an die eben vergangene Existenz mit sich. Die Abreisewilligen führten leichtes Gepäck mit sich, das sie, Luftballons gleich, umschwebte und an Silberschnüren gehalten werden konnte. Es herrschte keinerlei Hektik an den check – out – Schaltern. Man hatte es nicht eilig. Solchen Unsinn wie dringende Termine hatten die Reisenden in diese Richtung bereits hinter sich gelassen – und keineswegs ungern. Was aber am Ausreiseschalter durchaus spürbar war, war eine gespannte, freudige Erwartung, eine Art von jenseitigem Reisefieber.

Bei den Einreisewilligen war die Stimmung etwas anders. Manche sahen sich, verwundert über die Szenerie, verwirrt um. Andere wieder schienen sich noch nicht im Klaren darüber zu sein, dass sie eine völlig andere Welt betreten hatten. Sie drängelten, beriefen sich auf die Wichtigkeit ihrer Person und deren Angelegenheiten, versuchten, das Personal zu bestechen oder schimpften über die lahme Abfertigung. Aber auch unter den Ankommenden gab es vereinzelt Personen, an deren Verhalten und Aussehen man unschwer erkennen konnte, dass sie Forschungsreisende aus fernen Dimensionen waren. Sie betrachteten mit durchaus wissenschaftlichem Interesse das seltsame Verhalten der fremden Wesen.

Endlich erschienen auch die anderen Rabenschwestern. Eine nach der Anderen wurde vor Ms. Astralaugen sichtbar. Aber die Begrüßung und die Freude über das gelungene Zusammentreffen fiel einigermaßen gedämpft aus. Der Grund dafür war, dass in der Warteschlange der Abreisenden einig lieb gewordene Gestalten standen. Da war zuerst einmal der alte Ibucock, natürlich nicht ohne seinen, inzwischen lieb gewonnenen, Rabenhut. Er winkte den Vieren freundlich zu und reichte der völlig verstörten G. ein riesiges Taschentuch für ihre Abschiedstränen. Auch Urs und Fee mit ihrem Söhnchen, aber ohne Ziegenherde, standen in der Schlange der Abreisenden, ferner die minoische Priesterin, Misty und zu Vs. Schrecken auch Witty und die Tuva - Schamanin! Das Königspaar hatte beschlossen, noch ein Weilchen die Annehmlichkeiten der Stadt zu genießen.
Auch der Stier
Blieb noch hier. Die Wiesen waren einfach zu saftig – grün!

„Ach Witty, musst du denn schon gehen?!“ rief V., die sich ja gerade erst mit der schillernden Figur ihrer selbst angefreundet hatte. Und nun sollte sie sich schon wieder von ihr trennen? Die Frau nahm V. ziemlich robust, doch voller zärtlicher Mütterlichkeit in die Arme und sagte mitfühlend:

„Aber meine kleine Fee, du bist ich, und ich bin du, das weißt du doch. Es gibt keine Trennung. Sei nicht traurig, du kannst mich immer erreichen, wenn du das willst. Und du hast mir sehr geholfen auf meinem Weg der Erkenntnis, weißt du das?“

Dennoch flossen noch reichlich Tränen, bei allen Vieren. Doch sie waren nicht für sentimentale Abschiedsszenen gekommen. Über all dem Abschiedsschmerz durften sie nicht ihre große Aufgabe vernachlässigen, die Aktivierung des Sternentores. Jedoch, noch hatte keine von ihnen die geringste Ahnung, wie das getan werden sollte.

In diesem Augenblick rief V. plötzlich aus: „Oh, verdammt, ich habe etwas vergessen!“ Und schon löste sich ihre Gestalt in Nichts auf. Verdutzt starrten einander die übrigen Drei an. Was sollte das jetzt auf einmal? Wie konnten sie das verflixte Tor öffnen, ohne vollständig zu sein?

„Ach Mädels“, ließ sich Witty vernehmen, „nur keine Panik, sie wird gleich wieder da sein. Sie hat sich nur daran erinnert, dass sie dieses Ritual zu Vollmond vollziehen soll. Nun ja, eigentlich ist das Ritual selbst völlig schnurzpieps, aber, wenn sie es vollzieht, dann öffnet sie eine Tür in ihrem Geist, und darum geht es eigentlich.“

Die Blick, den die Schamanin Witty zuwarf, war alles andere als freundlich. Wie konnte ein Ritual - wie sagte die Jüngere – schnurzpieps - sein? Sie schüttelte den weißhaarigen Kopf, dass die Rabenfedern wackelten. Ohne Trommel, das Reittier der Schamanen in andere Welten, ging ohnehin nichts, davon war sie überzeugt. Aber die Jungen (nicht zu vergessen, dass auch Witty nicht mehr in der Blüte ihres Lebens stand) meinten einfach, alles Überlieferte auf den Müll schmeißen zu können! Sie hatte die größten Zweifel, dass das Ding mit dem Tor funktionieren würde. Letztendlich würden ja doch wieder ihre alt bewährten Methoden gefragt sein.

Auch E. zweifelte am Erfolg des Unternehmens, aber aus völlig anderen Gründen. Sie sagte: „Aber Vollmond wird doch erst morgen Abend sein.“

Jetzt meldete sich Ibucock zu Wort: „Nur keine Aufregung, meine Damen. Hier spielt Zeit keine wirkliche Rolle. Macht euch also keinen Kopf, konzentriert euch einfach darauf, dass alles gut gehen wird, so ist es am besten, glaubt mir.“

Keiner konnte sich erklären, warum M. plötzlich so unmotiviert kicherte. Die Blicke aller richteten sich fragend auf sie. M. aber schwieg beharrlich, und sie hatte ihre Gründe dafür. Sollte sie die allgemeine Spannung dadurch in sich zusammen fallen lassen, indem sie den Ausgang des Unternehmens schon jetzt verriet? Sie hatte die Geschichte bereits geschrieben, hatte V. ihr Vollmondritual längst vollziehen lassen. Es lag jetzt nur an V., es auch in der materiellen Realität zu verankern. Den Anderen würde es aber das die Freude an ihrem Abenteuer verderben, schon vorher zu erfahren, wie es endete. Deshalb ertrug sie die spöttischen und etwas ironischen Blicke gerne und sagte nur: „Ach, nichts Besonderes, ich habe nur gerade an etwas gedacht…. Nichts Wichtiges. Vergesst es einfach.“

Und tatsächlich! Schon erschien V. wieder, umweht von Räucherduft und mit einer kecken Rabenfeder im Haar. Sie wischte sich ein paar Salbeikrümel von der Hose und sagte zufrieden: „ So, meinetwegen kann’s jetzt losgehen. Ich habe meinen Part erfüllt.“

„Braves Mädchen!“ brummelte Ibucock, „hast schnell gelernt.“ Sein Rabe machte sich durch ärgerliches Krächzen bemerkbar.
„Ja, ja, natürlich“, sagte der Alte lächelnd, „ihr habt natürlich euren Teil dazu beigetragen, habt eure Arbeit gut gemacht, ihr Rabenvolk. Aber jetzt los, ich bin schon ganz kribbelig. Für so alte Knacker wie mich ist es ja nicht so einfach, alles hinzuschmeißen und irgendwo anders neu anzufangen. Das zehrt an den Nerven.“

Nun hatte aber G. auf einmal ihre Bedenken. Ihr schien es sinnvoll, gewisse logistische Abläufe einzuplanen. Nachdenklich meinte sie: „Sagt, hieltet ihr es nicht für besser, das Tor zuerst in der einen Richtung zu öffnen, also für die Ankommenden und dann in die andere Richtung, für die Abreisenden? So hätten die auch noch ein wenig Gelegenheit, sich darüber klar zu werden, wohin sie eigentlich wollen. Oder, was meint ihr, wie soll das Tor eigentlich *wissen*, wohin es die Reisenden senden soll? Es wird ja kaum so funktionieren, wie im Film *stargate*?“ Sie wandte sich M. zu, die immer noch lächelte.

„Nun, M., hast du das auch schon geschrieben?“

„Äh, nein, das wollte ich euch überlassen, sonst bin ich am Ende noch eine Diktatorin. Hat jemand eine Idee?“

„Ja, ich“, meldete sich E. zu Wort, „wir könnten das Labyrinth benützen. Wozu haben wir es schließlich?“

„Und wie stellst du dir das vor?“, fragte V., die das Labyrinth ja schließlich ersonnen hatte und sich freute, wenn es auch genützt werden würde.

E antwortete: „Nun ja, jeder Abreisende, der nicht schon jetzt weiß, wohin er will, geht in das Labyrinth hinein und fragt sein Inneres, wohin es will. Beim Rausgehen erhält er dann die Antwort. Dann stellt er sich in das Tor und konzentriert sich auf seine Zieldestination, und schwupps, schon ist er dort. So irgendwie….“

Mit dieser Lösung waren alle zufrieden. Sie war so wenig technisch, wie es den mangelnden technischen Fähigkeiten der Anwesenden entsprach. Schließlich war das Sternentor für jeden, der es benützte, gemäß seinen Vorstellungen und Wünschen ein anderes, völlig neues und eigenes. Für E. war es antik, mit Reliefs, Säulen und Kolonnaden, für G. durchscheinend, wie aus Glas, für M. ähnelte es dem Horntor, das ihr bei der Traumerinnerung half, und V. stellte es sich mit blauen Kacheln, ähnlich dem babylonischen *Ischtartor* vor. http://www.google.at/imgres?imgurl=http ... CDAQ9QEwBA
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

Re: sumari - rabenclan - geschichten

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Transitionen
Nun war es höchste Zeit, mit dem Aktivieren des Sternentores zu beginnen. Die Einreisewilligen begannen bereits zu murren über die langen Wartezeiten. Und immer noch nicht wussten die Vier nicht, wie genau sie das anzustellen hatten. Sie hatten gehörigen Bammel, dass es womöglich nicht funktionieren könnte. Ibucock setzte deshalb die strengste Miene auf, die er in seinem Repertoire finden konnte und sagte:

„Los jetzt, meine Damen! Ihr solltet doch jetzt bereits die wichtigste magische Grundregel kennen! Also, wie lautet die, bitte sehr?“

Schuldbewusst und unsicher antwortete M.: „Glauben ……..?

E. fügte hinzu: „Völlige Überzeugung?“

V.: „Nicht zweifeln?“

G.: „Möglichst plastisch visualisieren?“

„Na also, ihr wisst es ja. Dann haltet euch auch daran. Das wird eure Feuerprobe, Kinder. Wird schon schief gehen. Und jetzt los, an die Arbeit!“ Damit gab er jeder von ihnen eine freundschaftlichen Klaps auf den Allerwertesten.

Am Tor angekommen, richtete G. ein paar Begrüßungsworte an die Reisenden. Dann gab sie ihre Anweisungen: „Bitte stellen Sie sich hintereinander an und gehen Sie, auf mein Zeichen, einzeln zum Tor. Dann stellen Sie sich genau in den Torbogen und warten Sie auf das Übertrittssignal. Was das sein wird, weiß ich selbst noch nicht, denn wir haben es hier mit einem Prototyp zu tun, der das erste Mal zum Einsatz kommt. Seien Sie ganz ruhig und entspannt, es kann Ihnen nichts passieren. Wir heißen Sie schon jetzt in unserer Stadt herzlich willkommen. Reiseführer erhalten sie nach Ihrem Eintritt am Einreiseschalter.“

Der erste Reisende betrat den Torbogen und wartete auf das Übertrittssignal. Nichts geschah. Er sah nervös zu G., die aber auch nicht weiter wusste. M. kaute nervös an ihrer Unterlippe. Zum heiligen Rhinozeros, wie sollte man es anstellen, nicht zu zweifeln, wenn man sich derart unsicher fühlte? Es war den Mienen der anderen Drei anzusehen, dass auch sie keinen blassen Schimmer davon hatten, was jetzt zu tun war.

„Aus, Ende, funktioniert nicht“, sagte sich M. und fühlte sich elend. So zu versagen, welch eine Schande!

Die Raben landeten mit lautem Flügelschlag auf dem Torbogen. Dann saßen die vier Vögel regungslos, ohne jede erkennbare Bewegung da, nur ihre Augen glitzerten geheimnisvoll und vielsagend. In diesen Augenblick der vollkommenen Stille hörte man plötzlich Vs. Stimme und doch nicht die Ihre. Laut und vernehmlich sprach die Rabenfrau aus ihr:

„Rabenschwestern, hört!
Berührt Tor,
denkt Gutes.
Du Fee, sprich Rabenworte
Sing Rabenlied.
Ohr jetzt frei, kein Morast.
Höre!

Und V. sang. Sang ein Lied ohne Worte. Sang uralte Weisen, nie gehörte Töne, magische Weisen, während sie alle das Tor berührten und ihre Gedanken darauf richteten, dass es sich öffnen möge. Und es öffnete sich. Ein tiefes, vibrierendes Brummen wurde mehr spür – als hörbar, ein goldenes Leuchten erfüllte den Torbogen, und dann war es vorbei. Der Reisende verschwand aus dem Tor. Es war vollbracht. Die Frauen fielen sich erleichtert in die Arme, lachten und weinten durcheinander und hüpften wie die kleinen Kinder umher.

V. sagte erleichtert: „ Ich habe schon geglaubt, das ganze Brimborium mit dem Räuchern an der Eiche war Schwachsinn. Jetzt muss ich meiner Rabengesellschaft aber Abbitte leisten. „He, ihr!“ rief sie den Raben zu, die immer noch auf dem Tor saßen, „das habt ihr toll hingekriegt, danke!“ als Antwort flogen die Raben auf und umkreisten die vier Frauen. Dabei ließen sie eine Kakophonie von Krah – Krah’s los, das in der ganzen Stadt gehört wurde, zumindest aber im Torbezirk.

Alles Weitere verlief nun völlig problemlos. Ein Reisender nach dem Anderen wurde durch das Tor geschleust, das jetzt zu voller Form auflief. Es funktionierte wie am Schnürchen. Als der letzte Reisende, ein Forscher aus der Familie der Echsenwesen, das Tor passiert hatte, waren alle rechtschaffen müde.

E.sagte: „Puh, genug für heute. Ich bin dafür, dass wir die andere Richtung für morgen aufheben.“ Damit waren alle einverstanden. „Hört mal“, fuhr sie fort, „was haltet ihr davon, wenn wir jetzt alle auf ein kühles Bierchen gehen, das haben wir uns schließlich verdient. Ich lade euch ein in mein Lokal, in der Pyramide, und die ganze Rabenclique auch. Wir haben ohnehin noch nicht Abschied gefeiert.“

Das Fest wurde, trotz der etwas wehmütigen Abschiedsstimmung, zu einem fröhlichen Gelage, an das sich alle Beteiligten immer gerne erinnerten, wo immer sie sie sich auch aufhielten, welche Herausforderungen sie auch immer annahmen.
Der alte Magier Ibucock legte einen Irischen Stepdance aufs Parkett, das eigentlich roter Marmor war, dass alle nur staunen konnten über die Energie, die noch in ihm steckte. Der Rabe kam dabei gehörig aus dem Gleichgewicht und flatterte empört auf Wittys Kopf, die das mit einem Lachen quittierte. Witty, Fee und Urs sangen den einen oder anderen Jodler, Misty gab Anekdoten aus seinen diversen Leben zum Besten, die Schamanin war Meisterin des Tuva - Kehlgesanges. Als sie loslegte, klirrten die Gläser, dass E. schon fürchtete, sie würden alle zerspringen. Zuletzt schauten auch noch Arturius und Astrid und das Königspaar, das jetzt einen zweiten Liebesfrühling erlebte, vorbei. Am Höhepunkt des Festes klopfte Ibucock an sein Glas. Er wollte ganz offensichtlich eine Rede halten. Inzwischen hatte sich sein Atem einigermaßen beruhigt. Er räusperte sich und begann, wobei ihm die Stimme vor Rührung merklich zitterte:

„Meine Lieben!
Ihr alle, Traumreisende, wie die vier Frauen hier, oder die, die kürzlich eines ihrer irdischen Leben beendet haben – es war schön für mich, Euch alle hier zu treffen. Ich bin ein alter Magier, einer, der sich gerne zurück zieht in seine Einsamkeit, um philosophischen Problemen nachzuhängen oder um meine magischen Experimente zu machen. Aber die Freundschaft mit Euch hat mir gezeigt, dass auch mir Wärme, Zuneigung und Freundschaft gut tun. Wenn wir uns morgen trennen, und jeder von uns seine eigenen Wege erkundet, dann werden wir diese Verbundenheit mit nehmen und auch ein Stück vom Wesen jedes Anderen. Wir werden uns vielleicht in anderen Leben, in anderen Dimensionen, in anderen Gestalten, wieder treffen. Denn wir sind für immer verbunden. Jetzt zitterte seine Stimme unüberhörbar, und eine Träne stahl sich in seinen Augenwinkel.

Unseren Gastgeberinnen hier möchte ich noch eines sagen. Ihr habt die Stadt gegründet. Das war ein Spiel. Es hatte jedoch auch seinen ernsten Hintergrund, wie jedes Spiel. Ihr habt daraus gelernt. Ihr wisst jetzt, felsenfest und unverbrüchlich, dass die einzig wahre Haltung dem Leben gegenüber die

Magische Einstellung

ist. Mit ihr habt ihr das Sternentor geöffnet, mit ihr wird sich Euch der ganze Zauber der Existenz erschließen. Baut in diesem Sinne weiter an Eurer Stadt und an Eurem Leben dort *draußen*, jenseits der Stadt. Damit errichtet ihr ein Wegmal für Andere, die, wie ihr, nach der Wirklichkeit hinter allen Kulissen suchen. Meine besten Wünsche mögen Euch dabei begleiten. Jetzt versagte dem Alten die Stimme und er musste sich laut in sein großes, geblümtes Taschentuch schnäuzen.

Das Fest endete mit allgemeinem Umarmen, und es darf ruhig gesagt werden, dass noch etliche Tränen flossen. Aber alles war gut. Alles war gut, auch noch, als jede der vier Frauen am Morgen in ihrem vertrauten Bett erwachte und sich, zum ersten Mal…….. an alles erinnerte! Auch das willentliche, nächtliche Reisen in die Stadt gelang ihnen nun. Das Sternentor war geöffnet worden, und dieses Tor funktionierte nun mal auf mehr als eine Weise. Nun musste es auch in die Gegenrichtung aktiviert werden. Jetzt aber zweifelte keine von ihnen mehr an ihrer Fähigkeit, das auch zu tun.
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

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15
Im Labyrinth des Wünschens
Das Sternentor zu öffnen und reisen zu können zu allen Destinationen des äußeren und inneren Universums war eine Sache, sich in der Auswahl des Zieles auch mit unverbrüchlicher Sicherheit gewiss zu sein, die andere, und das schien so Manchem als die schwieriger zu lösende Aufgabe. Kaum einer, der hier, am Kreuzungspunkt der Realitäten angekommen war, konnte für sich schon erkennen, wohin die Reise durch sein Bewusstsein ihn führen würde. Gerade eben den Verschlingungen der irdischen Schicksale entkommen, suchten die Meisten erstmal ein wenig Ruhe und Rekreation in der Stadt, und die wurde ihnen auch gewährt, so lange sie es eben wollten und brauchten. Dann aber kam die Zeit der neuen Wahl, die es galt, mit aller nur denkbaren Umsicht zu treffen. Nur wenige fühlten sich dieser Herausforderung gewachsen, zumindest nicht ohne Hilfe von außen. Da wir aber nun einmal wissen, dass dieses Außen nicht existiert, schon gar nicht hier, in der Stadt der Träume, galt es, die Hilfe aus dem grenzenlosen Innen zu erbitten. Dazu war von den vier Träumerinnen das Labyrinth des Wünschens erschaffen worden.

Es lag auf der, dem Osten zugekehrten, Seite der Pyramide und war aus Bruchsteinen erbaut, in deren Lücken balsamisch duftende Kräuter wuchsen und smaragdgrüne Eidechsen ihr Versteck hatten. Die Luft im Labyrinth war erfüllt vom Summen der Insekten, die an den Blüten der Kräuter Nektar sammelten. Schon alleine hier zu sitzen, vermittelte Frieden und kontemplative Stille. Diese Stille war auch vonnöten, um die flüsternden Stimmen aus dem Inneren zu hören, die so leicht untergehen im Lärm der Gedanken. Diesen ständigen inneren Dialog, das Geschwätz und Gebrabbel der sich so schrecklich wichtig nehmenden Denkfunktion, galt es, für eine Weile zum Schweigen zu bringen auf dem Weg nach Innen, wo die Weisheit, die ältere Schwester des Wissens, ihren Wohnsitz hat.

Alle, außer Ibucock, der schon genaue Vorstellungen über sein Reiseziel hatte, wünschten den Rat des Labyrinths. Auch die alte Tuva – Schamanin, die aber als Letzte diesen Erkenntnisweg gehen wollte, um ihren Freunden mit ihrer Schamanentrommel zu assistieren. Das war schließlich ihr Spezialgebiet, und deshalb war sie auch von niemand davon abzuhalten, ihr, jahrzehntelang erworbenes Wissen und Können zu diesem, besonderen Zweck einzusetzen. Mit völliger Hingabe an ihren Beruf und mit Hilfe eines besonderen Trommelrhythmus fiel sie in schamanische Trance, zur gleichen Zeit, als der erste Ratsuchende das Labyrinth betrat.

Nun ist es eine besondere Eigenheit von Labyrinthen und besonders derer der Kretischen Art, dass der vorgezeichnete Weg schon bald nach dem Eintritt ins Zentrum zu führen scheint. Man geht also voller Zuversicht auf diese Mitte zu, in der Gewissheit, seinem Ziel nahe zu sein, nur um gleich darauf festzustellen, dass man von diesem Ziel noch niemals so weit entfernt war, wie zu diesem Zeitpunkt. Es bleibt dem Wanderer nicht erspart, alle Windungen des Weges zu durchmessen, mal nahe dem Zentrum, mal weit davon entfernt. Und dann, wenn man entmutigt glaubt, diesem Ziel nicht und nicht näher zu kommen, steht man unvermittelt genau in der Mitte. Man ist bei sich angekommen, dort wo Raum und Zeit in sich zusammen fallen und sich in der extremsten Verdichtung ungeheure Weite auftut. Dann erkennt der Wanderer, dass er immer schon am Ziel war. Und es genügt keinesfalls, die Windungen des Labyrinths von außen zu erfassen. Man muss seine Wege beschreiten, erleben, völlig in ihnen aufgehen. Ganz einfach nachzuvollziehen und in unverfänglicher Unschuld liegen sie im schattenlosen Mittagslicht, kein Gedanke daran, sich in ihnen zu verfangen. Dann aber, sobald man es betritt….. …………………..

Als erster wollte Urs das Labyrinth begehen. Als Mann sah er es als seine Aufgabe an, den Anfang zu machen. Nach kurzem Verharren trat er beherzt ein, während die Schamanin, den Rhythmus seiner Schritte vorgebend, ihn mit ihrer inneren Sicht begleitete. Bald darauf erschien er schon wieder. Es war kaum Zeit vergangen, so schien es den Umstehenden. Sein Gesicht aber drückte staunende Fassungslosigkeit aus:

„Ihr seid noch hier?“ fragte er verwundert. „Wie kann das sein?“

Jetzt war es an den Anderen, erstaunt zu sein. Wieso sollten sie nicht mehr hier sein? Was meinte der Hirte? Glaubte er, an einem Gesellschaftsspiel teil zu nehmen, einer Art Versteckspiel oder einem kindlichen Scherz?

„Oh, ich war lange und weit weg, ging zurück in der Zeit und dann wieder vorwärts, sah Gestalten, hörte Lieder, uralte und doch vertraute, begegnete Königen, Priesterinnen, Nonnen, einfachen Bauern und glänzenden Wesen in fliegenden Kisten. Alle gehörten zu mir, waren ich. Und das müsst ihr wissen, es ist riesengroß, unermesslich groß, man kann seinen Rand nicht erkennen.“

Erstaunen allenthalben und dann die Frage: „Und, hat es dir gesagt, wohin du gehen wirst?“

Lange schwieg Urs und schien in sich zu versinken und in der fremdartigen Erfahrung, die er eben gemacht hatte, die aber an den Rändern schon wieder wie ein Traum zerfaserte. Dann sagte er bedächtig, als wäre ihm dieser Entschluss erst jetzt, indem er ihn aussprach, bewusst geworden:

„Ich werde wohl ein Leben als Frau wählen, in einer friedlichen Zeit, in einem wohlhabenden Land, ohne Not und Bedrängnis. Es wird eine Atempause sein, nach all dem Leid und der Dramatik. Es wird ein Leben ohne große Höhen und Tiefen sein, aber hinlänglich glücklich, mit Ehepartnern, Kindern und Enkelkindern. Und als Ausgleich zur Stummheit meines eben erst vergangenen Lebens werde ich die Worte lieben.“

Dabei sah er ein wenig verschmitzt zu M. hin, die den Sinn seiner Worte wohl verstand, denn es war ihr Leben, das er wählen würde.

Nun ging es wie ein Ruck durch Fees zarten Körper. Sie erhob sich von dem Stein, auf dem sie gesessen hatte und betrat beherzt das Labyrinth. Wieder wurde sie begleitet vom stetigen Trommelrhythmus der Schamanin. Doch sie hatte das Labyrinth kaum betreten, als man aus der Richtung des Sternentores Lärm und Bewegung bemerkte. Alle richteten ihre Blicke dorthin, sogar die Schamanin kam aus ihrer Trance und sah unwillig in die Richtung des Tumultes. Diese modernen, westlichen Menschen hatten aber auch überhaupt keinen Respekt mehr für die heiligen Dinge! Kopfschüttelnd legte sie die Trommel aus den Händen, erhob sich mühsam, schließlich war sie nicht mehr die Jüngste und folgte der kleinen Gruppe ihrer Freunde zum Sternentor. Fee hatte ihren Weg nach innen abgebrochen und eilte der alten Frau nach. Dort angekommen, wurde man sich einer unübersehbaren Menschenmenge gewahr, die sich vor dem Tor versammelt hatte und auf Einlass wartete. Es waren Jammergestalten! Die Frauen trugen große Tücher, die Kopf und Haar vollständig verhüllten. Das ließ ihre großen Augen und die eingefallenen Züge noch mehr hervor treten. Auf ihren Armen konnte man ausgemergelte Elendsgestalten winziger Säuglinge sehen, mit den Gesichtern neunzigjähriger Greise. Viele der Männer trugen Maschinengewehre…….

Fassungslos blickten die Rabenschwestern einander an. Wohin mit einer dermaßen großen Menschenmenge? Von all diesen Menschen brauchten doch sicherlich die allermeisten Heilung und Erholung, bevor sie sich auf den Weg in ihren ganz persönlichen Übergang machen konnten. Damit war das grüne Stockwerk der Pyramide völlig überlastet! Und erst der Alabastersarkophag! Überdies waren die Meisten an Hunger und Auszehrung gestorben. Sie trugen dieses Trauma mit sich durch das Sternentor, mussten erst einmal über ihre Lage aufgeklärt werden, dann konnte ihr Gemüt langsam heilen. Es führte kein Weg daran vorbei, jede helfende Hand, jedes offene Herz wurde nun hier, in der Stadt gebraucht, die Abreise der Rabengeschwister musste vorläufig verschoben werden.

Witty, in deren Erinnerung das Gefühl des Hungerns noch sehr lebendig war, ergriff die Initiative. Ruhig und klar gab sie ihre Anweisungen, die von allen gerne befolgt wurden. Sie waren froh, einen Schritt nach dem anderen tun zu können, was der überfordernden Situation eine einigermaßen überschaubare Struktur zu verleihen schien. Erstmal öffnete man das Sternentor in Richtung Einreise. Massen von Elendsgestalten quollen in den Eingangsbereich der Stadt. Nun galt es, diese Massen erstmal zu lenken. In Gruppen von immer Hundert führte G. sie in Es. Restaurant, wo E. und einige, rasch rekrutierte Stadtbürger riesige Mengen einfacher aber nahrhafter Speisen zubereiteten und verteilten. Ungläubige Blicke trafen die Spender all dieser Köstlichkeiten. Waren das die Götter? War dies hier das oft versprochene Paradies, das dem irdischen Jammertal folgte? Der eine oder andere der Männer ließ, nachdem der erste Hunger gestillt war, seine Blicke unauffällig schweifen. Wenn dies das Paradies war, dann konnten die oft zugesagten Jungfrauen nicht weit sein. Die Mütter aber weinten und lachten vor Glück, als ein Baby nach dem anderen sein Köpfchen hob und die Ärmchen, so wie früher einmal, nach ihren Müttern ausstreckte. E. liefen vor Rührung die Tränen übers Gesicht, und sie musste immer wieder ihren Rock zu Hilfe nehmen, in Ermangelung eines ausreichend großen Taschentuches.
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16
Die Gesättigten wurden anschließend zum See der Reinigung geführt, an dessen Ufer Urs und Fee mittlerweile einige, provisorische Buden aufgestellt hatten. Eine trug die Aufschrift: Waffen, bitte, hier abgeben! Eine Andere: Kleiderausgabe. Alte, schmutzige oder beschädigte Kleidung, inklusive nicht mehr benötigter Vorurteile, bitte, hier abgeben! Sie erhalten umgehend saubere Kleidung.
Verwunderte Blicke, unsichere Gesten, Verständnislosigkeit. Einige Kinder hatten rasch begriffen. Sie schlüpften aus ihren Lumpen und sprangen ins Wasser des Sees, wo sie alsbald übermütig herum planschten. Schon fiel auch der eine oder andere Schleier unter schüchternem Lächeln oder auch dem strengen Blick mancher Männer. Eine Gruppe schwarzbärtiger, kriegerisch aussehender Gestalten machte nicht die geringsten Anstalten, sich von ihren Waffen zu trennen. Urs, ebenfalls schwarzbärtig, ebenfalls ganz dem orientalischen Idealbild entsprechend, weil gleichzeitig auch hellhäutig und nicht von negroider Hautfarbe, bat die Männer, doch bitte sehr, ihre Waffen abzulegen und sich zu reinigen. Einer der Männer machte sich zum Wortführer:

„Wir erfüllen den Auftrag Allahs, den Dschihad, Ungläubiger. Wir werden uns nicht ergeben. Notfalls sterben wir für Allah.“

„Nicht mehr nötig“, erwiderte Urs ernst, „ihr seid bereits gestorben, und dabei habt ihr viele Unschuldige mit euch genommen.“

Die Männer sahen sich erstaunt um. Dann sagte der Wortführer: „Das ist eine Lüge. Du bist ein Dämon, der uns vom wahren Glauben abbringen will. Wenn wir tot wären, müssten wir im Paradies sein, bei Allah und Mohammed. Und wo bitte, sind die Jungfrauen? Ha, alles Betrug!“ Er fuchtelte Urs bedrohlich mit seiner Kalaschnikow vor dem Gesicht herum. „Außerdem, ihr verführt die Frauen, sich zu entblößen. Das ist Sünde und Abfall vom wahren Glauben und darf nicht erlaubt werden. Tötet sie!“

Die Männer schossen wie von Sinnen um sich, aber nichts geschah.

„Sabotage!“ schrien sie, „sie haben uns Platzpatronen untergeschoben!“

Der gesamte Rabenklan erkannte, dass hier etwas geschehen musste. Die Bande war einfach nicht zur Vernunft zu bringen. Wozu waren sie denn eigentlich Gaukler? Hier waren ihre gauklerischen Fähigkeiten gefragt, eindeutig. Ibucock eignete sich hervorragend dafür, Allahs Gestalt anzunehmen, war man sich einig. Urs musste als Mohammed herhalten. Er zierte sich ein wenig, weil er viel zu wenig über die islamischen Glaubensvorschriften wusste. Das nützte ihm aber nichts. Flugs wurden ihm die nötigen Kleidungsstücke an den Leib geträumt, und los ging’s. die Beiden wurden auf, ebenfalls rasch herbei geträumte, einander gegenüber schwebende Wolken verfrachtet und bemühten sich redlich um ernste Mienen. Urs, vulgo Mohammed begann:

„Großmächtiger, einziger Gott, ich werfe mich dir zu Füßen, ich, dein ergebener Prophet Mohammed“.

Allah machte eine huldvolle Handbewegung: „Ich höre, mein Sohn.“
Mohammed fuhr fort: „Erhabener, gepriesen sei dein Name in alle Ewigkeit……. „

„Ja, ja komm mir jetzt nicht mit meinen 99 Namen“, seufzte Allah gelangweilt. Also, worum geht’s? Und fasse dich kurz, denn ich bin heute noch auf ein Glas Wein und Schweinerippchen eingeladen.“

Die Islamisten erstarrten. Hatten sie richtig gehört? Unreine Tiere und Alkohol? Aber er dort oben, sein Name sei gepriesen, hatte gesprochen, ungeheuerlich! Und dafür hatten sie ihr Leben eingesetzt, hatten getötet, hatten die Stimme ihres Herzens mit Maschinengewehrgeknatter übertönt? Was hatte das zu bedeuten? Schon sprach der Allmächtige weiter:

„Ich sehe hier eine unüberschaubare Menge von Menschen. Sind sie alle gestorben und neu hier angekommen?“

„So ist es, Ewig Gepriesener, so ist es, verhungert, alle verhungert“, beeilte Mohammed sich zu beteuern.

„Warum sterben auf meiner Welt so viele Menschen am Hunger“, fragte Allah jetzt mit dräuender Miene.

„Erhabener, weil Ihr es so angeordnet habt“. Urs bemühte sich redlich um einen glaubwürdig, unterwürfigen Tonfall. Das nützte nichts. Mit Donnerstimme brüllte Ibucock alias Allah jetzt nämlich:

„I c h? W a s h ä t t e i c h a n g e o r d n e t!? Ich habe den Menschen meine Gesetze gegeben, auf dass es ihnen wohl ergehe auf Erden und nicht, dass sie verhungern. Und was sollen die Gestalten da unten, die mit ihren Waffen herum fuchteln? Sprich, Prophet!“

Urs kroch in sich zusammen wie ein verletztes Insekt und hauchte mit ersterbender Stimme: „Sie haben Dein Gesetz durchgesetzt, Erhabener.“

Keiner konnte sich wirklich vorstellen, dass Allahs Stimme noch dröhnender werden konnte, aber sie tat es. Er donnerte, dass der See erbebte:

„Elender Wicht, was hast du aus meinem Wort gemacht?! Du solltest den Menschen Frieden und Wohlergehen bringen, und was hast du ihnen gebracht? Hunger und Leid?“ Und nun mit wesentlich sanfterer Stimme:

„Da muss etwas geschehen. Gesetze sind wohl auch nicht das Wahre. Sag ihnen, sie sollen einfach nur auf ihr Herz hören und keinem Schmerz zufügen. Das ist mein neues Gesetz. Ein anderes habe ich nicht. Und nun geh’. Ich muss nachdenken.“ Allahs Gestalt zog sich aus seiner Position auf der Wolke zurück, und Mohammed stieg zu den völlig verblüfften Menschen herab. Nun flogen die Schleier wie Schmetterlinge. Frauen, Kinder, Männer, alle sprangen vergnügt im See umher, dass es nur so spritzte. G. sorgte diskret dafür, dass die Waffen sich in Luft auflösten.

„Uff!“, seufzte sie, „so ein wenig Schauspielerei kann in keinem Fall schaden.“ Der Rabenklan lachte schallend.

In all das Geplantsche und Gelächter hinein ertönte mit einem Mal ein lautes Schnarren. Das Geräusch passte irgendwie nicht hierher, es war fremd und äußerst störend. Aber es ließ sich nicht ausblenden. E. unterbrach ihre Tätigkeit, sie war gerade dabei gewesen, kleinen Kindern noch ein paar Bonbons zuzuwerfen, und erstarrte.

„Heiliger Bimbam, rief sie, das ist mein Wecker, ich muss schleunigst zur Arbeit!“ und verschwand.

Das schien auch auf V. nicht seine Wirkung zu verfehlen. „Ist es schon so spät? Fragte sie verwundert, „wie schnell die Zeit doch in der Zeitlosigkeit vergeht! Ich muss nachhause, den Kleinen in den Kindergarten bringen und ins Studio.“ Auch ihre Gestalt verschwand in den unendlichen Weiten des imaginären Raumes.

G. und M. sahen einander ratlos an. „Sollen wir hier alleine die Stellung halten, was meinst du?“ fragte M.

G. dachte ein wenig nach und sagte dann: „Ach, ich glaube, die kommen hier schon eine Weile alleine zurecht. Aber warte mal, ich sage der *Bodentruppe* noch Bescheid, wo sie die vielen neuen Einwohner fürs Erste unterbringen können. Ich habe mir gedacht, wir siedeln sie ein wenig außerhalb des Haines des Gedenkens an. Dort gibt es noch jede Menge Platz. Was denkst du?“

M. antwortete: „Ja, wir werden noch schnell kleine, temporäre Hütten erträumen, einfach, aber ausreichend gemütlich. Die können wir dann, nach der Abreise der Somalis für andere Katastrophenopfer weiter verwenden. Denn ich glaube, das waren erst die Ersten. Da kommt noch so Einiges nach, fürchte ich. Aber wir müssen für ordentliche sanitäre Einrichtungen sorgen, sonst gerät das Ganze zu einer stinkenden Kloake.“

G. lachte belustigt auf: „Du bist wirklich eine Pragmatikerin, M., du Kloakenspezialistin, ich verkneife mir ja das Wort Jenseitsklofrau.“ Die Beiden wollten sich daraufhin vor Lachen kugeln.
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Campfire, die Vierte
„Meine Damen, hiermit erkläre ich unser virtuelles Lagerfeuer für eröffnet“, kicherte G. in den Lautsprecher des Computers, während alle vier Rähmchen bereits aufleuchteten, was die Anwesenheit aller Teilnehmerinnen der Skype – Konferenz anzeigte. Es knackte auch sofort auf’s heftigste in den Leitungen, weil alle Vier zugleich zu sprechen begannen.

„Stellt euch vor!“ begann V., „ich war heute Nacht in unserer Stadt. Da war irgend etwas mit vielen Menschen und Gott in den Wolken, aber genau weiß ich es nicht mehr. Ihr wart auch da.“

Die Rähmchen kamen nicht mehr zur Ruhe. G. war als Nächste zu hören: „Ich hätte ja schon nicht mehr geglaubt, dass meine Traumerinnerung wieder zurück kehrt, aber heute Nacht war alles anders. Ich war auch in unserer Stadt, und ich kann mich noch genau an viele Menschen mit schwarzer Hautfarbe erinnern, die in einem See gebadet haben. Komischer Traum…….. was das wieder zu bedeuten hat. Ob es wohl symbolisch war?“
Jetzt hörte man die, ein wenig klugschwätzerisch klingende, Stimme von M.: „Ja, aber ist denn nicht alles, was wir wahrnehmen, ein Symbol, egal ob im Wachleben oder im Traum?“

„Jaaaa“, sagte E. in ihrer bedächtigen Art, „das stimmt schon, aber dann haben wir heute Nacht unsere Symbole miteinander geteilt, denn ich war auch in der Stadt, und ich erinnere mich daran, dass ich Unmengen von Essen für Unmengen von Leuten mit dunkler Hautfarbe gekocht habe und mich immerfort in meinen Kittel geschnäuzt habe. Seltsam……“

„Mich hat jedenfalls heute Morgen der Wecker reichlich unsanft aus diesem Traum gerissen. Deshalb ist meine Erinnerung auch ziemlich lückenhaft. Ich bin einfach zu abrupt aufgewacht“, sagte V. „jedenfalls ist unsere Gauklertruppe immer noch in der Stadt, weiß der Kuckuck, warum. Eigentlich wollten sie doch schon abreisen, zumindest einige von ihnen.“

M. fragte: „Woher weißt du denn das so genau? Haben die Raben wieder auf dein Brett geschwatzt, äh geschwätzt meine ich natürlich?“

Lachend erwiderte V.: „Nein, zumindest nicht das. Ich habe keine Ahnung, warum ich das weiß, aber ich weiß es eben. Sie sind noch dort, und sie warten auf uns, weil sie jetzt wirklich langsam abreisen wollen. Und dann, wieder ernst: „ich glaube, wir sollten heute Nacht wieder versuchen, in die Stadt zu gelangen.“

„Dein Wort in Morpheus’ Ohr“, lachte M., wenn das so einfach wäre! Aber mein Traumselbst verhält sich oft wie ein Kind in der Trotzphase. Nein ist eines seiner Lieblingsworte.“

G. sagte nachdenklich: „Wie wäre es, wenn die, der es als Erste gelingt, luzide zu werden, die Anderen abholt? Das könnten wir einmal versuchen, was meint ihr?“

„Hmmmm, jaaa, versuchen können wir’s ja einmal….. Ich weiß aber nicht…..“ E. schien nicht ganz überzeugt von der Methode. Aber man einigte sich darauf, es zumindest einmal damit zu versuchen und wünschte einander schließlich Gute Nacht.

Transitions, die Zweite
Das Bett vibrierte. Oder nein, genau genommen war es eigentlich nicht das Bett, denn die Quelle der Vibrationen war etwas Anderes. Aber was? Ach ja, natürlich, sie ging von ihr selbst aus, es war der bereits vertraute Einstieg in den Ausstieg. Jetzt nur nicht bewegen, *es* kommen lassen, keine willentliche Anstrengung, um den fragilen Zwischenzustand nicht zu gefährden, der den Körper schlafen lässt, während der Geist Urlaub in seiner eigentlichen Heimat macht, um ein wenig umher zu schweifen in seinem Königreich der Freiheit. Diese Freiheit war zum Teil bereits eingetreten, indem sich manche Körperteile einfach nicht mehr den Regeln und Gesetzen der Physis entsprechend verhielten. Die Beine schwebten bereits irgendwo
Über ihrem Körper, da war auch eine Präsenz, und jemand (wer?) zog an ihrem Kopf, wie eine unkörperliche Hebamme bei einer schwierigen Geburt ins Jenseits. Das Ziehen hatte Erfolg, schon folgte der übrige Körper den Beinen, und sie schwebte an der Decke ihres Schlafzimmers. Unter ihr schliefen ihre Lieben tief und fest, genau wie sie selbst, also eigentlich ihr Körper. „Seltsam, sich selbst beim Schlafen zuzusehen“ und „das also bin ich?“ Das waren ihre Gedanken in diesem Augenblick. Gedanken, wo gedacht? In einem Kopf ohne physisches Gehirn?
„Mama, nimm mich mit!“ hörte sie plötzlich in eben diesem Kopf. Es war M., ihr kleiner Sohn, der mit einem Mal neben ihr, an der Zimmerdecke auftauchte.

„Ein andermal, mein Liebling“, beeilte sich V. zu sagen, ohne die Lippen zu bewegen, „heute habe ich noch etwas Wichtiges vor, nächstes Mal darfst du mit, ja?“

Die kleine Gestalt verschwand augenblicklich, und V. machte, dass sie fort kam. Wohin eigentlich? In die Stadt? Ja, schon, aber war da nicht etwas, an das sie sich erinnern sollte, eine Vereinbarung? Vor ihr schwebte plötzlich ein Gesicht, Gs. Gesicht. „Ach ja, ich wollte ja den Anderen aus ihrem Körper helfen!“ dachte sie, und schon war sie in Gs. Schlafzimmer, wo sie bereits erwartet wurde. G. sagte, mit leichter Verzweiflung in der (nicht vorhandenen) Stimme:

„Sie scheint nicht zu wissen, dass sie, also ich, bereits die ganze Zeit hier draußen bin. Ich kann machen, was ich will, sie kriegt es nicht mit. Was tu’ ich nur mit ihr?“

„Ach lass’ sie“, antwortete V., „Hauptsache ist doch, du bist da. Wir erzählen ihr einfach morgen, im Forum, was sie erlebt hat.“ Beide kicherten wie Teenager.

E. wälzte sich seit Stunden in ihrem Bett. Wie so oft in letzter Zeit fand sie wieder nicht in den Schlaf und wurde von Stunde zu Stunde unruhiger. Der nächste Tag war schließlich ein Arbeitstag, und der Wecker würde unerbittlich um sechs Uhr morgens klingeln. „Jetzt hab’ ich es ja bald geschafft“, dachte sie, und bei dem Gedanken reagierte ihr vegetatives Nervensystem mit deutlicher Entspannung. Der Gedanke an die, unmittelbar bevorstehende, Pensionierung hatte etwas eindeutig Beruhigendes, auch, wenn das natürlich den Eintritt ins so genannte Seniorendasein bedeutete. Für sie aber war es einfach Freiheit. Freiheit wofür, um was zu tun oder nicht zu tun? Einfach ausschlafen, lange frühstücken, kein Zeitkorsett mehr tragen zu müssen, ach wie schön! Und mit den Bildern dieser neuen Freiheit glitt sie endlich in den ersehnten Schlaf….. nur um festzustellen, dass sie schon wieder erwacht war, diesmal aber nicht in ihrem Bett.

M. irrte schon wieder, wie so oft, in irgend welchen fremden Straßenzügen umher, die eigentlich ihre Heimatstadt Wien sein sollten, aber natürlich völlig andersartig waren und sich zudem ständig veränderten. Sie wollte, sollte….. ja, wohin eigentlich? Von unzähligen, ähnlichen Träumen wusste sie schon, dass sie dort niemals ankommen würde. Die Verkehrsmittel fuhren auf, sich immer wieder verändernden, Routen, Autos gehorchten ihr nicht, Wege führten ins Nirgendwo. Ratlos blickte sie ihre Hände an. Wieso eigentlich die Hände? Hände? Hände!! Da war doch irgend etwas mit ihren Händen, aber was nur? Und wieso wusste sie eigentlich, dass sie in ihren Träumen niemals ans Ziel gelangte? Ja, so war das in Träumen, aber jetzt, in der wirklichen Welt……. Wirklichen Welt? War das die wirkliche Welt? Wieder sah sie auf ihre Hände. „Träume ich? Ist das ein Traum?“ Und endlich, nach vielen Wochen, wo sie viele hunderte Male auf ihre Hände gesehen und sich dabei gefragt hatte, ob sie träume oder wache, tat sie das auch in einem Traum und erkannte, dass sie träumte. Diese Erkenntnis traf sie wie ein greller Lichtblitz. Sie sprang in die Luft vor Freude……. Und flog……. Um bald darauf sanft zu landen. Aber wo, zum dreimal vermaledeiten Rhinozeros, war sie? Es war eine Stadt, das stand fest, aber nicht die Stadt ihrer nächtlichen Irrfahrten, das stand ebenso fest. Vielleicht war sie ja in *der Stadt*, ihrer, der Sumaristadt? Stand ihr hier auch wieder dieses endlose Herumirren bevor? Denn hier kannte sie sich eindeutig nicht aus. Da waren fremd aussehende Bauten, Plätze mit Brunnen, Statuen, die ihre Stellung immer wieder veränderten, Menschen in fantasievollen Kleidern und radiale Straßen, die auf ein Zentrum zuzuführen schienen. M. entschied sich, einer dieser Straßen zu folgen. Und zu ihrem allergrößten Erstaunen führte diese Straße wirklich zu einem bekannten Ort, was ihr die umwerfende Erkenntnis verschaffte, dass dies nicht einer ihrer gewöhnlichen Träume war. Wenn das stimmte, dann müsste sie sich eigentlich ja nur auf das gewünschte Ziel konzentrieren, um auf der Stelle dort anzukommen. Und wirklich, kaum wünschte sie, zum See der Reinigung zu gelangen, schon war sie auch dort. Diese Art, im Traum zu reisen war wirklich exzellent. Das sie das nicht schon früher so gemacht hatte! Das war doch wirklich um Klassen besser als dieses ewig gleiche Herumgestolpere in unerfreulichen Traumstädten!

Und ihre Freundinnen schienen ähnlich erfolgreich in ihren nächtlichen Unternehmungen zu sein. Alle Drei waren schon angekommen und erwarteten sie bereits am Ufer des Sees, wo die letzten Somalis gerade in ihre neuen Kleider schlüpften. Der See lag wieder ruhig und glatt im weichen Licht, so, als hätten ihn nicht gerade Millionen aufgeregter Menschen aufgewühlt. Ibucock war bereits reisefertig, samt Rabenhut, den er jetzt als alltägliche Kopfbedeckung zu akzeptieren schien, wartete er bereits ungeduldig am Ausgang des Labyrinths. Fee hatte ihren Weg zur Mitte bereits vollendet und trat eben aus dem Labyrinth auf den Vorplatz. Mit erstauntem Blick, so, als sähe sie alles zum ersten Mal, blickte sie sich um. Als ihr Blick auf V. fiel, lief sie zu ihr hin, umarmte sie und sagte dann:

„Ich werde du sein, weißt du? Ich werde mich gebären lassen in deiner Zeit, an deinem Ort, in deinem Körper, und das wird mir eine große Ehre sein!“

V. erwiderte: „Auch mir ist es eine Ehre und eine große Freude, dein Wesen mit meinem zu verschmelzen. Ich werde ganz achtsam sein und dich, durch meine Augen, in meine Welt sehen lassen. Ich glaube, es wird dir gefallen, liebe Fee.“

Als Witty ihren Labyrinthweg vollendet hatte, schwieg sie eine lange Zeit. Niemand drängte sie, ihre Erlebnisse mitzuteilen. Aber alle waren natürlich sehr neugierig, wozu Witty sich entschlossen hatte. Endlich sagte sie leise und, als wäre sie selbst verwundert über ihre Worte:

„Ich bin schon geboren, im Norden, in Schweden, Farsum heißt der Ort, und ich werde ein ruhiges Leben führen, zum Nachdenken, zum Erkennen. Denn ich werde dann, wenn dieses Leben zu Ende ist, eine Wesenheit werden. Dazu muss ich Kraft sammeln, viel Kraft und Weisheit und Erkenntnis.“

Sie sah ihre Rabenschwestern liebevoll an. „Ihr habt mir geholfen auf meinem Weg, wir bleiben auf immer verbunden. Meine Kraft ist die Eure und euer Bild wird immer in mir leben. Ich und meine Schwester, die Schamanin, sind Eins, und wir haben eine Gabe an dich, meine Tochter. Halte sie in Ehren und gebrauche sie zum Wohle von allem Lebendigen.“

Bei diesen Worten verschmolz die Gestalt von Witty mit der der alten Burjatin. Diese zog eine Rabenfeder aus ihrem Haar und nahm die Kette aus Knochen, Zähnen und Krallen ab. Dann steckte sie die Feder V. ins Haar und hängte die Kette der völlig verblüfften V. um. Als sie bemerkte, dass V. die Tränen in die Augen traten, sagte die Witty - Schamanin noch, in ihrer gewohnt rauen Art: „Na, na Mädchen, du musst ja deshalb nicht gleich heilig werden. Ordentlich essen und trinken, jede Menge Sex, grab in deinem Garten, freu dich an deinem Kind und deinem Mann, und lass dir von niemandem einreden, Spiritualität und die einfachen Freuden vertragen sich nicht. Lach denen, die so etwas sagen, einfach ins Gesicht!“

Noch einmal umarmten sich alle, dann betrat der Erste das Sternentor. Es war Ibucock. Er hatte es besonders eilig, in seine unerforschten Dimensionen zu reisen.
Er schloss die Augen und überließ sich dem Sog, der sich, aus seinem Inneren kommend, dem Sternentor mitteilte. Er wandte sich um und winkte seinen Freunden, dann verschwand seine Gestalt ganz plötzlich, man hörte noch: „Halt dich fest, mein Alter, dass du mir nicht vom Kopf fällst, und los geht’s, hahahahaha!“ während der Nachhall seines Lachens noch kurz als unkörperlicher Rest seiner Persönlichkeit bei ihnen blieb. Dann war auch das verschwunden.

Fee, Urs und das Kind betraten gemeinsam das Sternentor. Sie hatten beschlossen, es noch einmal gemeinsam zu versuchen, in Österreich, an der Zeitenwende , als Freunde diesmal, die einander erst spät im Leben treffen sollten. Die Erinnerung an ihre Liebe aber trugen sie mit sich, um sie zu hüten, wie einen Schatz, der auf dem Dachboden des Hauses ihres Selbst, in scheinbarer Vergessenheit wartete, um einst wieder entdeckt und erneut wertgeschätzt und beachtet zu werden.

Die Witty – Schamanin wusste auch, wie die Anderen bereits, wohin ihre Reise gehen sollte. Sie würde im Schweden des 21. Jahrhunderts geboren werden, und sie freute sich bereits auf diese, letzte Geburt in eine Welt von Hitec, Wasserspülung und Frieden. Für Witty würde das bedeuten, den Mangel ihrer früheren Leben schlussendlich auszugleichen, die Schamanin fand es äußerst aufregend, aus einer Stammeskultur in eine moderne Demokratie versetzt zu werden. Es war interessant zu beobachten, wie die, sonst so unerschütterlich wirkende, Witty nervös und voll innerer Spannung an ihren Haaren drehte. Im Augenblick ihres Verschwindens krähte in einem Gehöft in Farsum ein Neugeborenes fordernd seinem neuen Leben entgegen. Es war ein kräftiger und gesunder Knabe.

Danach machte sich eine Zeitlang ein Gefühl der Leere und des Verlustes breit. Die vier Rabenschwestern fühlten sich verwaist und waren unschlüssig, wie es jetzt weiter gehen sollte. Sollte es denn? War das das Ende ihrer gemeinsamen Aufgaben in der Sumaristadt? Aber V. erhielt ja weitere Durchsagen von ihrer Rabenseele, die aber bezogen sich hauptsächlich auf sie alleine und kaum auf alle Vier. Auch Gs. Gedankenpakete befassten sich kaum mit ihrem Stadtprojekt. Blieb noch M. Auch sie war unschlüssig darüber, ob ihre Geschichte nun langsam zum Ende kommen sollte, oder ob da noch etwas käme. Ihre Überlegungen wurden von Geschrei unterbrochen.
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

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18
Der Himmelsbaum
Es klang wüst. Und es kam aus der Richtung des Sternentores. Aufgeregte Stimmen in fremden Sprachen ließen auf einen Konflikt unter den Somalis schließen. Nun ja, kein Wunder, so viele Menschen mit derart traumatischen Erfahrungen – höchste Zeit, dass sie sich nach und nach wieder auf den Weg machten. Dies war zwar ein Ort der Erholung und Neuorientierung, aber solch ein Massenansturm war wohl ein wenig viel für die Stadt!
Die vier Frauen, die eigentlich schon wieder auf dem Rückzug in ihre heimatlichen Schlafzimmer gewesen waren, eilten schnurstracks zum Ort des Tumults. Eine Gestalt war eben dabei, aus dem Sternentor zu treten, eine, zugegebenermaßen ungewöhnliche und merkwürdig gekleidete. Es war ein weißbärtiger, älterer Mann in einem schwarzen, langen Mantel, mit einem Pelz verbrämten Hut auf dem Kopf und langen Schläfenlocken. Eigentlich erinnerte sein Aussehen ein wenig an Ibucock, wenn auch natürlich in einem völlig anderen Erscheinungsbild. Jetzt war natürlich völlig klar, was die Somalis derart aufregte, besonders die ehemaligen Islamisten unter ihnen! Es handelte sich bei dem Ankömmling um einen typischen orthodoxen Juden, und das war immerhin ihr liebstes, langjähriges Feindbild gewesen.

Der Alte war sichtlich bemüht, seine Würde zu bewahren, obwohl ihm das, inmitten all des feindseligen Aufruhrs an diesem seltsamen und fremden Ort merklich schwer fiel. Er blickte Hilfe suchend um sich, bis sein Blick endlich auf M. fiel, die er lange, prüfend und fragend ansah. Da war etwas Vertrautes in seiner Gestalt, doch um dem auf den Grund zu gehen, musste erst einmal Ruhe geschaffen werden. Ob es wohl wieder einer schauspielerischen Darbietung bedurfte, um die Leute zur Ruhe zu bringen? Wenn ja, dann aber nur kurz, denn sie hatte wenig Lust zu solchen Mätzchen, auch wenn sie manchmal notwendig erschienen. M. versetzte sich auf die, schon bekannte Wolke, erträumte sich Bart und Turban und schrie mit Donnerstimme:

„Ich gebiete Ruhe in meinem Paradies! Ich habe euch einst das Gesetz der Gastfreundschaft gegeben, und das gilt für jeden hier. Schweigt also und besinnt euch auf mein Gesetz, sonst schleudere ich euch zurück ins irdische Jammertal!“

Danach sehnte sich allerdings niemand von ihnen zurück, und deshalb trat unverzüglich Ruhe ein.

„Na also, geht doch“, brummelte M. in ihren Bart, um sich dann rasch wieder in ihrer gewohnten Erscheinung zu zeigen. Die Wolke ließ sie aber, zur Sicherheit, noch über den Köpfen der Menge hängen. Sie konnte noch von Nutzen sein.

Der Alte schien ein wenig verwirrt, als die Frau vor seinen Augen zuerst verschwand und dann, wie aus dem Nichts, erneut auftauchte. Dann aber ging er auf sie zu, wobei er deutlich darauf achtete, einen schicklichen Abstand zwischen ihnen einzuhalten. Er sagte:

„No, Jossele, nu hab ich dich endlich gefunden. Aber sog, far wos bist du geworden a Schickse und lebst unter lauter Goi?“

M. lächelte versonnen. Der Klang dieser Worte erweckte eine lange vergessene Vertrautheit, so, als kehrte sie in eine, vor langer Zeit verlassene, Heimat zurück, deren Häuser aus den vertrauten Wörtern erbaut waren. Wie im Traum antwortete sie:

„Rabbi Elimelech Goldenstein, ich grüße dich. Sei mir willkommen, mein alter Lehrer.“ Sie wollte ihn in Freude und aufrichtiger Zuneigung umarmen. Der Rabbi allerdings wich mit allen Zeichen erschrockener Abwehr vor ihr zurück.

„Wai geschrien!“ rief er, „es soll nisch sain kein barir zwischen manzbil und froi! Soll sain alles farlorn, was ich dir hab gelernt?“

„Vergib mir, Rabbi“, sagte M., ich bin in diesem Leben kein Jude. Deshalb denke ich nicht an diese Vorschriften.“

„Na, was weiß ich, was das soll heißen, *dieses Leben*, so ein meschuggenes Gerede hab ich nie nicht gehört. Aber ich bin gekommen, nicht um zu machen Zores far dir, ich bin geworden gesendet.“

„Von wem bist du gesandt worden, Rabbi Elimelech?“ fragte M. erstaunt, und der Rabbi antwortete:

„Der Engel des Allerhöchsten, sein Name sei gepriesen, hat mich gesendet zu dir, dass du sollst dermonen far wo du kommst her.“

Mit diesen Worten nestelte er in seinem Gewand, und zum Vorschein kam ein Bäumchen. Das steckte er daraufhin in die Erde, aber nicht, wie es eigentlich richtig gewesen wäre, sondern mit der, noch kaum entwickelten Krone. Kaum war das geschehen, wuchs das Bäumchen zu einem stattlichen, ja riesigen Baum heran, dessen Krone nun aus einem knorrigen Wurzelstock bestand. Keiner der Umstehenden wusste sich darauf einen Reim zu machen, auch nicht M. und schon gar nicht der alte Rabbi, der kopfschütteln dem Vorgang folgte. Aber, gemäß seinem Glauben stellte er den Ratschluss seines Gottes niemals in Frage, der ihn sogar zu den Goi sandte. Er sagte:

„Das Bäumel soll dir zurikrufen, als was du bist geboirn. Du hast gehert zu uns, hast getrogn den gelben Schtern auf dain Rekl, bist gewen ain Schternkind. Ein Schternkind hot sein Worzl in Himl, wie dos Bäuml do. Ein Schternkind sollt nischt leben mit die Gojim, die was nischt leben koscher.“

„Oh jemineh“, seufzte M., „das wird keine leichte Aufgabe, dem alten Rabbi zu erklären, wie das so ist mit den Glaubenssatzsystemen im Allgemeinen und den Religionen im Besonderen!“

Sie bat den Rabbi und alle Anwesenden ins Amphitheater, zur Säule des Erinnerns. Das rund des Amphitheaters fasste nicht alle, deshalb musste es kurzfristig erweitert werden. Dann forderte sie einen der Bärtigen und eine der, noch verschleierten Frauen auf, in die Mitte, zu ihr zu kommen. Der Bärtige weigerte sich anfänglich mit grimmiger Miene. Erst als M. ein paar Theaterblitze aus der Wolke zauberte, ließ er sich herbei, ihrer Aufforderung Folge zu leisten. Dann begann sie zögernd:

„Liebe Freunde, hier ist mein alter Lehrer aus einem früheren Leben, Rabbi Elimelech Goldenstein. Er ist ein weiser und gelehrter Mann und hat sein ganzes Leben die heiligen Schriften studiert, die Torah und den Talmud. Er ist ein Mann Gottes. Gemurmel erhob sich in den Reihen der Moslems: „ Allah ist der einzige Gott“ und „Die Juden sind Zionisten, und die sind unsere Feinde.“ M. beeilte sich, weiter zu sprechen. Sie zeigte auf den Bärtigen neben ihr:

„Nun seht doch mal, der Rechtgläubige neben mir trägt einen Bart, wie Allah es will. Stimmt das?“

„Jaaaaa“, ertönte es aus den Sitzreihen.

„Gut, nun, der Rabbi trägt ebenfalls einen Bart. Ist das gottgefällig?“

Gemurmel, unsichere Zustimmung im Publikum. M. fuhr fort:

„Der Gott der Moslems ist Einer, hab’ ich recht?“

„Jaaaaaa!“

„Gut“, sagte M., „der Gott unseres Rabbi ist ebenfalls Einer.“ Der Rabbi nickte zustimmend.

„Weiter: ihr habt eure Heiligen Schriften, den Koran. Der Rabbi hier hat seine Heiligen Schriften, die Torah und den Talmud.“

Diese Aussage hatte empörten Widerspruch zur Folge: „Es gibt nur eine heilige Schrift. Allah hat sie dem Propheten durch einen Engel überbracht!“

„Ach ja?“ fragte M. ironisch, „welcher Engel war denn das? War es nicht Gabriel, wenn ich mich richtig erinnere? Der hat aber auch im *Buch Daniel* seinen großen Auftritt gehabt. War er nun ein Überläufer?“

„Gotteslästerung! Du schmähst Allahs Engel!“

„JHVH’s Engel!“, schrie Rabbi Elimelech erbittert, wobei seine Schläfenlocken vor Empörung zitterten. Um den, sich anbahnenden, Tumult zu unterbrechen, ließ M. erneut ein paar Blitze vom Stapel. Das hatte aber nur zur Folge, dass die Einen sich gegen Mekka niederwarfen um Allahs Zorn zu entgehen, und der Rabbi sich vor und zurück zu wiegen begann und den Zorn Jehovahs durch eifriges Beten zu besänftigen suchte. Jetzt war es wenigstens nicht mehr laut, und M. konnte fortfahren:

„Ihr habt euer Gesetz. Dazu gehört rituelle Reinheit und die Speisegebote. Esst ihr Schweinefleisch?“

„Neiiiiin, das ist unrein!“, ertönte es aus den Reihen der Moslems.

„Rabbi, ihr Juden esst doch auch kein Schweinefleisch, und ihr habt strenge Speisegebote, nicht wahr?“

Rabbi Elimelech runzelte die Brauen und sagte: „Red nischt kain Schmonzes, Jossele, du weißt es doch. Du kennst doch die Koschergebote.“

„Nun, weiter. Die Frau neben mir ist nach dem Gesetz züchtig verhüllt, wie es Allah gefällt, nicht wahr? Nun gut, auch die jüdischen Frauen verhüllen ihr Haar und ihren Körper nach dem willen Gottes. Ach, es reicht, finde ich. Geht euch noch immer kein Licht auf?“

Heilloses Durcheinander ist die Folge. Es bilden sich kleine Grüppchen, die eifrig das Gehörte diskutieren. M. findet, dass es an der Zeit wäre, wieder ein paar
Taschenspielertricks aus dem Ärmel zu zaubern. In der Wolke erscheint der Halbmond mit Stern. Die Moslems jubeln. In der Wolke erscheint die Menorah, der siebenarmige Leuchter der Juden. Die Moslems verstummen, Elimelech nickt zustimmernd. Der Leuchter verschmilzt mit dem Halbmond, was allgemeine Verwirrung zur Folge hat. Ein überirdisches Leuchten erhellt die Wolke. Es breitet sich über den ganzen Platz aus, während eine Stimme aus der Wolke ertönt:

„Ihr seid eine Familie, meine. Keine Ahnung, warum ich mir das angetan habe mit euch Sturköpfen. Aber nun vertragt euch, sonst enterbe ich euch!“

In die nun entstehende Stille sagt M.: „Verehrter Rabbi, ich weiß, wir haben den Stern getragen. Aber nun will ich dir und allen hier ein Geheimnis anvertrauen: dieser Stern, den wir einst auf unseren Mänteln tragen mussten, als Zeichen unserer Schande und Minderwertigkeit, ist eigentlich ein Symbol unserer Herrlichkeit. Er soll leuchten auf der Stirne jedes Menschen, egal ob Jude, Christ, Moslem, Buddhist, Hindu. Es ist in Ordnung, wenn jeder seinen Gott auf seine Weise verehrt, denn dieser Gott ist Alles in Einem, Alles Was Ist. Und wir alle sind Teil davon. Als Bekräftigung des Gesagten ließ M. nun eine wahrhaft spektakuläre lightshow los. In schneller Folge erschienen in der Wolke: ein Davidsstern, ein Halbmond, ein Kreuz, ein OM – Zeichen und ein Pentagramm. Sie begannen, sich umeinander zu drehen und wurden schließlich zu einem funkelnden Stern. Sein Licht zerbrach in unzählige Funken, die auf die staunende Menge nieder zu regnen begannen. Jeder dieser Funke ließ sich auf der Stirn eines jeden Anwesenden nieder und wurde dort wieder zu einem Stern. Es war zauberhaft anzusehen, wie Sternenhimmel auf Erden. Dazu ertönte ein Lied: https://www.youtube.com/watch?v=PqyHe-XQsp8

Alle reichten einander die Hände, und sie formierten sich zu einer riesigen Hora. http://www.youtube.com/watch?v=UmY2s5U4D1M
Der Rabbi tanzte in der Mitte, völlig gelöst und voller Hingabe. Als der Tanz zu Ende war, sagte er schelmisch zu M.: „Wärst geworden a feiner Soyfer, mein Jossele, wennst nicht wärst geworden a Schickse. Trotzdem *massel und broche* far dir und alle Leit, was sind gewesen da.!“

Das waren seine Abschiedsworte. Er verschwand gleich darauf wieder durch das Sternentor.

„Puh!“, seufzte M. und wischte sich den Schweiß von der Stirne. Das war eine meiner schwersten Übungen. Jetzt brauch ich ein kühles Helles und was Ordentliches zu Essen, koscher oder nicht ist mir völlig schnurzpieps! Kommt, Mädels, wir gehen zu E.!

Schickse = nichtjüdische Frau
Goi = Nichtjuden, Mz. Gojim
Soll sain ain barir zwischen manzbil und froi = es soll Abstand zwischen Mann und Frau. Ein Mann soll nur seine eigene Frau berühren.
Meschugge = verrückt
Zores = Schwierigkeiten
Massel und Broche = Glück und Segen
Dermonen = gedenken
Zurikrufen = sich erinnern
Rekl = Rock, Mantel
Soyfer = Schriftgelehrter
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

Re: sumari - rabenclan - geschichten

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Gerade merke ich voller verwunderung, dass ich die geschichte nicht fertig geschrieben habe. Sie wartet auf eine fortsetzung. Also, träumt, dass die schwarten krachen, rabenschwestern - und brüder! :dafuer: :genau: :halloween: :traum: :lol:

lg morgane
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

Re: sumari - rabenclan - geschichten

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Morgane- goldfabenverwebte Episoden: Du wunderschöne Regenbogenfrau!
Was kann ich freudvoll in die warmen Wellen deiner Erzählung eintauchen
und wie ganz von Selbst meine eigene Fantasie mitverspinnen :halloween: !

Volltreffer, nach einem Tag wie heute.
Ich fühle mich reich beschenkt :kuss:

Also inspirierend allemal!

Kräh, kräh, Kräh Myevolution
Bin also ich selbst die Veränderung, die ich in der Welt sehen möchte...faszinierend! (Frei nach Gandhi & Spock)