sumari - rabenclan - geschichten

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Hi alle!
Es ist jetzt, glaube ich, ein guter zeitpunkt gekommen, die geschichten, die ich um die ganze *sumari - stadt - traum - und skype - erlebnisse* geschrieben habe, öffentlich zu machen. Vielleicht inspiriert uns das für weitere erlebnisse.

DIE STADT

Der Hirte
Viele Wege führen durch den Verbotenen Wald. Keiner aus dem gemeinen Volk darf sie kennen, denn der Wald gehört nur dem Einen, der hoch oben, in der Burg auf dem schroffen Felsen, wohnt. Jagen ist ein Privileg der Herrschenden, eines von vielen. Die Gemeinen besitzen nur ein einziges, und das heißt Arbeit. Es wird ihnen in überreichlichem Maß zugestanden, immerhin. Da soll einer sagen, die Armen besäßen nichts! Wo ihnen doch so vieles zu eigen ist, wovon harte Muskeln, ein gebeugter Rücken und ein immer hungriger Magen nur ein kleiner Teil ihres nie versiegenden Reichtums ist.

Einer dieser, im Übermaß Gesegneten aber kennt die verborgenen Wege. Er durchstreift sie Tag für Tag, ohne jemals die grausame Strafe für ein solches Vergehen erleiden zu müssen. Er ist ein großer Anführer. Führt seine Truppe ohne Befehlston und ohne Stock oder Rute. Sie, die Ziegenherde, kennt ihren Herrn, und er kennt sie, liebt sie auch. Und deshalb braucht er keine herrische Stimme, um sie zu leiten. Er hat überhaupt keine Stimme. Ist stumm, seit Geburt. Nun, eigentlich hätte er schon eine Stimme. Aber sie ist rauh, ungeschult und nicht fähig, Worte und Sätze zu formen. Das nämlich hat er niemals gelernt. Keiner hat sich jemals liebevoll seiner angenommen, ihm die süß – lächerlichen Laute vorgelallt, aus deren dahin gesäuselten Vokalen und Konsonanten später einmal sinnvolle Worte, ja sogar Dichtung, Gesang oder etwa weise Abhandlungen werden können. Denn er, der Ziegenhirte Urs ist taub und deshalb stumm, gilt als blöde. In einer Weise ist er das auch. Denn Worte sind der Grundstoff des Denkens, und Worte sind ihm fremd.
Niemand kennt die Welt, die in seinem Inneren in bunten, irisierenden Farben, unglaublichen Schattierungen, fein abgestuften Gefühlsklängen, ja sogar Tönen, unerkannt und ungesagt, existiert. Ja, doch, natürlich, seine Tiere, genau gesagt, die Tiere seines Herrn, des Burggrafen. Sie sprechen seine unhörbare Sprache, geben auch Antwort. Ihre Sprache ist das Neigen des Kopfes, der sanft, verträumte Ausdruck ihrer klugen Augen, wenn er sie krault. Wenn er den Arm hebt, versammeln sie sich um ihn, wenn er winkt, folgen sie ihm, stehen völlig ruhig, wenn er ihre Euter sanft streicht, um den Milchfluss anzuregen, geben ihm gerne von ihrem Überfluss, der eigentlich ihren Zicklein zusteht. Sie verstehen einander, die Tiere und ihr Hirte, und diese Sprache bedarf keiner gesprochenen Worte.

Auf diesen geheimen Wegen, in diesem riesigen, verschatteten Reich, das niemals völlig erforscht oder vermessen wurde, ist Urs bei weitem nicht der Einzige, der sich in ihm bewegt. Da sind auch andere, niemandem untertan, ohne Besitz und Rechte, ohne Ansehen. Heraus gefallen aus dem engen Rahmen ihrer Welt, Gaukler, Diebe, Händler, Salbader, Huren und Straßenräuber, das bunte Volk der Fahrenden. So manchem fehlt ein Ohr oder sogar die Nase, Erinnerung an vergangene Strafen, denen in vielen Fällen noch andere folgen werden. Sie sind ein verschworenes Volk, von dem trotzdem ein Jeder für sich alleine kämpft. Nicht eine unverständliche Ethik hält sie davon ab, einander zu bestehlen und zu verraten, nur das Wissen um die Folgen dieser Handlungen. Denn die Fahrenden haben einen strengen Kodex, der auch Mord beinhaltet.

Manchmal führen sie auch andere mit sich, wie ein Fluss, der so manches in seinem Wasser mit sich trägt, das nicht ihm zugehört. Das zarte, elfenhafte Mädchen, still, scheu und so vollkommen nicht von dieser, ihrer Welt – wo hat es sich ihnen eigentlich angeschlossen? Keiner weiß das wirklich. Keiner braucht es wirklich. So lange es nicht zu viel aß oder ihren Zug behinderte, störte es auch keinen wirklich. Die Hure Astrid hatte sich, aus irgendeinem schwer verständlichen, sentimentalen Grund, der Kleinen angenommen, vielleicht auch nur, um sie Gewinn bringend in einer der Städte anzubieten. „Fee“, sagte sie, während sie es mit abschätzender Gutmütigkeit ansah, „du bist eine Fee, und so heißt du ab jetzt.“

Virtuelles Lagerfeuer
„Oh, gleich 9 h! Martin, bist du ein Lieber, schaust mal nach dem Kleinen, ja? Wahrscheinlich schläft er ohnehin, aber ich habe mehr Ruhe, wenn ich sicher bin. Du weißt ja, unsere wöchentliche Sitzung...“

Martins gespieltes, überdeutliches Augenverdrehen und seine spöttische Bemerkung: „Ach ja, du bist ja die Oberhexe, schau dass du dich auf deinen Besen schwingst, sonst verspätest du dich noch!“, quittiert V. Mit einem belustigten Kichern und einem zärtlichen Kuss. Dann verschwindet sie im Arbeitszimmer und setzt sich an den Computer. Schon ertönt das Dumdidum, dumdidum des skype – Signals. Die Runde ist versammelt.

Sie kennen einander nicht persönlich, nur aus einem einschlägigen Forum, das sich mit, nun ja, esoterischen Themen befasst. Sie haben vereinbart, sich einmal pro Woche zu einer Gesprächsrunde via skype zu treffen und gegebenenfalls verschiedene Erlebnisse zu besprechen oder auch sog. ASW –Experimente zu machen. Diesmal wollen sie es mit dem ouija – board versuchen.

Alle Fünf melden sich nun auf einmal, was ein ziemliches Durcheinander verursacht. Die Rähmchen um die Avatarbildchen leuchten in chaotischem Rhythmus auf, während V. Schon mal das board zurecht rückt und den Finger auf die Planchette legt. Die beginnt sofort wild herum zu fuhrwerken. Es bleibt V. nicht mal richtig Zeit für einleitenden Smalltalk.

„Also, wenn ihr daran interessiert seid, ich habe da schon etwas bekommen, während ihr geplaudert habt. Es ist aber ein ziemliches Gestammel.“

„Na klar, lies vor, das ist ja ungeheuer spannend!“, schreit M., die es nicht erwarten kann, in ihrer Neugierde. Sie selbst hätte ja schon oftmals mit dem board experimentiert, aber leider will es ihr alleine nicht so recht gelingen.

„Also hört, aber, wie gesagt, seid dann nicht enttäuscht, es ist sehr wirr“:

Vor langer Zeit in Europa
Vieles ist anders
Wir stehen zusammen
Wir sind einsam
Wir sind fünf
Wir sind fünf
Wir sind an guten Orten
Norden ist ein guter Ort

Wieder rufen alle durcheinander. Sie sind verblüfft. Sollte sich das wirklich auf sie beziehen? Immerhin sind sie fünf.

„Wartet, es geht noch weiter“, unterbricht V., die Frau am Brett, den Begeisterungsausbruch.

M. ist Hirte
Kirche in der Klamm
Hirte von Feuer
Urs war sein Name.

Urs war Hirte im Wald
und hatte viele Ziegen
Wilde Herde
Keine - ? -


Urs war wild
Wild und tumb
Urs war taub
Wild und taub
Hirte von Feuer und von Fee..........................................................................................................................

Schweigen im skype – land. Verblüffung. In welch wilde Geschichte sind sie da unversehens hinein geraten?

„Mittelalterliche soap opera, scheint‘s“. E. Versucht, ihre Verblüffung unter trockenem Sarkasmus zu verbergen.

„Wie eine Moritat, von einem Bänkelsänger vorgetragen“, sagt M.

G., behält am ehesten den Durchblick. Sie meint, dass das ganze mit der Zeit sicher deutlicher und verständlicher werden wird.

A. schweigt. Sie ist noch zu mitgenommen von all den Informationen. Sollten sie einander wirklich schon getroffen haben, in anderen Leben, in anderen Zeiten?

In das beredte Schweigen hinein ertönt Vs. Stimme: „Was soll das mit der Stadt? Sind wir die Fünf, der Rabenclan? Wir sollen eine Stadt bauen, wie denn? Also, ich versteh‘ das nicht!“

„Wartet mal. Ich habe da so eine Idee“, sagt G., "aber haltet mich nicht für verrückt. Was, wenn wir das Spiel einfach mitspielen....?“

E. fragt: „und wie stellst du dir das vor, mitspielen?“

G. antwortet: „Nun, wir könnten einfach eine Traumstadt bauen oder eine Fantasiestadt, also, ich meine, natürlich nicht materiell, sondern im Geiste, alle miteinander und sehen, was dann geschieht, ob das die Geschichte irgendwie verändert. Was meint ihr?“

Während dessen hat Vs. flinker Zeigefinger schon wieder ganze Arbeit geleistet.

Ja Rabenklan
ja fünf
ja Stadt Fee

„Ja, dann werden wir uns mal an die Arbeit machen“, sagte M. in ihrer gewohnt, praktischen Art. „Womit sollen wir beginnen? Welche Form geben wir der Stadt? Rund, quadratisch, rechteckig?“

Man einigte sich sehr schnell auf rund, rund schien eine runde Sache, und ein markanter Mittelpunkt, ein spirituelles Zentrum womöglich.

„Oh ja!“, rief G. begeistert, „eine Pyramide, was haltet ihr von einer Pyramide?“

Diese Idee rief allgemeine Begeisterung hervor, und man einigte sich schnell auf sie als zentrales Element der Traumstadt.

Das war natürlich eine Motivation, sich erneut auf eines ihrer virtuellen Lagerfeuerprojekte zu konzentrieren, „luzides Träumen“, wo es darum geht, sich des Träumens im Traum bewusst zu sein und es deshalb auch bewusst steuern zu können.

„Gute Güte!“, rief M., „das ist einer meiner vielen Schwachpunkte. Daran arbeite ich schon so lange, leider ohne Erfolg. Ich glaube, auf meine Hilfe beim Bau der Pyramide könnt ihr nicht vertrauen, solange ich das nicht schaffe. Aber ich werde mein Bestes tun, vielleicht gelingt es mir ja.“

In dieser Nacht gab es fünf Frauen mittleren und gesetzteren Alters, die mit allen Kräften versuchten, ihren Körper in den Schlaf zu versetzen und ihren Geist wach und bewusst zu halten, empfohlenerweise mit dem Kopf nach Norden. M. lag dabei, zum wievielten Mal eigentlich, ihrem Ehegespons zu Füßen, weil ihr Bett das Kopfteil im Süden hatte. Ob ihnen dabei wohl Erfolg beschieden war?
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

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Wittys wilde Insel
Die große Pyramide stand in der Mitte des Vulkans. „Mitte des Feuers“ ist die Bedeutung ihres Namens, und in der Mitte des Feuers war sie erbaut worden. Wann? Das war bedeutungslos im Angesicht des sich drehenden Feuers, des Silberrades, das vom Himmelsstier in stetiger Bewegung gehalten wurde. Zunehmend und abnehmend, Geburt, Tod und Wiedergeburt, Aufstieg und Abstieg, immer wieder und immer gleich. Die Labrys, die zeremonielle Doppelaxt, zeigte immer eine ihrer zwei Schneiden, die eine für das Werden, die andere für das Vergehen.
Von wem sie erbaut worden war? Von den Leuchtenden, die einst auf Schiffen über das Meer gekommen waren, weil ihre Heimat versank. Mit in ihrem Gepäck hatten sie großes Wissen und Weisheit, ihre Priester lehrten das Inselvolk Landbau und Sternenkunde, Heilkunst und Magie. Nun waren sie verschwunden. Ihr Wissen aber lebte weiter in den Tempeln von Thera und in den geheimen Hallen der Pyramide.
Der Hirte des Feuers hatte das Feuer zu hüten, das auf der obersten Plattform der Pyramide niemals erlöschen durfte. Wenn das geschah, so hieß es in der Überlieferung, dann war das das Ende. Der Hirte des Feuers hatte auch den Himmelsstier zu hüten, der das Rad des Universums am Laufen hielt, den Minotauros. Er bekam nur das allerbeste Futter. Selbst, wenn die Ernte mager ausgefallen war, was in den letzten Jahren öfter vorgekommen war, wenn die Menschen ihr Brotgetreide mit Kleie strecken mussten, der Minotauros durfte niemals darben, denn er war der Garant für die Fortdauer ihrer Kultur.
Nun aber hatten die Sterndeuter beunruhigende Beobachtungen gemacht. Es hieß, das drehende Feuer hätte seine Stellung verändert, und das Feuer, das im Inneren des Berges seit Ewigkeiten schlief, begänne sich zu rühren. In der Wand der Großen Pyramide war sogar ein Riss entstanden. War das ein Zeichen, dass das Undenkbare bevor stand? Verlor der Minotauros nun die Kraft, den Himmel zu stützen, trotz der jährlichen Stierspringer – Feste, die immer ein Opfer für ihn unter den besten jungen Leuten der Insel forderten, trotz der Verehrung, die man ihm entgegenbrachte?
Die Priesterin zog schaudernd ihren Umhang fester um sich. Es fröstelte sie, trotz der Hitze, die vom Feuer auf der Pyramide ausging. Das stramm sitzende Oberteil, das die Brüste der Frauen frei ließ, wärmte sie nicht genügend. Aber nichts hätte vermocht, die Kälte, die in ihr aufstieg, zu vertreiben. Nun war es also so weit. Die Zeit war gekommen, den Himmelsstier zu töten, damit ein anderer seinen Platz einnehmen und den Untergang verhindern konnte. Und das war ihre Aufgabe. Sie hatte immer gehofft, dass diese Situation niemals eintreten würde, zumindest nicht in der Zeit ihrer Priesterschaft.

Töte, töte für das Leben,
fälle, was fallen muss,
wenn der Blutmond aufsteigt,
muss sein Blut fließen....
.
Das war der uralte Gesang, den sie sangen, in den verborgenen Räumen der Großen Pyramide. Er hallte in ihrem Kopf wider, dass sie meinte, den Verstand zu verlieren. Trommeln, Zimbeln, Trompeten steigerten sich zu einer dröhnenden Kakophonie, während der Minotauros über innere Rampen zur obersten Plattform der Pyramide geführt wurde. Es war die Aufgabe seines Hirten, ihn dort hin zu bringen, wo er sein Leben für das Leben des Volkes geben sollte. Der Hirte liebte das Tier, das ihm anvertraut war. Für ihn war es nicht so sehr das vergöttlichte Wesen, sondern eine fühlende Kreatur, die von ihm abhängig war und ihm vertraute. Und das machte sein Herz schwer und seine Augen nass.

Nicht nur das Herz des Hirten war schwer, sondern auch das der Priesterin, als sie den Mann und den Stier, der sich vertrauensvoll von seinem Hüter führen ließ, auf der Plattform ankommen sah. Das Tier hatte Zeit seines Lebens nur Gutes von seinem Hirten erfahren, und so ließ es sich ohne Widerstand zum Feuer führen. Die Priesterin hatte ihre Haltung und ihre Züge unter Kontrolle, das war eine Folge der jahrelangen Übung. Wie gerne hätte sie heute auf all ihre Privilegien verzichtet und das Leben einer einfachen Frau geführt, um dieser schweren Aufgabe zu entkommen. Aber Entscheidungen waren getroffen, Wege eingeschlagen worden, und nun führte kein Weg zurück. Es ging um das Überdauern ihrer Insel, ihres Volkes. Was waren dagegen ihrer beider Gefühle oder Wünsche? Ein Saatkorn im Wind, dessen sich das Getreidefeld nicht einmal bewusst ist, wenn es über seine Ähren hinweg geweht wird.

Nun hob die Priesterin ihre Arme zu der uralten Anrufung der Großen Göttin von Leben und Tod:

"Dunkle Mutter, Hekate,
Blutmond, ich rufe dich!
Dunkle Mutter Hekate,
nimm unser Opfer an.
Dunkle Mutter Hekate,
gib Leben für Blut,
erhöre uns!"

Dann hob sie die schwere Doppelaxt, die Labrys, hoch über ihren Kopf. Das rötliche Licht des Blutmondes schimmerte auf der Doppelklinge wie eine Vorahnung des Blutes, das sie bald beflecken würde. Mit einem Schrei ließ die Frau die Axt auf den Nacken des bulligen Tieres nieder sausen. Es brach sofort in die Knie. In diesem Augenblick zog die Priesterin die scharfe Klinge ihres Opfermessers über den Hals des Tieres, worauf ein Blutschwall sie traf und Gesicht und Kleidung rot färbten.
Als der Stier zusammengebrochen war, brach auch sein Hirte ohnmächtig nieder. Sein Leben war seit jeher verbunden gewesen mit dem seines Schützlings. Nun war seine Kraft erschöpft. Er sollte sich nie wieder erholen. Auch das Feuer vernachlässigte er derart, dass es bald darauf wirklich erlosch.
Das Feuer im Inneren des Berges aber erhob sein furchtbares Haupt, aus dessen Rachen es Asche und Lava spie. Die Sternenperiode des Stieres war vorbei. Eine neue Zeit erhob sich über den Horizont, das Zeitalter des Widders. Aber daran hatten die Minoer keinen Anteil mehr. Ihr Land und seine lebensfrohe Kultur versank in einem riesigen Krater, dessen Spitze noch heute als Insel inmitten eines vom Meer gefüllten Kraterrandes aufragt. Santorin wird sie heute genannt.

Virtuelles Lagerfeuer 2
Dumdidum, dumdidum…. „ 21h, meine Damen, wo bleibt ihr?“ Es ist G. welche die Anderen ums Lagerfeuer versammelt. Vs kleiner Sohn hatte gefunden, es sei noch gar nicht an der Zeit zu schlafen und seine Mutter mit der Forderung nach noch einer Geschichte, noch was zu trinken, pipi gehen und diversen, beliebten und bekannten Verzögerungstaktiken noch ein wenig in Anspruch genommen. E. hatte sich fest gelesen in einem neuen Buch, M. und A. hatten auf Gs. Signal gewartet.

„Ich habe heute klar geträumt“. Leise, fast schüchtern klingt Vs Skypestimme. Sie weiß, dass die anderen sich damit schwer tun und kennt ihre bescheidenen Versuche, in diesem Metier erfolgreich zu sein. Fast ist es ihr peinlich, schon wieder *die Übersinnliche* zu sein. Und ja, in einer Weise empfinden die vier Anderen das auch als Misserfolg ihrerseits, andererseits aber auch als Ansporn, ihre eigenen Bemühungen zu intensivieren. Es weht ein ganz klein wenig Klassenzimmerluft ums Lagerfeuer.

M. berichtet über ein winziges Erfolgszipfelchen. Sie hat im Traum durch das Laubwerk den Ort erspähen dürfen, auf dem ihre Stadt erbaut werden soll.
„Die ganze Szenerie wirkte aber wie im Nebel, so als hätte sie noch nicht wirklich Gestalt angenommen“, beschreibt sie ihr Erlebnis, was hektisches Blinken der Bildrähmchen zur Folge hat und einige Ah’s und Oh’s der Versammelten.
„Leider konnte ich aber keine von Euch erkennen. Nein, stimmt gar nicht, da war jemand. V. warst du das?“
„Weiß nicht, vielleicht“, sagt V. unsicher. „Ich war jedenfalls in einem Raum, glaube ich zumindest, weil ich die Wände nicht richtig erkennen konnte, sie wirkten irgendwie nicht ganz materiell, so als wären sie als Blaupause schon erkennbar, aber noch nicht wirklich in Erscheinung getreten. Weil ich aber wusste, dass ich träume, hat mich das nicht gestört. Ich habe jedenfalls meine Initialen in eine dieser Wände geschrieben, nein, nicht geschrieben, geritzt, genauer gesagt.“

Die Ah’s und Oh’s steigern sich in ihrer Intensität.

M. meint: „Die Gestalt – ich habe sie leider nur so vorbei wehen sehen, wie einen Schemen – schien rothaarig. Aber etwas an ihr….. ich weiß nicht…… ich glaube, ihre Brüste waren zu sehen….. also nicht bedeckt, so wie ein zu großes Dekollete irgendwie. …. Ich weiß auch nicht…..“

„Oh!“, E. schreit es fast heraus. „Jetzt fällt es mir wieder ein, fast wäre mir dieser Traum entfallen! Aber ich hatte ja auch ein sehr aufregendes Wochenende. Dieser Schamane, sage ich euch, der hatte es wirklich drauf. Aber das erzähle ich euch ein andermal. Jedenfalls hatte ich in der Nacht von Sonntag auf Montag diesen Traum. Ich sah eine Frau, sie trug in jeder Hand eine Schlange und genau dieses komische Dekollete. Das ich das nur vergessen konnte!“

A., in ihrer ruhigen, besonnenen Art sagte in die entstandene Stille hinein: „Aber natürlich, das kenne ich. Ich bin erst kürzlich, beim googeln nach der passenden griechischen Insel zum Urlaub machen, zufällig darauf gestoßen. Wartet mal, was war es nur…… , gleich hab’ ich es……., ach ja, *Minoische Kultur*, genau, ca. 1600 v. Chr….

Sie wurde von G. unterbrochen, was sonst gar nicht ihre Art war. Hektisch rief sie: „Warte mal, war da nicht etwas in Vs. Durchsagen auf dem Ouijaboard? Etwas mit wilde Insel…. Wartet mal, ich such es raus.“

E. sagt: „M., bist du sicher, dass die Frau rothaarig war? Ich meine, die Südländer sind doch im allgemeinen dunkelhaarig und nicht rot.“

Darüber ist sich M. aber ganz sicher. Rothaarig, das konnte sie klar und deutlich erkennen.

Schon meldet sich G. wieder zurück: „Hier ist es,

*Woddan steht fuer den Gott von Thera
Wo steht Wittys wilde Insel*………. *Wir suchen Stiermenschen, Stiermenschen*

Ob Witty wohl rothaarig sein könnte?“

A.: „Aber Witty war doch im 15. Jahrhundert. Das ist verwirrend.“
G.: „Und wenn Witty so eine Art Überseele wäre?“
E.: „Aber wir haben unsere Stadt doch in die Zukunft gebaut. Wieso ist jetzt dort eine minoische Frau, Witty oder was weiß ich?“
In die entstandene Pause hinein hört man jetzt Ms. Stimme: „Ja, aber diese Stadt ist ja noch nicht auf der physischen Ebene erschienen. Also ist sie auch noch nicht in Zeit und Raum verankert. Also könnten dort auch, von mir aus, Dinosaurier auftauchen. Oder irre ich mich?“

Das muss immerhin bedacht werden. Deshalb beschließt man, für heute Schluss zu machen und sich verstärkt dem Klartraumtraining zu widmen: http://www.youtube.com/watch?v=uJn1Ud6O0dk&NR=1
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

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Die Liebenden
Als der Vulkan die Insel Thera begrub, verließen auch die Raben, die die Spitze der Pyramide seit undenklichen Zeiten umkreist hatten, die Stätte der Zerstörung. Sie flogen nach Norden, denn Norden ist ein guter Ort.
Auf ihrem Flug durch Wind und Wolken und über das Meer der Zeit wurden sie von einem Ruf geleitet, der sie sicher an ihrem Bestimmungsort landen ließ. Von wem dieser Ruf ausging? Von einer, die nicht einmal wusste, dass sie es war, die ihn ausgesandt hatte, von einer, die ihre vielen Gestalten nicht kannte, noch nicht kannte.

Was sie aber kannte, war ihre tiefe Verbindung mit allem Lebendigen, mit den Bäumen des grenzenlosen Waldes, mit dem Wasser der Bäche, die ihn durcheilten, den bemoosten Steinen, den Farnen und Blumen, dem weichen Moos, den unzähligen Tieren, groß und winzig, mit dem Wind in den Bäumen, den Wolken in immer wechselnder Gestalt, dem Donner, dem Regen und Sonnenschein, dem Wechsel der Jahreszeiten, dem Wachsen und Schwinden und den Gezeiten des Mondes in ihrem Blut.

Den Menschen fühlte sich das Mädchen, das sie Fee nannten, nicht so sehr verbunden. Sie waren ihr immer ein wenig rätselhaft geblieben in all ihren Strebungen, in ihrer Unterteilung in Herr und Knecht, Reich und Arm. Auch den Wert, den sie klingenden Münzen zumaßen, hatte sie nie verstanden. Da sie den Menschen aber ins Herz sehen konnte und egal, ob unter Samt und Seide, klirrenden Rüstungen oder Schmutz starrenden Lumpen immer das wahre Wesen erkannte, betrachteten die Menschen sie mit Argwohn. Da war es gut für sie, im Kreis anderer Außenseiter untergetaucht zu sein. In diesem Vexierbild aus Buntem, Lautem, Absonderlichem und Zwielichtigem fiel ihre durchscheinende Gestalt nicht so stark ins Auge. Das bot einen gewissen Schutz - und Astrid. Sie hätte sie verteidigt wie eine Wölfin ihr Junges, denn sie hatte das Herz einer Wölfin, verborgen im schrillen Kleid einer Hure.

Fee kniete am Rande der Lichtung, wo zur Zeit die wunderbar süßen Walderdbeeren wuchsen, die Astrid so liebte. Sie hatte sich aus Rinde und Gras ein Körbchen geflochten, in das sie die Beeren sammelte. Völlig versunken in ihre Tätigkeit, vor sich hin summend im träge machenden Mittagslicht der Sonne, wurde sie plötzlich von einem ungewohnten Laut aufgeschreckt. Es war das Meckern einer Ziege. Als sie sich erschrocken erst die Strähnen ihres honigblonden Haares zurück strich, die ihr vors Gesicht gefallen waren, sah sie, dass sie inmitten einer Ziegenherde kniete, die, von ihr unbemerkt, auf die Lichtung gekommen sein musste. In ihrer Mitte stand eine Gestalt, unbeweglich, stumm, und sie lächelte. Dieses Lächeln war es, das im selben Augenblick all den Schrecken, den das unvermutete Erscheinen des fremden Mannes in Fee erregt hatte, zerfließen ließ, wie Nebel im Sonnenlicht. Dieses Lächeln fand, ganz ohne Worte, sofort Zugang zu ihrem Herzen. Es setzte sich darin fest und blieb darin wohnen für immer.

Das war nicht so ganz selbstverständlich, denn das Aussehen des Mannes war nicht eben Vertrauen erweckend. Er trug eine Hose aus Ziegenfell, der Oberkörper war nackt und braun gebrannt, und sein dichtes, dunkles Brusthaar ringelte sich fellartig auf einem ausgeprägt muskulösen Oberkörper. Mit seinem, ebenfalls fast schwarzen Bart und Kopfhaar wirkte er fast wie ein Ziegenbock, nur ohne Hörner.
Immer noch stand er unbeweglich und stumm. Denn stumm war er, taub und deshalb stumm.

Wie soll man beschreiben, was im Kopf eines Menschen vorgeht, der nicht gelernt hat, zu sprechen? Wie denkt ein Mensch, der keinen Begriff hat für Baum, Tier, Himmel, Mädchen, Zuneigung, Verlangen? Er, der seit seiner Kindheit mit den Ziegen hier im Wald umher streifte, hatte nie gelernt zu unterscheiden, was er und was außerhalb seiner war, wie die anderen Menschen da draußen, in einer ihm unverständlichen Welt. Er war kein Ich, abgeschnitten von den Nicht - Ichs seiner so genannten Umwelt. So gesehen hatte er einen wichtigen Entwicklungsschritt der Evolution nicht mitgemacht, das Heraustreten aus der symbiotischen Verbindung mit der Natur. Er war Baum und Tier, Wasser und Fels, Wind und Feuer. Ja, Feuer! Es machte ihm Angst und faszinierte ihn gleichzeitig. Die ungeheure Hitze und die Kraft, die es verbreitete – diese Kraft, die auch die seine war, ununterschieden von seinem Ich, erschreckte ihn. Aber er hatte es zu hüten, hier im Wald, wo die Ziegen nächtens eingepfercht waren. Es bot Schutz gegen wilde Tiere, Bären und Wölfe, und es wärmte auch.

Und da war….. es….. das erste mal ein Gefühl des Nicht – ich, so überraschend, so fremd und doch so vertraut, verwirrend. Schön – dieser Ausdruck war ihm nicht bekannt, aber gut riechend. Wenn etwas angenehm, schön, lustvoll war, dann empfand der Hirte es als guten Geruch. Ahhhhh, gut riechend, jaaaa! Näher ja, oh, gut, das will er haben, geht auf diesen guten Geruch zu. Der bleibt stehen, flieht nicht vor ihm, wie die anderen, macht das mit dem Mund und den Augen, was auch gut riecht (Lächeln). Urs will, will……, ja……, riecht wie einst Mutterbrust, sanft, behütend, Magen und Herz nährend. Ist gut, gut, macht warm.


Es, das Gute, Warme, Wohlriechende, bewegte die Lippen, wie Urs es von den Anderen, denen da draußen, auch kannte. Seltsam, unverständliches Verhalten! Wozu? Aber bei diesem Wesen war es wunderschön (gut riechend). Langsam, scheu und ganz vorsichtig hob der Taubstumme seine Hand und berührte zart ihren Mund. Jetzt käme sicherlich und völlig unvermeidlich das, woran er gewöhnt war, wenn er mit den Anderen Kontakt suchte. Sie bewegten dann ihre Lippen schnell, ihre Gesichter verzogen sich zu bösen Fratzen, manche stießen ihn auch grob von sich. Deshalb zuckte er auch gewohnheitsmäßig zurück, verbarg sein Gesicht in den Händen und erwartete, was kommen musste, immer kam, unausweichlich wie der Donner nach dem Blitz. Wie hatte er auch nur so dreist sein können und ihr nahe kommen wollen!

Als nichts geschah, lugte der Hirte vorsichtig zwischen seinen Fingern hervor. Das Mädchen……. lächelte! Nein, die Grimassen des Zornes kannte er, die waren anders, fühlten sich kalt und spitz an wie Eisennägel. Dies aber….. oh, es machte Bauch und Brust weit, behaglich, wie wärmende Glut im Ofen oder eine wollene Decke in der Nachtkälte! Befreiend und erlösend erschien nun auch auf dem Gesicht des einsamen Mannes ein glückliches Lächeln, und eine Träne suchte sich ihren Weg durch die Falten eines sonnengegerbten Gesichtes. Sie war nur die Vorhut. Denn als nun das Mädchen Fee gleichermaßen sein Gesicht zart berührte, öffneten sich die Schleusen zu seinem Inneren, und daraus hervor brachen sich alle Verletzungen Bahn, die ihm seit frühester Jugend von den unwissenden Menschen zugefügt worden waren. Nein, hören hatte er nie können, was sie riefen: „Dummkopf, Blöder, Trottel“, das waren noch die freundlichsten Bezeichnungen. Aber ihre Mienen und Gesten sprachen deutlicher als alle Worte. Deshalb hatte er sich zurück gezogen von den Menschen. Die Tiere nahmen ihn als das, was er war, ein treu sorgender, ihnen liebevoll zugewandter Freund.

Keiner wusste von der heimlichen Liebe des ungleichen Paares. Es war ihr Geheimnis, und das sollte es auch bleiben. Sie taten gut daran. Denn den Menschen im Dorf um die Burg war der wilde Hirte nicht geheuer. Sie dachten keinen Augenblick daran, dass seine Wildheit ihren Ursprung in ihrer Ablehnung hatte. In diesen Zeiten spukte eine Schreckgestalt durch ihre Köpfe. Die Kirche tat das Ihrige dazu, diesen Spuk gehörig auszumalen, die Angst davor tunlichst zu fördern, denn aus ängstlichen Seelen nährte sich ihre Macht. Der Satan, der Teufel, die unheiligen Mächte der Finsternis, die nichts Anderes im Sinn hatten, als alle Menschen in ihren finsteren Schlund zu reißen, in die ewige Verdammnis. Er verkörperte das, was die Kirche damals aus den Menschen auszutreiben gedachte, auf dass sie, rein, vergeistigt und keusch in die himmlischen Gefilde eingehen konnten. Die Triebe, die sinnlichen Gelüste, das Streben nach weltlicher Erfüllung, all das galt als tierisch, und dergestalt wurde es auch dargestellt, als Fell bedeckt, mit dem Gehörn der Fruchtbarkeit verheißenden Sexualität.

Der arme Urs schien all das zu verkörpern. Seine fehlenden Hörner machte ein prächtiger Ziegenbock mehr als gut. So wurde der naive Hirte zum Bildnis der Ausdünstungen ihrer abergläubischen Gehirne, und manch einer kreuzte zur Abwehr die Finger hinter dem Rücken, wenn er ihm begegnete.

Der Sommer voller unschuldiger Leidenschaft in weichem Moos, auf sonnengesprenkelten Lichtungen und in geheimnisvoll verschattetem Dunkel des Waldes neigte sich seinem Ende zu. Für Urs trug jetzt jeder Stein, jeder Strauch und Baum, jeder Weiher eine eigene Bedeutsamkeit, als wäre ihnen das Bild von Fee unauslöschlich aufgeprägt. Mit der Geduld einer Mutter hatte sie immer wieder seine Finger auf ihre Lippen gelegt und überdeutlich den Namen der Dinge ausgesprochen. Nicht, dass er die Worte nachsprechen hätte können. Nein, so weit ging seine neue Fähigkeit, die Dinge als getrennt von sich, als eigene Wesenheiten wahrzunehmen nicht. Das war auch nicht nötig. Sie verstanden einander ohnehin ohne Worte, weil ihre Seelen sich berührten.

Als die Blätter sich verfärbten und mit dem Herbstwind tanzten, war die Zeit der Leichtigkeit vorüber. Urs kehrte mit der Herde in den Gutshof zurück. Fees Leib rundete sich merklich. Das blieb zuerst einmal Astrid nicht verborgen. Zum einen, weil sie eine Frau war und für solche Dinge einen Blick hatte, zum anderen, weil sie so etwas schon geargwöhnt hatte, als ihr Findelkind dem Lager der Gaukler tagelang fern geblieben war. Man hatte ja schließlich Augen im Kopf!
„Hast du mir etwas zu sagen, Fee?“, fragte sie, um Strenge bemüht.

„Sag mir, wann hast du zuletzt geblutet?“

Ja, wann eigentlich? Fee versuchte sich zu erinnern, aber die lichtvollen Tage des Sommers verschmolzen in ihrer Erinnerung zu einem einzigen, glücklichen Tag. Astrid griff mit kundiger Hand auf den sich rundenden Bauch von Fee und erblasste. Die Schwangerschaft musste mindestens fünf Monate andauern!

„Oh, großer Wotan, Herr der Raben!“, schrie sie entsetzt auf, alle Vorsicht vergessend und diesen verfemten Namen laut rufend, „Kind des Wahnsinns, wer ist der Vater dieser verbotenen Frucht?“

Fee nannte seinen Namen in aller Unschuld. Astrid schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Fee, Kind, versprich mir, dass das unter uns bleibt. Niemand darf erfahren, wer deinen Bauch rund gemacht hat. Sie werden dir sonst den Garaus machen, dessen kannst du dir sicher sein!“

Und Fee schwieg eisern. Das ja. Aber die Sehnsucht nach ihrem stummen Freund wurde von Tag zu Tag drängender. Sie musste es irgendwie anstellen, ihn heimlich zu treffen.

Gerade zu dieser Zeit waren die Kornspeicher nicht so voll geworden, wie in anderen
Sommern. Die Ernte war mager ausgefallen, weil es zu wenig geregnet hatte. Dazu hatten im Gutshof zwei Kühe verworfen und tote, missgestaltete Kälber zur Welt gebracht. Das allein hätte schon genügt, den Gehörnten und seine Schwefel dünstende Gefolgschaft hinter all dem zu vermuten. Hätten die Leute das Nahe liegende, nämlich den Hunger, bedacht, dann wären ihre Köpfe kühl geblieben. Dazu kam noch, dass der einzige Sohn der Fürstin, der einzige Thronfolger am Scharlachfieber starb. Er war gerade vier Jahre alt. Das entzündete das Strohfeuer des abergläubischen Wahnsinns wie ein Blitzschlag. Es musste eine ungesühnte, weil unentdeckte Sünde in ihrer Mitte sein. Die wollte entdeckt und mit Stumpf und Stiel ausgerottet sein, damit der böse Fluch von ihnen genommen würde.

So nahm das Unheil seinen Lauf. Fee war in all ihrer Sehnsucht unvorsichtig geworden, und ihre Liebe wurde aufgedeckt. Jetzt endlich war die Schuldige gefunden!

„Schamlose Metze! Satansbuhle!“

„Seht, sie war es, sie hat mit dem Fürsten der Hölle gehurt und trägt nun seine verworfene Frucht im Leib! Sie und die ganze Gefolgschaft des unheiligen Wotan muss vernichtet werden!“

„Sie hat sicherlich Unheil bringende Zauberrunen geritzt. Gestehe, Metze, wo hast du die Runenstäbe versteckt?“

„Der Fürst und der Bischof müssen sie richten. Bringt sie auf die Burg!“

So schrie die aufgebrachte Menge durcheinander. Aber eigentlich war niemand an einem Urteil interessiert. Sie hatten es längst gesprochen. So wälzte sich ein wütender, chaotischer Haufen den steilen Weg zur Burg hinauf. Auf halbem Wege wand sich der Steig um einen schroffen Felsen herum, im Volksmund Wotansfelsen genannt, dessen eine Seite steil zum Klammbach abfiel. Hier gelang es Fee, sich aus dem Klammergriff des sie führenden Mannes zu befreien. Er war gestolpert und hatte sie einen Augenblick lang los gelassen. In wilder Panik stieg das arme Mädchen höher und höher. Keiner wagte, ihm zu folgen.

„Urs, rette mich, hilf mir!“, schrie sie in Angst und Not. Doch Urs war machtlos. Keiner getraute sich, ihn anzufassen. Wer weiß, welch teuflische Macht in ihm stecken mochte! Es gelang ihm deshalb, seiner geliebten Fee nachzuklettern. Oben auf dem höchsten Gipfel standen sie, aneinander geklammert wie Schiffbrüchige. Das waren sie ja auch in gewissem Sinne, Gestrandete in einer tobenden See aus Hass und Wut.
In einem Augenblick der Unachtsamkeit tat Fee einen Fehltritt, rutschte aus und stürzte haltlos in die Tiefe. Im Aufschrei der Menge ging das Wehgeschrei von Urs unter. Ein einziges und letztes Mal in seinem Leben hatte er seinem Schmerz eine Stimme gegeben, unartikuliert und rau. Keiner hörte sie. Und Fee, ach geliebte Fee, die erste und einzige Liebe seines kläglichen Lebens, sie lag mit gebrochenen Gliedern im Klammbach, halb tot und tot auch das werdende Kind, die Frucht dieser einzigen, glücklichen, süßen, bitteren, verbotenen Liebe.

Da wollte Urs nicht mehr leben.

„Haltet euch fest, heute Nacht war ich in der Stadt!“ schreit M. aufgeregt, als die Skyperunde eröffnet ist. Sie ist so voller Enthusiasmus, dass sie nicht einmal den einleitenden Begrüßungs – smalltalk abwarten kann. Damit, dass aber eine andere Teilnehmerin, nämlich E., ebenfalls da war und auch G., hat sie natürlich nicht gerechnet. V. musste pausieren, ihr kleiner Sohn hatte etwas Fieber gehabt und war deshalb unruhig und ein wenig quengelig.

G. fragte: „Wo wart ihr beiden denn, ich habe euch nicht gesehen?“, worauf E. lachend antwortete: „Na, wenn du dich in deinem Ibukock – Häuschen vergräbst, siehst du natürlich nichts sonst! Ich war auch in meinem Haus. Das muss ja schließlich wohnlich eingerichtet werden.“

M. erzählt: „Um mein Haus kümmere ich mich später. Ich wollte die Pyramide ausgestalten. Deshalb habe ich auf der oberen Plattform eine Pyramidenkonstruktion aus Kupferstäben errichtet mit oben drauf einer Spitze aus Bergkristall. Die funkelt und leuchtet und bricht das Sonnenlicht in allen Spektralfarben. In der Konstruktion ist ein sarkophagartiges Bett aus Alabaster mit Lustralwasser gefüllt. Wenn man sich da hinein legt und jemand singt die heilenden Klangschwingungen, die über eine Art Stimmgabel ins Wasser übertragen werden, erkennt man die Ursache seiner Krankheit und wird auch geheilt. Ach ja, auf dem Sarkophag ist Gs. Kachel mit dem Äskulapstab

„Wo hast du denn das her?“ fragt E. erstaunt.
„Das hab ich mir so ausgedacht“, sagt M., „In einer ausgedachten Stadt kann es doch auch ausgedachte Heilmethoden geben, oder nicht?“

Dagegen kann niemand etwas einwenden.

Erst jetzt lässt auch A. von sich hören. Sie sagt: „Also Mädels, wenn das so ist, dann lege ich mich heute Nacht in dieses Sarkophagdings. Mein Bein quält mich, das ist nicht mehr feierlich. Hoffentlich komme ich mit diesem Bein auf die oberste Plattform!“

„Aber A., das ist doch kein Problem!“ ruft M. enthusiastisch, „im Inneren der Pyramide gibt es einen Antigravitationsaufzug. Damit levitierst du mir nix dir nix in die Höhe! Da schießt du hoch, so schnell kannst du nicht einmal *paff* sagen.“

Allgemeiner Heiterkeitsausbruch. Manch eine sieht A. wie eine Rakete in den Himmel schießen.

„Ja“, fährt M. fort, „jedes Stockwerk der Pyramide entspricht einem bestimmten Klang und einer dazu gehörigen Farbe. Die Fußböden des jeweiligen Stockwerkes sind aus dem Stein, der dieser Farbe entspricht, also rotem Marmor, orangem Karneol, gelbem Zitrin, grünem Malachit, hellblauem Kalzit, dunkelblauem Lapislazuli, violettem Amethyst und ganz oben golden. Die Fenster jedes Stockwerkes reichen vom Boden bis zur Decke, um das Licht einzulassen und die Farben zum Strahlen zu bringen. Im Inneren befinden sich Gemeinschaftsräume, Theater, Musikräume, Museen, eine große Bibliothek, die alles Wissen und Weisheit beinhaltet. Hier gibt es Bücher aus Papier, virtuelle Bücher und solche aus Kristallstäben, die, wenn sie berührt werden, ihr Wissen direkt vermitteln.
Wenn jemand Disharmonie verspürt, kann er mittels der verschiedenen Klänge und Farben der verschiedenen Ebenen seine geistige und körperliche Harmonie wieder herstellen. Dann gibt es noch…….“

„Gnade, M., du sprudelst ja über vor Ideen! Lass uns ein wenig Zeit, und überfahr uns nicht!“

A meint: „Lasst uns erst einmal das ganze auf der Traumebene ins Leben träumen. Ich jedenfalls bin heute Nacht im Alabastersarkophag zu finden, sollte mich jemand suchen. Gute Nacht allseits.“ worauf ihr Rähmchen erlischt. Die Runde löst sich für heute auf. Die Träume warten.
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

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4
Heimkehr
Die Raben flogen wieder nordwärts. Urs waren Raben nicht geheuer. Sie pickten den Gehängten auf dem Galgenhügel die Augen aus, so dass sie aus blutigen Höhlen ins Nichts starrten. Sie waren ihm widerwärtig. Aber die Raben bedrängten ihn. Zerrten mit spitzen Krallen an seinem Haar, hüpften um seine Füße, drängten ihn, ihnen zu folgen. Aber wie sollte er ihnen folgen? Hier war Fee, sterbend, schon mehr tot als lebendig. Er konnte sie doch nicht alleine lassen! Etwas in seinem dumpfen Kopf bewog ihn aber, das zerbrochene Wesen sanft auf die Arme zu nehmen und den Raben zu folgen.

Durch Wald und Heideland, durch Buschwerk, Moor und über Felsen leiteten die Raben den Hirten mit dem sterbenden Mädchen Fee auf den Armen. Ihr leises Wimmern war für ihn unhörbar, aber die Farbe ihres Gesichtes glich zunehmend der des bläulich – weißen Eises im Winter. Und da war ihr Geruch. Sie roch nach Tod, so wie ein verendendes Tier oder ein sterbender Baum. Das Leben hatte seinen Geruch und auch der Tod. Urs kannte ihn.

Immer noch forderten die Raben seine Gefolgschaft. Sie achteten nicht seiner blutenden Füße, nicht seiner bleiernen Müdigkeit, nicht seines Hungers, nur vorwärts, vorwärts, weiter trieben sie ihn, und er folgte ihrem Drängen, Instinkt geleitet und ohne Widerstand. Als er schon meinte, keinen Schritt mehr weiter machen zu können, zerfloss das Land vor ihm. Nein, es löste sich nicht in Nichts auf, der Boden unter seinen Füßen blieb unverändert fest, aber die Konturen der Bäume und Sträucher verschwammen, als hätte jemand mit einem nassen Tuch darüber gewischt. Ein seltsam leuchtender Nebel hing wie eine Glocke über dem Wald, mit einer scharf gezogenen Grenze. Hier noch klare Luft, einen Schritt weiter schon Nebel.

Die Raben aber flogen in den Nebel hinein, und so folgte ihnen Urs ohne zu zögern, so verwirrend diese Erscheinung auch für ihn war. Das Drängen der Raben hatte sich zunehmend auf ihn übertragen. Ihre Eile war zu seiner geworden. Fast wäre er mit seiner fragilen Last in einen Fluss gefallen, dessen Gras bewachsenes Ufer ganz plötzlich vor ihm in die Tiefe führte. Die Raben saßen bereits auf dem Rand eines kleinen Bootes. Es war am Ufer vertäut, ganz ohne Ruder oder Steuer. Ihr aufgeregtes Geflatter und Gekrächze war verstummt, man hätte meinen können, sie seien nicht lebendig. Nur ihre Augen flackerten in einem kalten, lebendigen Feuer. Die funkelnden Augen geboten ihm, mit seiner Last ins Boot zu steigen. Kaum war er diesem Befehl gefolgt, löste einer der Raben mit seinem Schnabel die Vertäuung des Bootes, und sofort trieb es mit der sanften Strömung flussabwärts. Im Nebel zogen dichte Wälder mit uralten Baumriesen an Urs vorbei. Bald aber lichtete sich der Wald und machte nie gesehenen Gebilden Platz. Ob das wohl Häuser waren? Es gab hier Türme, so, wie er sie von der Burg seines Herren kannte. Aber auch völlig andersartige Gebäude mit glänzenden Vierecken verkleidet, Hütten auf Bäumen, blütenförmige Gebilde mit Außentreppen, durchscheinende Mauern, ja sogar fliegende Kugeln, die auf und ab schwebten! Der arme Urs war völlig wirr im Kopf und meinte, zu träumen, als der Kahn auch schon an einer weißen Treppe anlegte. Es blieb keine Zeit, sich umzusehen, denn die Raben trieben unmissverständlich zur Eile.

Vor Urs ragte ein ….. Ding auf, riesig, völlig unglaublich! Es war unten ganz breit und verjüngte sich nach oben hin gleichmäßig. Was ganz oben war, blieb im Nebel verborgen, aber irgend etwas schimmerte dort wie lebendiges Licht. Und dann! Die Raben flogen vor ihm her und verschwanden im Inneren des …… Dings. Aber wie? Da war keine Türe, sie schienen zuerst noch diesseits, im nächsten Augenblick schon jenseits der Mauer zu sein. Beherzt und seine Furcht vor dem Unbekannten bezwingend, folgte Urs den Raben. Und tatsächlich, schon war er im ….. Ding. Von einer unbezwingbaren Kraft hoch gehoben und im nächsten Augenblick schon abgesetzt, betrat er mit Fee am Arm die golden schimmernde Plattform. Über ihm war das lebendige Licht, und etwas in seinem Kopf machte….. was er in diesem Leben noch nie erlebt hatte. Er hätte sich am liebsten die Ohren mit den Händen zugehalten, aber da war ja Fee auf seinen Armen! Ein unartikulierter Schrei der Angst kam aus seiner Kehle. Was war das? Dieses Dröhnen, Summen, Klingen in seinem Kopf?

Die Raben hatten sich auf einem Kasten aus durchscheinendem Material nieder gelassen. Sie deuteten mit ihren Schnäbeln auf den Deckel des Kastens. Sollte Urs ihn wegschieben? Vorsichtig legte er seine geliebte Last auf den goldenen Boden der Plattform nieder und schob den Deckel des Kastens auf. Es ging ganz leicht. Während die Raben Fees Gewand mit ihren Schnäbeln fassten, sie aufhoben und in den Kasten legen wollten, machte Urs einen Blick in sein Inneres, aus dem ein greller Schrei drang:

„Iiiiii, Grundgütiger, was ist denn das?!“

Auch Urs schrie laut auf vor Schreck, und ein weiterer Schreck war es für ihn, seine eigene Stimme zu hören.

Aus dem Sarkophag erhob sich eine weibliche Gestalt. Ihre Augen waren vor Überraschung geweitet, und A. sagte, ziemlich ärgerlich:

„Nicht einmal im Traum hat man seine Ruhe. Wie sollen denn meine Beine gesund werden, wenn ich sogar hier gestört werde!“

Was dann folgte, zerfloss für den armen, völlig überforderten Urs zu einem schattenhaften Erleben, von dem er nicht wusste, was Traum und was das war, was man gemeinhin als wirkliches Leben bezeichnet. Er fand sich am Rande der Nebelglocke wieder. Fee oder das, was von Fee nach ihrem Sturz übrig geblieben war, war verschwunden, blieb verschwunden. Er stolperte in stundenlangem Marsch zurück zu seiner Herde, zu seinen Pflichten im Gutshof. Dazu gehörte auch, den alten Mustard gut im Futter zu halten, den Zuchtstier. Nun aber waren die Zeiten schlecht und gutes Futter teuer. Die Mastochsen waren im Winter längst geschlachtet und gegessen worden. Wie aber sollte nun, da das Osterfest vor der Tür stand, das Festmahl für Herr und Gesinde ausgerichtet werden? Mustard war längst über seine besten Jahre hinweg. Ein neues Stierkalb wuchs heran und mochte schon bald die Pflichten des alten Stieres übernehmen. Also sollte Mustard vor Ostern geschlachtet werden. Das ging dem armen Urs gehörig ans Herz, denn er liebte seinen Schützling.

Am frühen Morgen sollte der Stier ins Freie geführt und mit dem riesigen Schlachterbeil getötet werden. Es war die Aufgabe des Hirten, den Stier auf den Hof zu führen, ihm die Beine zu binden, dass er nicht flüchten und das ganze Unterfangen gefährden konnte. Ein letztes Mal strich Urs dem mächtigen Tier über die Flanken, kraulte ihm die Locken am Hornansatz und versuchte vergeblich, die Tränen zurück zu halten, die ihm übers Gesicht rannen. Der Stier ahnte instinktiv, dass etwas im Gange war, etwas Bedrohliches und geriet in Panik. Urs aber war durch das Geräusch seines Schluchzens, das er vorher niemals im Leben hören hatte können, verwirrt, so dass er die Zeichen der Angst des Stieres nicht wahr nahm. Bevor er noch wusste, was los war, brach das mächtige Tier aus seiner Stallbox aus, rannte dem völlig überraschten Urs die Hörner in die Brust und floh. Noch einmal gelang es dem verletzten Hirten, das Tier zu erreichen, um es zu besänftigen. Das misslang. Der vertraute Betreuer war für Mustard zum Bedroher geworden. Noch einmal rannte der Stier Urs die Hörner in die Brust, ein letzter, letaler Kontakt. Dann wurde es dem Hirten schwarz vor den Augen………, bis……..

………..er sich wieder fand in einem geschlossenen Kasten, dessen Wände im durchscheinenden Licht sanft leuchteten. Das warme Wasser, das ihn umspülte, kribbelte vibrierend auf seiner Haut, wie ein lebendiges Wesen. Und er….. hörte, hörte, spürte, sah….. Töne. Diese Töne waren ebenso lebendig wie das Wasser, in dem er trieb, wunschlos, eins mit sich wie ein Embryo im Leib seiner Mutter. Glücklich zog er die Beine an sich, steckte seinen Daumen in den Mund und schlief ein.

Als er erwachte, lag er nicht mehr in dem Kasten. Er lehnte, von Kissen gestützt, auf einer Liege, und ihn umgab ein goldenes Leuchten, das nicht von der Sonne herrührte. Es war keine Sonne zu sehen, und dennoch war die Luft warm und licht durchflutet. Das Leuchten kam von überall her, schien keine erkennbare Quelle zu haben und wurde doch von den goldenen Fußbodenkacheln funkelnd reflektiert.

Er war nicht allein. Da war eine weibliche Gestalt mit rotem, aufgestecktem Haar und seltsamer Kleidung. Das Mieder über einem weit ausladenden, gestuften Rock ließ, oh, Urs wagte fast nicht, hinzusehen, es ließ die vollen Brüste sehen! Die Frau hielt eine andere weibliche Gestalt in den Armen, ein zartes, fast durchscheinend wirkendes Mädchen, und dieses Mädchen…..! Das Mädchen saugte doch wahrhaftig an der Brust der Frau wie ein Säugling. Aber wie seltsam! Im Schoß dieses Mädchens lag ein wirklicher Säugling, winzig, fast noch zu klein, um leben zu können, schlief er friedlich, mit seinem noch winzigeren Däumchen im Mund!

Die mütterliche Frau mit dem roten Haar lächelte freundlich und sprach. Sprach! Wahrhaftig, die Töne in Urs’ Kopf, er erkannte das, was ihm immer verschlossen geblieben war als Sprache, und er verstand, verstand, was diese Sprache bedeutete! Es war ihm, als hätte er sie schon immer verstanden. Wann – immer? Er erinnerte sich undeutlich an einen ungeschlachten Mann inmitten einer Ziegenherde, inmitten einer stillen Welt. Das waren traumhafte Bilder, verwischt und undeutlich. Ganz deutlich aber, wie für immer eingeritzt in seinem Herzen, war die Erinnerung an ein Mädchen, und es sah aus wie das, das an der Brust der rothaarigen Frau lag.

„Feeeeeeeee!“ Es war doch wahrhaftig er, er selbst, der diesen Namen zum ersten Mal in seinem Leben ausrief! Das Mädchen wandte sich überrascht um, und so, als müsste es sich erst langsam eines vergessenen Traumes erinnern, erschienen die Zeichen des Erkennens auf ihren Zügen.

„Urs, bist du es wirklich?“ fragte Fee zögernd, und dann, als sie ihn erkannte, erhob sie sich aus dem Schoß der Frau, hielt dem völlig verblüfften Mann das winzige Kind entgegen und sagte zärtlich: „Sieh mal, dein Sohn.“
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5
Wege
Die Stadt wuchs und entfaltete sich. Sie nimmt keinerlei Raum ein und existiert im geräumigen Jetzt. Wege wurden gebahnt und begangen, Wege die auf keiner Landkarte der Welt zu finden sind. Die inneren Wege und Landmarken aber müssen tastend erkundet werden, manchmal eröffnen sie sich auch blitzartig, in einer momentanen, überwältigenden Erkenntnis.

Schon waren Teile der Stadt erkennbar. Einzelne Häuser, Wasserwege, Brücken und Gärten, in denen Traumpflanzen gediehen – vor allem aber das Zentrum mit seiner hoch aufragenden Pyramide, deren sieben Stockwerke im goldfarbenen Licht zur Farbsymphonie des Regenbogens verschmolz. An ihrer Spitze aber erlosch das Funkeln der Spektralfarben niemals.

Nach und nach zog die sich entfaltende Stadt auch Bewohner an. Sie kamen von überall her, geleitet nur von ihrem inneren Klang. Es waren Träumende aus allen Richtungen des Inneren Universums. Sie sandten ihre Traumkörper aus, um in der Stadt ihre Refugien zu erbauen und sich dort mit anderen zu treffen, die sie aus anderen Leben in anderer Gestalt kannten. Sie alle erkannten einander in jeder Gestalt wieder, denn sie waren Angehörige eines weit verstreuten Stammes. Sie gehörten zum Klan der Gaukler. Sie trugen viele, verschiedene Kostüme, spielten die unterschiedlichsten Rollen, zu allen Zeiten, in wechselnden Kulissen.
Nur eines unterschied sie von den Anderen. Sie wussten, dass sie Gaukler waren und hinter all ihren wechselnden Erscheinungen immer das Eine stand, unnennbar, unfassbar, ewig. Noch konnten sie nicht bleiben, mussten weiter, auf Wegen, die in Zeit und Raum existierten, sie in neuen Verkleidungen in andere Kulissen führen würden. Aber in ihren Träumen waren sie frei von all den Verkleidungen. Da bauten sie weiter an der Stadt hinter dem Horizont.

Es gab aber auch die, die ihre Kostüme in den Garderoben der Zeit bereits abgelegt hatten. Sie durften bleiben. Da war Witty in ihrer Gestalt als Minoische Priesterin, Urs mit seiner geliebten Fee und ihrem gemeinsamen Kind. Auch der Stier war da. Er hatte seine Gestalt aus dem chthonischen Labyrinth des Minotauros und aus seiner Rolle als mehrfach Geopferter befreit und weidete nun auf den saftigen Wiesen am Meeresstrand. Sein vergoldetes Gehörn glänzte im Licht einer unsichtbaren Sonne. Der kleine Sohn von Fee und Urs ritt lachend auf seinem breiten Rücken, und für Urs waren die Wunden, die ihm das Tier einst zugefügt hatte, eine ferne Erinnerung.

Der Tross der Gaukler aber zog weiter. Und die Raben zeigten ihnen den Weg. Mit sich im Reisegepäck führten sie die Geschenke derer, die in der Stadt zurück geblieben waren: die urtümliche Stärke des Stieres, die Unschuld und Einfalt des Hirten, Die Zartheit und Naturverbundenheit von Fee, Mütterlichkeit und Kraft zu zielgerichtetem Handeln von Wittys Gestalt als Priesterin, Lebensfreude und kindliche Neugier von Fees kleinem Sohn. Erst sehr viel später, als ihre gemeinsame Reise sich allmählich dem Ende zuneigte, sollten sie erkennen, dass diese Geschenke ihnen schon von jeher zu Eigen gewesen waren, aber zu ihrer Entfaltung eben diese Wanderungen durch Zeit und Raum gebraucht hatten. Da waren sie aber schon auf dem Rückweg zu ihrem Ausgangspunkt.

Blutige Steine
Geheime Wege zeigen die Raben, Schlupflöcher durch das magische Gewebe der Zeit. Ihren Flügelschlägen folgen die Gaukler, immer hungrig nach Leben, immer voller Verlangen nach dem, was den Hunger stillen kann. Stehlen und Morden kann den Hunger stillen, aber es erzeugt neuen Hunger, nämlich den nach Seelenfrieden. Aber was ist Seelenfrieden, wenn das Loch im Magen sich wie ein feuriger Wurm durch die Gedärme frisst? Eine sinnlose Chimäre.

Witty verlangt nicht nach Chimären, sie will essen, will Kleider und ein weiches Lager zum Ausruhen. Das ist nicht zu viel verlangt, zumal wenn andere all das besitzen und noch viel mehr, zumal wenn andere so viel haben, dass sie ihre Schätze vergraben können. Schätze vergraben, das ist in diesen Zeiten besser als klingende Münzen im Beutel mit sich zu führen. Denn Wegelagerer und Gesindel wie der Klan der Gaukler sind zu allem bereit. Sind sogar bereit zu morden, um das für sich zu gewinnen, was ihnen, ihrer Meinung nach, zusteht.

Der Fürst und seine Frau halten wenig von den Ansprüchen des Rabenklans. Sie weigern sich, die Stelle der vergrabenen Schätze zu nennen. Das steigert die wilde Wut der Diebe, und sie bemächtigen sich der kleinen Tochter des Fürstenpaares. Dann verrät der besorgte Vater ganz schnell den Ort. Das nützt ihm aber auch nichts mehr. Man kann lästige Zeugen nicht am Leben lassen. Nun haben die Gaukler den Schatz und das Kind, das ihnen vielleicht noch viel einbringen kann. Wer weiß?
In der Steinkiste sind funkelnde Edelsteine. Einer davon, ein blutroter Rubin, ist Wittys Lohn dafür, dass sie die Kleine versorgt. Ihre Milch ist noch nicht versiegt, nach dem Tod ihres eigenen Säuglings, kurz nach seiner Geburt. Armer, kleiner Wurm, so winzig, so unfähig zu saugen, viel zu schwach, weil die Mutter zu viel Hunger leiden musste! Jetzt aber dieses feine, kräftige Mädchen! So süß das Gefühl, es an der eigenen Brust zu nähren, der Brust, die ein Anderer für es frei gegeben hat. Witty singt der Kleinen Schlaflieder ohne Worte, denn man hat ihr einst die Zunge abgeschnitten, als Strafe für ein Feuer, das sie nicht gelegt hat. Aber die Fahrenden tragen viele Schandmale, auch für Taten, die sie nicht begangen haben. Das kleine Mädchen aber lächelt und schläft friedlich ein, mit einem Milchbläschen auf den winzigen Lippen, von der Brust der Mutter, die es nicht geboren hat.

In der Stadt der Türme soll es gute Arbeit geben für Gaukler. Denn es ist Markt - und Gerichtstag, und die Menschen lassen sich gerne von der Not der Zeiten ablenken. Man hört in diesen Tagen viel von der Großen Pestilenz, der die Menschen mitten im prallen Leben fallen lässt, wie das Korn unter der Sense des Schnitters. Die Angst ist groß. Die Folge der Sünden soll dieses Sterben sein. Und wer könnte von sich sagen, nicht gesündigt zu haben? Wer hätte, als Mann, nicht in heimlichem Verlangen nach dem prallen Hinterteil der Magd gelinst, oder ihr sogar in der Küche die Röcke gehoben? Wer hätte nicht, um seines Vorteils halber, das Mehl gestreckt, die Milch ein wenig gewässert und den minderen Stoff für den besten ausgegeben? Oh weh, nun holt sie die Strafe für ihre Sünden ein! So predigt es zumindest der Pfaffe von der Kanzel, und der ist ja immerhin ein Knecht des Allerhöchsten. Und wenn es dieser Knecht nicht anders mit der Treue zu seinem Herrn hielte, wie sie selber? Dann sind sie alle verloren, das Schiff ohne Steuermann und Hafen. Aber noch ist nicht alles verloren, noch hat die Pest Tulln nicht erreicht.

Mitten auf dem Hauptplatz, im Gewühl des Markttages, erhebt sich mit einem Mal Geschrei. Die Leute stieben auseinander wie Hühner, wenn der Habicht auf sie herab stürzt.

„Rettet euch, rettet euch, der Schwarze Tod!“

Eine ältere Frau ist, mit allen Zeichen der Pest, vor einem der Marktstände zusammen gebrochen. Übler Gestank geht von ihren schwärenden, schwarz - violetten Beulen aus, ihr Gesicht ist in Angst und Todesnot zu einer schrecklichen Grimasse verzerrt. Keiner wagt, ihr beizustehen. Man weiß, sie ist bereits tot, auch wenn ihr Brustkorb sich noch hebt und senkt.

Alle, die können, fliehen aus der Stadt, sie tragen die Krankheit mit sich und sorgen dafür, dass ihr die Nahrung nicht ausgeht. In der Stadt aber tagt das Stadtgericht. Schuldige müssen gefunden werden, denn ohne Schuld keine Pest, so lautet das unumstößliche Gesetz der Geistlichkeit. Und sie steht über dem weltlichen Recht.
Sind nicht Fremde in der Stadt, fahrendes Volk, nicht sesshaftes Gesindel? Und kam nicht die Seuche mit ihnen durch die Tore Tullns? Und haben sie sich nicht am Brunnen des Hauptplatzes zu schaffen gemacht, vorgeblich, um Wasser zu schöpf en für ihr Maultier? Besonders diese Eine, die mit dem roten Haar, dem Zeichen der verworfenen Hexenzunft?

„Ja, packt sie, die Brunnenvergifterin, die Hexe, an de Pranger mit ihr, büßen muss sie und alle, die mit ihr sind! Packt sie, lasst sie nicht entkommen!“

Mitten auf dem Marktplatz von Tulln steht der Pranger mit seinem Halseisen und dem steinernen Richterarm mit dem Schwert. So viele Menschen, kleiner Übertretungen schuldig oder größerer Verbrechen, waren schon an ihn gekettet, dem Zorn und den Schmähungen ihrer Mitbürger ausgesetzt. Die, welche am lautesten schreien, fürchten sich am allermeisten vor einem Blick in ihre eigenen Tiefen. Das war zu allen Zeiten so und ist heute nicht anders. Aber nicht das Geschrei und die faulen Gemüsereste, mit denen sie nach ihr werfen, schmerzen Witty, so etwas prallt längst ab von einer wie ihr. Es sind die vollen, milchschweren Brüste, die nach dem saugenden Mund der kleinen Pflegetochter schreien.

„Lasst mich hier runter“, schreit sie, „ihr Hundsfotte, meine kleine Fee braucht die Milch ihrer Mutter! Ihr seid schuld, wenn sie verhungert. Mörder! Kindsmörder elende!“

Aber niemand kümmert das Geschrei der Hexe. Was soll’s, wenn niemand die Flüche und Verwünschungen verstehen kann, weil sie in den Ohren der Umstehenden nur sinnloses Gebrabbel sind. Soll sie doch fluchen mit ihrer abgeschnittenen Zunge! Für die anständigen Bürger der Stadt kann es nur zum Segen gereichen, wenn die Übeltäterin endlich ihrer gerechten Strafe zugeführt wird, vielleicht wird ihre Stadt dann auch von der furchtbaren Seuche verschont.

Nach Stunden der Qual schließt der Büttel das Halseisen und die Fußfessel auf, die streng um Wittys Knöchel saß und das Blut in ihren Füßen gestaut hat. Rot und angeschwollen, sind sie nicht mehr in der Lage, den Körper der Frau zu tragen. Man muss sie zum Gemeindekotter schleifen, wo ihre Gefährten eingeschlossen sind. Einige konnten sich heimlich und ungesehen davon machen, mit ihnen nahmen sie das Kind. Sie nähren es mit dem, was sie selbst essen. Wittys Brüste sind mittlerweile entzündet und eitrig. Das Fieber rast in ihrem Körper. So ist das Feuer des Scheiterhaufens nur eine weitere Fieberfantasie, die ihrem Delirium einen Grad der Qual hinzu fügt, sie aber auch schließlich enden lässt.

Ein letzter Augenblick wohltuender Stille in Rauch und Schmerzgebrüll ihrer Gefährten gewährt ihr noch einen Blick in eine Welt jenseits von Schmerz und Qual. Witty sieht eine fremde Stadt, ohne schreienden Pöbel, ohne Pest, ohne stinkendes Verlies, eine Stadt mit fremd aussehenden Gebäuden und einem hoch aufragenden, leuchtenden Gebilde mit funkelnder Spitze. Sehnsüchtig streckt sie die Arme aus. Eine fremdartig gekleidete Frau mit bloßen Brüsten nimmt die Sterbende zärtlich in die Arme, und damit endet aller Schmerz.
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

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Ibucock
Gerade verlässt Ibucock sein altertümliches Fachwerkhäuschen. Eigentlich hätte er auch in eines der modernen Gebäude einziehen können, kugelförmig oder mit lichtdurchlässigen Wänden, die sich der jahreszeitlichen Wärme anpassen können, fliegend oder anderwärtig beweglich, oder wie auch immer. Aber er ist ein alter Mann und an das traditionelle Ambiente eines Magiers gewöhnt. Er zieht das Altvertraute vor.
Gerade eben hat er eine Nachricht erhalten. An die Art dieser Nachrichtenübermittlung muss er sich allerdings erst gewöhnen, sie ist ein Zugeständnis an seine Freundin G. G. ist von *außerhalb* und braucht dergleichen, wie etwa das Läuten der Türglocke als Signal für eingehende Nachrichten. Irgend etwas mit *Füßen* oder ähnlich. Ob jemand seine heilerischen Fähigkeiten benötigt?

Rasch hat er noch seinem dienstbaren Salamander aufgetragen, das Feuer unter dem Athanor nicht ausgehen zu lassen, um den Vorgang der Destillation der Heilkräuter nicht zu unterbrechen. Genau genommen ist auch dieses alchemistische Brimborium nur mehr eine Reminiszenz an Althergebrachtes, eine Liebhaberei, eine Altherrenschrulle. In Wahrheit braucht er weder Elixiere noch Zaubersprüche. Aber das Herz hängt eben an solchen Kinkerlitzchen! .

In der Eile hat er seinen Hut mit dem Nest seines Hausraben verwechselt, und dazu noch übersehen, dass dieser auch gerade sein Nachmittagsschläfchen darin hält. Der alte, weißhaarige Magier mit einem lebendigen Raben auf dem Kopf ist eine recht skurrile Erscheinung. Aber da fantasievolles Outfit in dieser Stadt nicht weiter auffällt, erregt er keinerlei Erstaunen, als er, ausgerüstet mit der Standardausrüstung des zeitgemäßen Heilers, einer Art Stimmgabel, das Haus verlässt. Fast wäre er dabei mit einer, auch recht sonderbaren, Erscheinung zusammen gestoßen. Es ist ein Mensch, männlich, mit untergeschlagenen Beinen, der da die Straße entlang, durch die Luft saust. Da er die Augen verklärt nach oben verdreht, um in sein Inneres zu blicken, ist er natürlich ein ziemlich gefährlicher Verkehrsteilnehmer. Ibucock ist sich sicher, dass solche Gestalten nur Durchreisende in der Stadt sind und nicht lange bleiben werden. Sie entspricht einfach nicht ihren Ansprüchen ans Nirvana, viel zu wenig des erwarteten *Nichts*, viel zu sehr vom *Etwas*. Wissen sie denn nicht, dass Existenz gleich Erschaffen ist?

Versonnen blickt Ibucock der Erscheinung nach und schüttelt den Kopf, wobei der Rabe einigermaßen aus dem Gleichgewicht gerät und erschrocken mit den Flügeln schlägt, was den Alten wieder ins Hier und Jetzt bringt. „Nanu?“ brummelt er, „was soll der plötzliche Wind? Es wird doch nicht gerade jetzt regnen?“ Der Rabe hat sich mittlerweile wieder beruhigt und setzt sein Schläfchen fort, gleichmäßig gewiegt vom schaukelnden Gang des Magiers. Eigentlich wäre es ja nicht notwendig, den Weg zur Pyramide zu Fuß zurück zu legen, aber Ibucock liebt Fußwege. Zum einen, weil sie jung erhalten, was im Fall eines nicht mehr an Zeitabläufe gebundenen Wesens ziemlich unerheblich sein dürfte – zum anderen zum Nachdenken. Das ist ausgesprochen erbaulich und gehört zu Ibucocks favorisierten Tätigkeiten neben Astronomie und dem Schmauchen seiner geliebten Pfeife, was ebenfalls wieder die Erbaulichkeit des Nachdenkens verstärkt.

Völlig hingegeben an diese erwähnte Lieblingsbeschäftigung, wobei Gegenstand dieses, gerade eben im Gang befindlichen, Denkprozesses das Thema *Etwas* versus *Nichts* ist, erreicht Ibucock die Treppe, die vom Fuß der Pyramide zu ihrem Eingang führt und zum Hochgeschwindigkeits – Levitations – Aufzug. Den allerdings gedenkt er schon zu benützen, der Aufstieg zu Fuß ist doch etwas mühsam für einen alten Mann….. „Ach zum Donnerdrummel, immer diese gewohnten Gedankenmuster! Ich sollte doch darüber längst hinaus sein!“ Aber er hat es sich nun mal gemütlich eingerichtet in der vertrauten Gestalt eines alten Mannes, zu der jugendliche Spannkraft so gar nicht passen will. Also, doch den Lift.

Der Aufzugwärter in nachtblauer Uniform hält Ibucock respektvoll die Türe auf und räuspert sich vielsagend.

„Ja, Leander, was ist denn los?“, fragt Ibucock, dem das viel sagende Räuspern nicht entgangen ist, würdevoll.

Dieser antwortet zögernd: „Sir haben…… hm, also Sir…… ich weiß nicht…..“

„Jetzt lass mal das Getue mit Sir und so weiter. Also, frei heraus, was hast du auf dem Herzen?“

Leander fasst sich ein Herz und zeigt auf Ibucocks Kopf, wobei er ein aufsteigendes Kichern nur mit Mühe unterdrückt: „Sir haben einen Vogel….. genauer gesagt, einen Raben, auf dem Kopf. Ich wollte nicht unhöflich sein, aber für gewöhnlich tragen Sir doch diesen spitzen Hut…. Nun, vielleicht ist das ja ein neues Modell….. dann bitte ich um Verzeihung…..“ Seine Stimme erstirbt, und er hat das aufsteigende Kichern auch unter Kontrolle gekriegt.

Jetzt gilt es, Würde zu bewahren. Auch ein weiser, alter Magier, und wäre er hundert mal erleuchtet, hat so seine Schwächen, und eine davon ist Ibucocks Eitelkeit. Mühsam um Haltung bemüht sagt er ernst: „Nun, das kannst du natürlich nicht wissen, aber diese Kopfbedeckung wurde in der letzten Ausgabe der * NEMUHEP* (Neue Magier und Heiler Post) als äußerst förderlich für die Gedankenbündelung bezeichnet, eine wichtige Voraussetzung zur Gedankenaussendung. Aber das ist wahrscheinlich von geringem Interesse für dich…..“

Damit betritt er, ganz respektierlicher Magier, würdevoll die Aufzugskabine. Erst, als sich die Türe hinter ihm geschlossen hat, nimmt er seinen *Hut* vom Kopf, was zur Folge hat, dass der Rabe erwacht, blinzelt und verdrossen krächzt: „Kann man mich denn nicht in Ruhe mein Nickerchen machen lassen? Was ist denn heute nur los?“ Worauf er aber gleich wieder in Schlaf versinkt. Ibucock setzt ihn sich vorsichtig auf die Schulter. Das wirkt unverfänglich und wie beabsichtigt. Dann betritt er auch schon die oberste Plattform.

Das Licht hier oben lässt ihn unwillkürlich die Luft anhalten, auch jetzt, nachdem er es schon viele Male erlebt hat. Es scheint eine Art von liquider Stofflichkeit zu besitzen, gelartige Kristallinität, wie das Wasser eines Bergsees. Man möchte darin baden. Das würde er wohl jetzt gerne, aber dazu ist er schließlich nicht hier. Was wollte er eigentlich genau hier? Was war es bloß……? Seine Zerstreutheit ist ein nicht zu leugnendes Phänomen, das daher rührt, dass er im Geiste immer mit den tiefsten Fragen des Universum umgeht. Da können die kleinen Dinge des Alltags schon ein wenig ins Hintertreffen geraten.

Der Rabe ist nun endgültig erwacht und ein wenig griesgrämig. Er spreizt sein Gefieder, und weil es gerade nahe liegend ist, pickt er seinen Träger beiläufig mal ins Ohr. Das tut gut und dient der Abfuhr von schlechter Laune. „Au, Mistvieh, Rabenbraten, was fällt dir ein!?“, schreit Ibucock zornig und schlägt nach dem Vogel. Der aber, schneller in den Reaktionen, flattert auf und setzt sich gleich danach auf seinen, inzwischen gewohnten Platz auf Ibucocks Kopf. Der alte Magier schenkt diesem Umstand aber keine Aufmerksamkeit, denn die wird inzwischen von einer Gestalt in Anspruch genommen einer weiblichen Gestalt. Gebrochen, verletzt und völlig benommen scheint sie keinerlei Anteil an ihrer Umgebung zu nehmen. Ihre Waden sind derart geschwollen, dass die Haut an ihnen zu platzen droht, und ihr Gewand, in Höhe der Brüste ist eitergetränkt. Das Gesicht ist hochrot, Ibucock vermutet, dass das von hohem Fieber herrührt. Gut genährt wirkt sie auch nicht gerade, und sie scheint nicht bei Bewusstsein. Ihr flammrotes Haar ist derart verfilzt, dass der Rabe bereits überlegt, darin ein temporäres Nest zu bauen. Er bleibt dann doch lieber auf dem Kopf seines Meisters sitzen. Auch er ist ein Gewohnheits – tier.

Alles in allem wirkt die Frau in hohem Maße mitgenommen.
Das erinnert Ibucock wieder an den eigentlichen Zweck seines Hierseins, Gs. Nachricht, die irgend etwas mit Füßen zu tun hatte. Ach ja, Ibucock seufzt tief, dass die Leute auch immer, wenn sie hier landeten, die Vorstellung ihres verletzlichen Erdenkörpers mitbrachten! Nichts und niemand konnte sie doch daran hindern, sich davon frei zu machen, jetzt, da ihr Körper ihre Vorstellung von sich selbst ausdrücken könnte. Aber vielleicht ist das ja ihre Vorstellung, und vielleicht muss die Frau erst wieder an die hier herrschenden Bedingungen erinnert werden? Die Menschen vergaßen wohl immer wieder, wer und was sie waren, wenn sie in ihre Erdenleben verstrickt, völlig selbst – vergessen ihre wechselnden Rollen spielten. Nun, dann würde er also an seine Arbeit gehen.

Der Heiler klatscht einmal in die Hände, und schon kommen, von überall her, die Raben geflogen. Sie packen, vorsichtig und so zart, wie Raben eben sein können, mit ihren Schnäbeln die Kleider der Frau und heben sie in den Sarkophag, wo das Lustralwasser ihren Körper warm umspült. Dann setzt Ibucock den Deckel auf den Kasten und holt sein Werkzeug aus den Falten seines Gewandes hervor, das Ding, das aussieht wie ein *Ankh* Er setzt sich bequem hin, versenkt sich in sein Inneres und beginnt, die heilenden Klangschwingungen zu intonieren.. http://www.youtube.com/watch?v=ogWxE1hy ... 9&index=29.
In der ganzen Stadt halten die Menschen in ihren Tätigkeiten inne, um sich den wunderbaren Klängen hinzugeben, die alle Ebenen des Seins durchdringen. Die Stadt wird für immer damit getränkt sein, und sie erstrahlt von innen her in einem Licht, das keine äußere Quelle hat oder braucht.

Als Ibucock schließlich verstummt und den Deckel des Sarkophags hebt, steigt eine völlig unversehrte Witty heraus, blickt an sich herab, und so, als hätte es da nie Verletzung, Schmerz, Entbehrung und das Große Vergessen des Erdenlebens gegeben, breitet sie die Arme aus und sagt, völlig verständlich:

„Hallo, Ibucock, mein Alter, schön dich zu sehen!“ Sie umarmt den Magier liebvoll und blickt sich dann erstaunt um:

„He, das muss neu sein, hier. Das kenne ich noch nicht. Wer hat denn dieses….. Ding gebaut, während ich weg war? Ziemlich cooles Teil das!“

Ibucocks Blick drückt Verwirrung und Unverständnis aus. Damit wirkt er, mitsamt seiner ungewöhnlichen Kopfbedeckung, auf Witty derart erheiternd, dass sie schallend heraus lacht.

„Sei nicht böse, mein Alterchen!“, kichert sie flapsig, „aber hast du schon in den Spiegel geschaut?“
Mit allen Anzeichen der Verlegenheit greift Ibucock sich an den Kopf, von wo der Rabe neugierig das Geschehen verfolgt. Raben sind eben sehr neugierige Vögel, und bei diesem speziellen, handelt es sich dabei um eine eindeutig ausgeprägte Charaktereigenschaft. Er brummelt „äh so, hmm, hm, ja, ja, das ist, nun ja…..“ Mit dieser, äußerst dezidierten Rede nimmt er den Raben vom Kopf, der in diesem Augenblick den endgültigen Umzug auf Wittys Kopf in Erwägung zieht und sagt, einigermaßen ernst:

„Du drückst dich neuerdings ein wenig fremdartig aus, Mädchen. Sind das, ahem…. Souvenirs aus deinem, eben vergangenen Leben? Cooles Teil, na so was, hab ich ja noch nie gehört!“

Wittys Miene wird plötzlich nachdenklich: „Nein, eigentlich, wenn du mich so fragst, eigentlich nicht. Ich weiß auch nicht, wo ich das her habe. Keine Ahnung….. vielleicht aus einem Traum…..? Apropos Traum. Ich erinnere mich nicht genau, aber da war was mit Füßen, die du heilen solltest. Wenn ich mich nur besser erinnern könnte! Aber es ist alles so verschwommen.“

Der Magier fragt erstaunt: „Aber ich habe deine Füße doch schon geheilt. Was soll ich denn noch tun?“

„Nein, nicht meine Füße“, sagt Witty, „es waren die von jemand anderem, aber ich kann mich einfach nicht mehr erinnern….. Oh, warte, ich glaube, jetzt fällt es mir wieder ein, es waren As. Füße!“

„Wer ist A.?“

„Nun A. eben, vom Lagerfeuer, vom Klan der Raben, eine Freundin Von V.“

„Wer ist nun wieder diese V.?“

„Na, die, mit der ich immer spreche, zumindest versuche ich es, so mit einem Brett. Es ist ziemlich umständlich und schwierig, aber immerhin….Sie ist noch *drüben*, also im Jenseits, du weißt schon.“

„Ach, jetzt weiß ich, was du meinst!“ Ibucocks Miene erhellt sich. „Du meinst, du redest mit jemand, der noch in seinem irdischen Körper steckt? So wie ich, wenn meine jenseitige Freundin G. meine Gedanken in so ein Kastending spricht?“

Witty nickt erfreut: „Ja, ja, genau das meine ich. Was meinst du, kannst du meiner Freundin helfen?“

Nach kurzem Überlegen sagt Ibucock: „Ja, ich glaube schon. Am leichtesten ginge es, wenn diese A. auf einen Sprung rüber käme, vielleicht im Traumkörper. Dann ließe sich was machen. Meinst du, das geht?“

„Grundsätzlich schon. Aber die Mädels da drüben haben noch ihre Probleme damit, ihren Traumkörper auszusenden, soviel ich weiß. Sie üben noch, aber der Erfolg ist bescheiden. Vielleicht könntest du sie einmal besuchen im Traum. Das geht vielleicht leichter.“

Dazu ist der alte Magier gerne bereit. Der Rabe flattert aufgeregt auf Ibucocks Kopf. Reisen! In andere Welten! Wie aufregend! Die Vorfreude darauf lässt ihn hüpfen, wobei er extatische Krächzlaute ausstößt.

„Was fällt dir ein!“, ruft Ibucock, der sich jetzt endgültig seines aparten Kopfputzes entledigt, „du bleibst natürlich da. Ich will doch einen spirituellen Eindruck auslösen bei meiner jenseitigen Patientin und keinen Lachanfall.“

Jetzt schmollt der Rabe endgültig. Beleidigt bezieht er endgültig Quartier auf Wittys Kopf, versucht’s zumindest, ohne wirklichen Erfolg.

Bis jetzt ist nichts über Ibucocks Heilerfolge an As. Füßen bekannt. Herum gesprochen hat sich allerdings in der Stadt die neue Hutmode für Erleuchtete. Wundert euch deshalb nicht, wenn ihr, auf euren Spaziergängen dort, vermehrt auf Leute trefft, die Rabennester mitsamt deren Bewohner auf dem Kopf tragen.

Postings
E.: Hallo! Ich hatte heute Nacht einen komischen Traum. Ich sollte eine Gesellschaft in der Sumaristadt bekochen, ziemlich viele Leute. Leider hatte ich viel zu wenig Reis zum Fleisch gekocht, obwohl meine Küchenkästchen von Reis überquollen. Die Leute waren ziemlich unzufrieden, weil sie viel mehr Reis als Fleisch essen wollten.
Liebe Grüße E.


M.: Hi E.! Das ist vielleicht dein Gefühl, dein Potenzial nicht genügend zu nützen. Wenn all die Leute Aspekte, bzw. Fokusse von dir darstellen, was könnte das sonst noch bedeuten? Und, übrigens, sind dir irgend welche Rabennest tragende Einwohner begegnet?
Lg M.

E.: Nicht, dass ich wüsste. Über deine Deutung muss ich noch nachdenken.
.
G.: Ich wusste gar nicht, dass die Leute in unserer Stadt solche Gourmands sind. Die sollen nicht so viel fressen 

A.: Hallo Ihr! Ich war heute Nacht in meinem Bett, nicht in der Stadt. Aber mir ist etwas Seltsames passiert. Ich lag also da und war gerade am Einschlafen, da hatte ich das Gefühl, als ob jemand an meinem Bett stünde. Als ich den Kopf wenden wollte, um zu sehen, ob da jemand sei, ging es nicht. Ich war vollkommen unbeweglich. Dennoch sah ich, dass da jemand war. Und nun haltet euch fest, es war ein römischer Soldat in kompletter Uniform! Er sah ziemlich mitgenommen aus. Und er sagte etwas, immer und immer wieder: „Quirinius, mi fili!“
Was, zum Teufel, soll das, bitte? Was habe ich mit einem römischen Soldaten zu tun, der mich auf Latein anspricht und mich noch dazu fürchterlich erschreckt?
Liebe Grüße A.

V.: Hallo A.! Quirinius war der Sohn von Arturius, dem Liebhaber von Astrid. Da hatte ich doch so ein paar Durchsagen auf dem board, Ich werde sie heraus suchen. Bis später.

M.: womöglich hat er sich nur ein wenig verirrt. Oder V. war gerade nicht zu sprechen. Wenn er wieder kommt, schick ihn einfach in die Sumaristadt. Dort findet er sicher jemand, der ihm Auskunft geben kann. Schön langsam sollten wir an unserer Stadt wieder weiter bauen, sonst gibt es nicht genug Quartiere für alle. Eine ordentliche Infrastruktur haben wir auch noch nicht.
Lg m.

G.: Ach M., du schon wieder mit deinen praktischen Ideen! Nimm es doch ein wenig spielerischer. Du machst aus allem eine Pflicht.
Lg G.

M.: Ja aber, so etwas braucht eine Stadt doch, wir wollen ja nicht in unserem Dreck ersaufen! Außerdem, was soll denn Arturius von uns denken, wenn er kommt? Sogar die alten Römer hatten doch schon ihre Kloaken. Und überhaupt, wo kommt unser Wasser denn her? Da brauchen wir unbedingt Schnee bedeckte Berge, denen die Klimaerwärmung nichts anhaben kann. Oder haben wir keine Klimaerwärmung? Ich wäre dafür, dass wir keine erschaffen, sonst müssen wir unsere Stadt nämlich auf Klippen über dem Meer errichten, wegen dem Anstieg des Meeresspiegels. Dann wäre es aus mit Vs. Stelzenhäusern.
Lg M.

G.: Hilfe, M., jetzt mach mal einen Punkt! Du treibst es ja wirklich auf die Spitze! Natürlich gibt es bei uns keine Klimaerwärmung und keine Umweltverschmutzung, auch keinen Terror. Da wären wir ja schön blöd, wenn wir uns so etwas erschaffen würden!
Liebe Grüße G.

M.: Hi G.! So etwas würden die meisten Menschen sich doch nicht bewusst erschaffen. Aber es existiert dennoch. Diese Stadt wird unsere Glaubenssätze tragen. Hoffentlich sind wir schon so weit, dass wir nicht die *masters of desasters* werden. Mir ist nicht ganz wohl, wenn ich mir die Konsequenzen vor Augen führe. Aber vielleicht denke ich zu viel nach. Ich werde mich von nun an ganz bewusst auf das Erwünschte fokussieren. Ob das wirklich genügt? Ich fürchte, nein.
Elias sagt, wir müssten unbedingt unsere GS erkennen und anerkennen, also hinschauen und akzeptieren, nicht wegschauen und die GS als GS erkennen und nicht als *Wahrheit*. Jedes Spiel hat auch einen ernsten Hintergrund, und das ist er, glaube ich.
Lg morgane

E.: Hi M.! Du bist eine Spielverderberin. So, wie du das angehst, artet das ja in Arbeit aus. So, und nun gehe ich in mein Häuschen und koche was für die versammelte Mannschaft. Und dir und deinen Sorgen knalle ich die Türe vor der Nase zu. Du darfst erst wieder herein, wenn du brav bist. *Krachbumm*.

M.: *Hämmerandietür* Bitte, lass mich auch rein, ich werde auch ganz brav sein, versprochen! ……… Aber, noch was, wo, glaubst du, kommt der Reis in deinen Küchenkästen eigentlich her?
Lg M.

E.: Hallo M.! Jetzt reicht’s aber! Du kriegst nix von meinem guten Essen. Du kannst dich mit deinen Kloaken vergnügen oder mit der Klimaerwärmung. Selber schuld. 

G.: Vergesst nicht, heute ist wieder unser campfire, pünktlich um 21h!
Lieb Grüße G.

M.: Wir werden pünktlich antreten. Aye, aye, sir!
Lg M.
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

Re: sumari - rabenclan - geschichten

7
Campfire, die Dritte
Es ist 21h, alle sind ums Feuer versammelt. Diesmal hat V. einen interessanten Traum zu erzählen.

V.: „Ich flog hoch über Meer und Land. Unter mir erschien ein nebeliges Gebiet, aus dem ein fokussierter Schein hervor leuchtete, ähnlich wie ein Suchscheinwerfer. Als er mich erfasste, glitt ich an ihm ganz sanft herunter und landete auf einer Plattform, hoch über einer….. einer Stadt oder ähnlich. Genau konnte ich das nicht erkennen.
Ich war ganz alleine dort und fragte mich, was ich jetzt hier solle. Da fiel mir ein Ouijabrett auf, das auf dem Deckel des Sarkophages lag. Ein Rabe kam geflogen und trug in seinem Schnabel die dazu gehörige Planchette. Das fand ich sehr witzig, und ich musste laut lachen.

E.: „Na, das ist ja interessant. Du hast es doch hoffentlich benützt?“

V.: „ Natürlich. Aber passt auf. Es kam also, sinngemäß, weil wortgenau kann ich es nicht mehr wiedergeben:
Ihr sollt euch zu einer bestimmten Zeit zusammen schließen und dann genau 10Minuten die *snap* Übung machen. Dabei müsst ihr euch vorher den Befehl geben, euch auf dieser Plattform zu treffen. Es ist nicht notwendig, dass Mami! Mama, mater mea! ihr euch die Umgebung genau, in allen Einzelheiten ausmalt. Nur diese Plattform mit dem goldenen Boden und der Pyramidenkonstruktion mit dem funkelnden Kristall Höre Fee, Witty steht, Fee Stimme, Arturius, Quirinus hier müsst ihr visualisieren und euch im Augenblick des *snap* hierher versetzen. Wenn ihr das genau so macht, dann werdet ihr euch hier treffen. Vielleicht müsst ihr das öfter üben, aber dann wird es funktionieren. Suggeriert euch das immer wieder.

Ja, das war’s, glaube ich. Der Traum war derart klar, und eigentlich glaube ich, dass ich im außerkörperlichen Zustand war.“

Vs. Worte haben hektisches Blinken der Rähmchen zur Folge, nicht allein wegen der Mitteilung, sondern in erster Linie wegen der sonderbaren, eingestreuten Wortfetzen, die in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt stehen, und an die sich V. beim besten Willen nicht erinnern kann.

„Wartet, da fällt mir noch etwas ein“, sagt V. „Wenn wir auf der Plattform sind, sollen wir uns die Hände reichen, uns zusammen schließen und höre Fee, Witty bald terra incognita. Sende Rabenfrau, sende Rabenfrau, teste Rabenfrau! Hier Arturius, gib Arturius Gutes, Sohn Quirinius und gemeinsam summen oder das OM singen. Das hilft.

Gs stimme klingt fast um eine Oktave höher als gewöhnlich, weil sie so aufgeregt ist: „Du hast gerade für Witty gesprochen, weißt du das?“

E’s und M’s Rähmchen blinken chaotisch, und es knackt im Lautsprecher, weil beide gleichzeitig losquasseln:“Phantastisch!“, „Großartig, du hast es geschafft, du sprichst für Witty. Ich glaub’s ja nicht!“

V.: „Seid ihr übergeschnappt? Was ist los? Was soll ich getan haben, für Witty gesprochen? Davon sollte ich aber auch etwas wissen!“

A., in ihrer ruhigen Art, sagt: „Genau das hast du getan, V. vielleicht erinnerst du dich nicht. Auch Jane hat ja nicht gewusst, was genau sie gesagt hat. Wir alle haben es ja deutlich gehört, Irrtum ausgeschlossen. Du kannst es ruhig glauben.“

Das beredte Schweigen im skype – Land spricht von der überwältigenden Erkenntnis, dass V. und damit auch irgendwie ihnen allen ein Durchbruch gelungen ist. Wie es wohl weiter gehen würde?

Chatiseteng
Es ist eine stille, klare Luft dort, in den Weiten der Steppe. Weiter nördlich, viel weiter, dort, wo in den kalten Nächten die Dunkelheit nicht weichen will, haben die Menschen den Trost der Bäume und auch den der flackernden Lichter, die die leuchtenden Gewänder der Ahnen im Himmel sind. Hier aber, in den Steppen Asiens gibt es nur das Gelb der Erde und den unendlichen Himmel, den Wind, der die Sandkörner singen lässt , und vor dem nur ihre Jurten die Menschen Schutz bieten.
In einer von ihnen ist Chantiseteng geboren, in einer jener Nächte, in denen sogar die Kamele zusammen lagen, um dem eisigen Sturm die Wärme ihrer vereinten Körper entgegen zu setzen. Die Freude war groß, denn Chantisetengs Mutter war eigentlich schon über das Alter hinaus, in dem Frauen für gewöhnlich gebären, und der Vater hatte die Hoffnung auf einen Sohn schon begraben. Da waren drei Mädchen in seiner Jurte, und ein Junge wurde sehnlichst erwartet. Und nun hatten die Ahnengeister ihnen den heiß ersehnten Sohn gewährt. Oft war ihnen Kamelmilch geopfert und Butterlampen an ihrem Schrein entzündet worden. Nun hatten sie dafür gesorgt, dass die Sippe nicht ausstarb.

Die Schamanin hatte alle Riten vollzogen, die missgünstigen Geister gebannt, das Kind nackt dem Himmel und der Erde präsentiert, die Gebete um glücklichen Geburt gesungen. Alles war gut verlaufen. Nun schlief der kleine Knabe friedlich im Arm seiner Mutter.

Vor der Zeremonie des ersten Haarschnittes, mit zwei Jahren, sollte der Knabe beschnitten werden, wie es der Brauch verlangte und seinen endgültigen Namen erhalten. Da aber war die Bestürzung groß, denn es gab kaum etwas, was der Beschneidung wert gewesen wäre. Ein winziges Etwas von Penis ragte kaum aus den, eindeutig als Schamlippen erkennbaren, Gebilden heraus. Es gab keine Testikel. Die Mutter hatte diese Besonderheit wohl erkannt, aber immer darauf gehofft, dass sie sich wohl im Laufe der Jahre auswachsen würde. Was war ihr Kind nun? Würde aus ihm einst ein Mann werden? Sollte es als Mädchen aufwachsen? Ein viertes Mädchen in ihrer Jurte, das womöglich keine Aussicht auf eine gute Heirat hatte?

Zuerst einmal bekam es den Namen Chatiseteng. Der war geschlechtsneutral und unverfänglich. Dann wurde die Schamanin gerufen. Sie sollte ins Reich der Geister reisen und das wahre Geschlecht des Kindes erfragen. Obwohl die offizielle Religion des Volkes der Buddhismus war, genossen Schamanen hohes Ansehen und große Autorität, wenn es darum ging, mit der Welt der Geister in Kontakt zu treten. Da war keinerlei Widerspruch oder gar Konkurrenz zwischen der Welt des Buddhismus und der der Geister.

Als die Schamanin aus ihrer Trance zurück kehrte, ließ ihre Miene darauf schließen, dass die Antwort der Geister nicht die Erhoffte war, wenn auch gänzlich anders, als befürchtet. Sie wiegte sich langsam hin und her und sagte dann:

„Ihr seid eines hohen Besuches aus dem Reich der Ahnen für würdig befunden worden. In eurem Kind hat sich ein hoch stehender Lama wieder verkörpert, ein Lama zusammen mit einer Verkörperung der Weißen Tara. Das kommt sehr selten vor und ist eine große Ehre für euch. Deshalb sollte Chatiseteng in einem der großen Klöster erzogen werden, dass sein Geist erweckt, geschult und diszipliniert werden kann.

So zerschlug sich eine Hoffnung der völlig überrumpelten Eltern, und sie erhielten dafür die große, aber für ihre Begriffe, nicht ganz erstrebenswerte Ehre, einem *Tulku* die Türe zur Wiedergeburt geöffnet zu haben, einem hoch verehrten *Rinpoche*.

Wie wohl einer Mutter zumute ist, die sich von einem ihrer Kinder auf Dauer trennen und es in fremde Hände geben muss – und seien es noch so gesegnete? In Chatisetengs Jurte war die Stimmung gedrückt, aber niemand getraute sich, seinem Schmerz wirklich Ausdruck zu verleihen, da ihrem Kind doch eine solche Chance geboten wurde und ihnen eine solche Ehre widerfuhr. Doch heimlich nachts, im Bett, das das jüngste der Kinder mit den Eltern teilte, drückte die Mutter das Verlorene zart an sich und weinte leise in die Felle. Der Vater aber gab vor, das Schluchzen nicht zu hören und war doch selbst voller Schmerz. Und dann war der Tag der Trennung da. Die Karawane, die Chatiseteng, in Begleitung zweier Mönche, in die fernen Berge bringen sollte, hielt vor der Jurte. Männer mussten mit vergorener Kamelmilch bewirtet, Gepäckstücke verstaut, letzte Anweisungen gegeben werden. Da blieb keine Zeit für Gefühle. Dann aber, als die Karawane den Blicken entschwand, flutete Schmerz die nun leeren Räume in den Herzen der Eltern, und sie sanken einander weinend in die Arme.

So wuchs Chatiseteng als Mönch unter Mönchen auf. Sein Tag war streng geregelt, auch, als er noch ein kleines Kind war. Schon sehr früh am Morgen hieß es aus den warmen Decken heraus in die kalte, scharfe Luft der Berge. Er begleitete die größeren Knaben beim Wasser holen, lernte, Feuer zu machen und den allmorgendlichen Buttertee zu bereiten. Dann wurde gelernt. Lesen, Schreiben, die heiligen Schriften zu rezitieren, die Namen und Aufgaben der vielen Götter, Dämonen und Geister zu kennen und zu merken. Einen großen Raum nahm die Meditation ein. Anfangs war es eine Qual für den kleinen, angehenden Tulku, bewegungslos in der vorgeschriebenen Haltung zu verharren und nichts zu tun und zu denken. Seine kleinen Füße verlangten nach Springen und Rennen, und seine Gedanken wanderten oft in die Küche, zum täglich gleichen Tsampa. Ob es heute ein wenig mehr Butter dazu geben würde?

Aber auch spielen durften die kindlichen Mönche, auch dafür war Platz und Raum im strengen Reglement des mönchischen Lebens. In den Stunden zwischen Lernen und Memorieren hallte fröhliches Bubengeschrei über den Klosterhof, wenn Fußball gespielt oder um die Wette gerannt wurde. Obwohl, Fußball gehörte nicht zu den Lieblingsspielen des kleinen Chatiseteng. Er liebte es weniger ruppig, mochte Brettspiele, oder er webte. Auch stricken lernte er bei einem der uralten Mönche, der diese Kunst beherrschte. Das machte ihn ein klein wenig zum Außenseiter. Damals aber wurde er ohnehin schon mehr und mehr abgesondert von den Knaben, die vorüber gehend im Kloster untergebracht waren, um lesen und schreiben zu lernen und die Tugenden eines buddhistischen Lebens. Als wieder geborener Lama, der einst vielleicht Oberhaupt des Klosters oder sogar der ganzen lamaistischen Gemeinschaft in allen Ländern werden sollte, musste er mehr lernen, sehr viel mehr. Man hatte ihm einst Besitztümer verstorbener Lamas gezeigt, und er hatte die als die Seinen wieder erkannt, die ihm einst, als Rimpoche, gehört hatten. Damit stand seine Stellung als Tulku fest.

Man muss, als kleiner Knabe, schon gut geschult sein in buddhistischer Demut, wenn ältere Mönche sich vor einem verneigen und um den Segen bitten. Diese Demut erlernte Chatiseteng und noch Vieles mehr. Was ihn aber aus seinem erlernten Gleichmut brachte, war das, was sich an seinem Oberkörper zu wölben begann, deutlich und unübersehbar. Es war nicht groß, gerade eben so, dass es sich unter dem roten Mönchsgewand ein wenig abzeichnete. Im gleichen Maße wuchs sein Penis, während die Hoden sich aus der Bauchhöhle an ihren eigentlichen Platz senkten. Er hätte ein vollkommenes, männliches Geschlecht gehabt, wären da nicht die Schamlippen gewesen, die hinter dem Skrotum lagen. Da seine Erinnerung nicht bis in seine Kleinkindzeit in der Mongolei zurück reichte, hatte er sein ganzes Leben in Gemeinschaft von anderen Männern verbracht. Dass es Frauen gab, wusste er zwar, sie waren aber wie Geschöpfe aus einer anderen Galaxie, fern und unwirklich. Bei den unvermeidlichen Vergleichen, die Jungen untereinander anstellen, fand er heraus, dass er ein wenig anders war als die Anderen. Das war ihm aber nie ein Problem gewesen. Nun aber! Die Stimmen der Gefährten brachen, wurden tief, ihr Gesicht wurde rau vom wachsenden Bart. Seine blieb fast, wie sie immer gewesen war, sie wurde nur voller und nur wenig tiefer. Das Verwirrendste war aber, dass seltsame Empfindungen in seinem Leib aufwallten, besonders wenn er mit Einem zusammen war, seinem Repetitor für lamaistische Texte.

Chatiseteng war daran gewöhnt, sich mit allen auftretenden Problemen an seinen alten Mentor zu wenden, und das tat er auch, unschuldig und völlig offen, in dieser Sache. Der alte Mönch bat ihn, sich zu enthüllen. Was er da sah, ließ ihn erschauern vor Ehrfurcht und Erstaunen. Ein vollkommener Hermaphrodit, schön und makellos, stand da vor ihm, Mann und Frau gleichermaßen. Der Mönch fiel auf die Knie und murmelte Anbetungen. So hatte sich der arme Chatiseteng das nicht vorgestellt. Schnell schlüpfte er wieder in sein Gewand und hob den, in Ehrfurcht Erstarrten wieder auf. Ja doch, es war im Kloster bekannt, dass er ein Mischwesen war. Aber in derartiger Vollkommenheit, damit hatte doch keiner gerechnet! Nun war jeglicher Zweifel an seiner Rinpoche – Inkarnation, sollte da je einer bestanden haben, beseitigt. Die absolute Verkörperung des heiligen Yin – Yang, dem Symbol der göttlichen Ganzheit, weilte im Körper unter ihnen. Ihr Kloster war auserwählt, es würde zum Mittelpunkt des lamaistischen Buddhismus werden. Welch ein Glück!
Die Nachricht sprach sich in unglaublicher Schnelligkeit herum. Von überall kamen die Pilger, um den Segen des Rinpoche Chatiseteng zu empfangen. Das Kloster drohte, aus allen Nähten zu platzen.

Nun aber hatte Chatiseteng wenig Freude an Trubel und Verehrung. Er fühlte sich zum Studium hingezogen, zur meditativen Versenkung, zum Intonieren der heiligen Klänge. Doch er durfte sich seinen Pflichten nicht entziehen.

Und das heilige Tohuwabohu wurde unterbrochen. Leider bedeutete diese Unterbrechung aber wenig Erfreuliches. Die gut ausgerüsteten und ideologisch getrimmten Truppen des Nachbarlandes waren im Land eingefallen und gedachten, dieses unterentwickelte Mönchsregime in ein modernes, technisiertes und ideologisch auf Vordermann gebrachtes Land zu verwandeln. Klöster wurden aufgelöst, Mönche vertrieben, getötet oder zu Zwangsarbeit verpflichtet, uralte Heiligtümer entweiht. Es galt, den allerheiligsten Rinpoche in Sicherheit zu bringen, damit das spirituelle Zentrum ihres Reiches unangetastet bliebe und mit seiner geistigen Kraft dem Niedergang ihrer Kultur entgegen wirken konnte.

Wie viele Jahre ins Land gingen, während Chatiseteng in seiner verborgenen Höhle unter den eisigen Gipfeln des Gebirges in meditativer Versenkung zubrachte, einzig von einem alten Mönch versorgt und auf geheimen Pfaden mit dem Lebensnotwendigsten versorgt? Tausend Jahre oder ein einziger Tag, was machte den Unterschied? Das Land hatte sich verändert, ganz im Sinne der Besatzer. Dennoch, da war etwas Unfassbares und Unnennbares, und darauf hatten weder die Militärs, noch die ideologischen Kader Zugriff. Scheinbar besiegt und doch unbesiegbar lebte der alte Geist unter all den neuen Verhältnissen weiter, trotz aller Reformen und Repressalien. Das musste eine Ursache haben, und die musste gefunden werden.

Durch einen scheinbaren Zufall wurde ein Soldat auf den heimlichen Saumpfad aufmerksam, auf dem der Rinpoche mit Lebensmitteln und Brennholz versorgt wurde. Da saß er nun, vor dem Bataillon starrender Soldaten, in völliger Ruhe, unbewegt von allen Drohungen, dem Nirvana näher als den Samsara – Strebungen der Menschen. Das alles war ihm völlig fremd geworden. Und als die Soldaten den heiligen Mann ergriffen, um ihn zu Tal und in den Machtbereich der Besatzer zu bringen, wo man dem Volk dessen Machtlosigkeit schon demonstrieren würde, damit es endgültig gebrochen werden könne in seinem eigensinnigen Widerstand gegen ein besseres Leben, entwischte er endgültig. In einem Akt des willentlichen Sterbens ließ er nur seinen asketischen Körper zurück. Es wurde dunkel um ihn, dunkel und still. Ob dies das Nirvana war?
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

Re: sumari - rabenclan - geschichten

8
Nirvana, oder was?
Hingegeben an Dunkelheit und Stille schwebte das, was einst Chatiseteng gewesen war, in seiner Version von Nirvana und erwartete die Auflösung im kosmischen Bewusstsein. Das Aufgehen im Nichts, oh wie wunderbar das sein würde! Keine Verkörperung mehr, kein erneuter, schwerer, irdischer Körper, keine niederen Strebungen, kein Mann oder Frau Sein, keine Entscheidungen mehr. Nur mehr reines, göttliches Bewusstsein. Ja, genau das wartete auf ihn/sie, dahin war sein Geist unterwegs.

Wenn da nicht dieses irritierende Geräusch gewesen wäre! Es klang wie das Krächzen von Raben. Unsinn, im Nirvana gab es keine Raben, hatte es sie nicht zu geben, punktum! Das war sicher nur ein Zeichen, dass er seinen Geist noch mehr auf das große Nichts konzentrieren musste. Doch dann hörte er (beim dickbäuchigen Buddha, es gab doch keine Ohren im Nirvana!) eine Stimme, eindeutig eine weibliche. Sie klang irgendwie eintönig, wie eine Litanei. Das störte Chatisetengs meditative Versenkung auf unangenehme Weise. Er verspürte sogar etwas wie….. Zorn! Zorn, ein solches Samsara – Gefühl hatte nun eindeutig nichts zu suchen in den Ebenen des reinen Geistes. Ärgerlich, sehr ärgerlich! Ärgerlich ja, aber nicht weg zu meditieren. Der reine Geist strengte nun seine nicht vorhandenen Ohren an, um der Ursache der Störung seines Ewigen Friedens auf den Grund zu gehen. Das genügte, um seinem Streben eine Richtung zu geben. Er landete in einem Schlafzimmer, wo eine ältere Frau, allem Anschein nach schlafend, vor sich hin murmelte und dabei…… seinen Namen sagte! Eindeutig, es war sein Name, Chatiseteng, den die Frau immer wieder aussprach! Und dann, was geschah hier? Dann leuchtete auf einmal ein gebündelter Lichtstrahl auf, der ihn weg zog, weiter und weiter, ohne, dass er etwas dagegen machen konnte. Dieser Lichtstrahl endete abrupt und setzte Chatiseteng einfach ab. Wo?

Der Ort war sehr fremd und sehr ungewöhnlich. Es war ein Gras bewachsener Platz inmitten uralter und riesiger Bäume, die kleine Häuschen aus Holz in ihren mächtigen Zweigen trugen. Dazwischen gab es Treppen, die einzelne Häuschen und Plattformen miteinander verbanden. Es roch nach Laub und frischem Gras und….. eindeutig….. dieser Geruch erweckte in Chatiseteng frühere, längst überwunden geglaubte, Wünsche und Gelüste. Da war ein langer Tisch aufgebaut und Bänke davor, und auf dem Tisch standen Speisen, die der Mönch niemals in seinem ganzen Leben auch nur für möglich gehalten hätte! Und wie sie dufteten! Himmlisch!
Jetzt wurde ihm mit einem Schlag klar, was dies hier zu bedeuten hatte. Er war in der buddhistische Hölle gelandet, wo sein Geist ein letztes Mal geprüft werden sollte, ob er bereits rein genug sei von allen irdischen Strebungen, um endgültig befreit vom Rad der Wiedergeburt, endlich ins rettende Nirvana eingehen zu können!
Und die Gestalt, die da plötzlich auftauchte, mit weiteren Schüsseln und Platten beladen, war sie ein Dämon, ein Hungergeist, der ihn mit unbändigem Verlangen peinigen würde? Er wollte mannhaft Widerstand leisten und sich das Nirvana verdienen, ha!

Neben dem Hungergeist erschienen weiter Gestalten, eindeutig weiblich. Sie lachten (ha, freut euch nicht zu früh, ihr Dämonen, noch habt ihr mich nicht besiegt!) und plauderten (schwarzmagische Beschwörungen!). Dann erblickten sie ihn (jetzt war es soweit! Der Kampf begann.) und gingen lächelnd auf ihn zu (Verstellung, die mächtigste Waffe der Dämonen!).

Eine von ihnen, ein grauhaariger Dämon sagte:
„Schau mal, E., wir haben einen weiteren Gast. Aber diesmal hast du ja mehr als genug gekocht“,

wobei der Dämon lachte. Aber dieses Lachen war so weit von dämonischem Lachen entfernt, wie ein Vogel von einem Yak. Es verleitete zum Mitlachen. Das aber durfte er nicht, sonst wäre es um sein ganzes Nirvana geschehen. Um angemessenen Ernst bemüht, sprach Chatiseteng:

„Hinweg mit euch, dämonische Mächte! Ich habe euch durchschaut und werde euren schwarzen Verführungen nicht erliegen!“

Die Dämonen sahen einander verständnislos an, dann brachen sie in wieherndes Gelächter aus:

„Werter Herr“, sagte eine von ihnen, deren einst rotes Haar sich schon weit ins Grau verfärbte, „wir sind keineswegs Dämonen. Wir wollen nur eines von E’s. 40 Festen feiern, und damit sind wir ohnehin schon im Rückstand. Sie sind herzlich eingeladen. Es ist genügend da, sie müssen sich nicht zurück halten.“, wobei sie immer wieder in Kichern ausbrach.

Das brachte den armen Mönch völlig aus der Fassung.
„Wer, bitte, ist E.? Ich kenne keinen Dämon dieses Namens. Die Zahl 40 allerdings sagt mir etwas, sie ist eine heilige Zahl der Ganzheit. Es ist doch reine Blasphemie, hier im Reich der Dämonen die heilige Zahl auszusprechen.“ Wobei er natürlich völlig vergaß, dass Blasphemie das eigentliche Wesen der Dämonen ist. Das allein deutet schon den Grad seiner Verwirrung an. Er raffte sein rotes Mönchsgewand empört zusammen, um nicht vielleicht etwas vom hier vorherrschenden, geistigen Unrat abzubekommen und suchte verzweifelt nach dem Notausgang ins rettende Nirvana, wobei er aber immer öfter verlangend nach E’s. Köstlichkeiten schielte.

Inzwischen waren die restlichen Gäste des Dinners eingetroffen. Zuvorderst Witty, deren vergangenes Leben so vom ständigen Hunger gezeichnet gewesen war, dass eine derart üppige Tafel eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf sie hatte. Dann kam Urs mit Fee, die Ziegen mussten daheim bleiben. Sie sind übermäßig gefräßig, und die Tafel wäre sonst in null Komma nichts leer gewesen. Hinter Urs trottete ergeben der sanftmütige Stier Mustard drein, auf seinem Kopf thronte der kleine Sohn von Fee und Urs. Die minoische Priesterin trug stolz ihre ausladende Oberweite zur Schau, während Astrid es nicht lassen konnte, dem neuen Gast schöne Augen zu machen. Der aber blieb völlig unbeeindruckt, was die arme Astrid erstmals an ihrer weiblichen Attraktivität zweifeln ließ. Sie konnte ja nichts über Chatisetengs Doppelausstattung und seine sexuelle Orientierung wissen. Die arme Haut wackelte mit den Hüften, rollte die Augen, zwinkerte immer verzweifelter, bis sie endlich aufgab und Trost beim Wein suchte, dem sie, im Laufe des Abends immer ausgiebiger zusprach. Natürlich waren da auch G., A., V., E. und M. Zuletzt traf Ibucock ein. Er hatte zuhause noch eine ernste Auseinandersetzung mit seinem Raben gehabt, der darauf bestand, seinem Meister auch heute als Hut zu dienen. Der aber war abgeneigt. Zuletzt hatte doch der Rabe gesiegt. Das brachte den Mönch völlig aus der Fassung. Ibucock erkannte, was den armen Kerl umtrieb und nahm in zur Seite.

„Mein Sohn“, sprach er gravitätisch, was bereitet dir solche Verwirrung? Sprich!“

Der Alte schien ein Weiser zu sein, eine Art von Lama aus einer anderen Gemeinschaft. Vielleicht wusste er, was es mit dieser seltsamen Szenerie auf sich hatte. Unsicher sagte er:

„Ich bin Chatiseteng, ein Tulku und wieder geborener Rinpoche, eine vollkommene Verkörperung der göttlichen Ganzheit und habe mit einigem Recht erwartet, schnurstracks ins Nirvana einzugehen. Nun aber bin ich….. hier, was immer das hier auch sein soll.“

Der Lama mit dem Rabenhut verneigte sich ehrerbietig. Er wusste genau Bescheid über die spirituelle Fortgeschrittenheit eines Kollegen mit einem solch hohen Rang. Verneigungen mochte der Rabe nicht. Sie brachten ihn aus dem Gleichgewicht, deshalb peckte er mit dem Schnabel nach seinem Herrn und flatterte aufgeregt. Der Mönch wunderte sich, sagte aber nichts. Man konnte nie wissen, welch mächtiger Geist den Kopf des alten Mannes beherrschte. Und damit wollte er sich lieber nicht anlegen, aus Sicherheitsgründen. Nachdem der Alte eine neuerliche Diskussion mit dem Beherrscher seines Hauptes beendet hatte, fuhr er fort:

„Hoch verehrter Rinpoche, Ihr seid genau richtig hier. Entspannt Euch und fühlt Euch willkommen.“

„Hä?“ antwortete ein völlig entgeisterter Chatiseteng, „wie das? Dieser Ort mit seinen wunderlichen Einwohnern soll das Nirvana sein, ich meine, DAS Nirvana, wenn ihr mich richtig versteht.“

„EUER Nirvana, Verehrtester, euer ureigenstes Nirvana, zugeschnitten und maßgeschneidert sozusagen nur für euch.“

Der Mönch nahm jene demütige, jedoch würdevolle Haltung ein, die jahrzehntelanges Training anzeigte und erwiderte:

„Der fremde Meister möge mir verzeihen, aber Nirvana ist Nirvana, rein, geistig und ohne Wünsche und Bedürfnisse.“

Das entlockte Ibucock ein mildes Lächeln. Er antwortete, wobei er listig zwinkerte:
„Wie aber, verehrter Rinpoche, glaubt Ihr, in solch rein geistige Bereiche eingehen zu können, wenn Eure Wünsche und Bedürfnisse niemals erfüllt wurden? Ihr würdet hungern nach den einfachen Freuden, die Euch Zeit Eures Erdenlebens verwehrt blieben. Habt Ihr jemals die Freuden des Bettes erfahren? Habt ihr das Lächeln Eures Kindes erwidert? Habt ihr gekostet von den wohl schmeckenden Speisen unserer hoch geschätzten E.?...... Nein, natürlich nicht. Deshalb kommt, setzt euch erstmal mit uns an den gemeinsamen Tisch, esst, trinkt, genießt, freut Euch und lacht, tanzt und singt, lasst einfach mal alle Fünfe g’rade sein, dann könnt Ihr immer noch in Euer heiß begehrtes Nirvana, wenn ihr dann noch wollt.“

So geschah es. Von diesem Fest wurde noch in fernen Tagen erzählt, als die Stadt längst andere Bewohner und ihren Platz in Zeit und Raum eingenommen hatte. Es ging in die Sagen und Mythen der Menschen ein als *Nie versiegende Tafel Walhallas, das Gastmahl auf dem Olymp, das Fest im Feenreich, dessen Speisen ein Sterblicher niemals kosten dürfe, um nicht für ewig an diesen Ort gebannt zu sein und schließlich der Tisch des Herrn* uswusf….. Dabei war es erst E’s. erstes Fest, dem noch mindestens 39 weitere folgen sollten.

Chantiseteng jedenfalls tat, wie Ibucock es ihm empfohlen hatte. Er genoss, was er in diesem asketischen, letzten Leben nie genossen hatte. Sogar die Liebe, also das, was Menschen gemeinhin unter Liebe verstehen, wurde ihm zuteil. Durch wen? Ja, das ist so eine Geschichte. Der weise Ibucock lud einen entfernten Bekannten von sich ein, die Sumaristadt zu besuchen, Maimudias, den Griechen. Von den Griechen wird ja gesagt, sie hätten die Liebe unter Gleichen gerne gepflogen. So wurde Maimudias, ebenfalls ein Hermaphrodit, zum Lehrmeister und gleichzeitig zur Lehrmeisterin für Chantiseteng. Sie vergnügten sich in dieser Weise also zu viert, und es kam unter den Vieren mehrmals zu Eifersuchtsszenen, wie das eben so ist in polygamen Liebesbeziehungen.

Als Chantiseteng dann gesättigt war von all den Genüssen, erinnerte er sich wieder an sein geliebtes Nirvana. Er verließ die Rabenstadt, und es ist nicht bekannt, ob er es je erreicht hat oder in gänzlich andere Bereiche umgezogen ist. Wir wünschen ihm das Beste und kümmern uns wieder um eigene Belange.
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

Re: sumari - rabenclan - geschichten

9
Die Säule des Erinnerns
V. kehrte aus ihrem Urlaub zurück, und das Ouijabrett trat erneut in Aktion. Immer wieder wurde den Fünfen mitgeteilt, sie seien in der Sumaristadt gewesen, hätten dies und das getan, Diesen und Jenen getroffen, sogar von einem gemeinsamen Gelage mit einem tibetischen Lama wurde erzählt. Dummerweise konnte keiner von ihnen sich an Derartiges erinnern. Dazwischen meldeten sich alte Bekannte zu Wort und das im buchstäblichen Sinne, denn manchmal sprach V. tatsächlich laut und mit deutlich veränderter Stimme.

Als Erster meldete sich Arturius, der immer wieder nach seinem Sohn fragte und insistierend auf einem Wiedersehen mit Astrid beharrte. Diesem Ansinnen wurde stattgegeben. Arturius erschien, erbaute für sich und seine kleine Familie ein römisches Atriumhaus und war zufrieden. Die Kriege und Kämpfe konnten ihm gestohlen bleiben, jetzt wollte er einmal ein normales, kleinbürgerliches Leben führen, mit Frau, Kind, Hund und Haus. Misty, den alten womanizer allerdings wollte er nicht in seiner Nähe dulden. Er musste sein Haus in einem anderen Stadtteil errichten und versprechen, sich von seiner Frau fern zu halten, was dieser auch gerne tat. Von manchen Genüssen ist man bald einmal übersättigt, und Misty strebte eindeutig nach Höherem. Immerhin war er Angehöriger des geistlichen Standes und gedachte, sich endlich einmal dem Studium der Hl. Schriften hinzugeben.

Wesentlich anspruchsvoller war da der König, der für sich und seine Frau nicht nur die Einbürgerung, sondern auch einen angemessenen Palast und den dazu gehörigen Hofstaat forderte. Hier waren Gs.. Beziehungen zu Ibucock gefordert. Der zeigte sich anfangs etwas unwillig, denn in letzter Zeit hatte man ihn zu oft von seinen eigentlichen Tätigkeiten weg geholt. Mit seinen alchemistischen Studien ging es nicht so richtig weiter. Immer, wenn es heikel wurde, griffen die Mädels auf seine diplomatischen Fähigkeiten zurück. G. bat ihn, ausnahmsweise auf seinen Rabenhut zu verzichten und sein Zaubereroutfit anzulegen, wegen des würdigeren Eindrucks auf den König – was natürlich wieder zu Diskussionen zwischen ihm und seinem Raben führte. Endlich aber hatte der Magier dem Raben seinen Standpunkt klar gemacht, und der Rabe hatte sich schmollend auf das Kaminsims zurück gezogen. Angetan mit dem blauen Sternenmantel und dem hohen, spitzen Hut trat Ibucock dem König und seiner Königin entgegen. Er bot eine wirklich eindrucksvolle Erscheinung.

König und Königin waren gerade erst angekommen und blickten sich erstaunt um. Aber als Monarchen ließen sie sich ihre Verblüffung über die völlig fremde Szenerie nicht anmerken. Wo blieben eigentlich das Empfangskomitee, der rote Teppich, die Fanfaren, die Blumenmädchen? Da war nur ein seltsamer Alter in einem Sternen besetzten Mantel. Sollte das alles sein? Die Königin seufzte. Aber sie schwieg. Die Jahre im Turm hatten ihre Ansprüche auf ein recht niedriges Niveau herab geschraubt. Ibucock deutete eine Verbeugung an, gerade eben so tief, wie es sein gesetztes Alter und seine Würde als Weiser erlaubten und begrüßte das Königspaar mit wohl gesetzten Worten. Der König lächelte huldvoll. Wenigstens eine angemessene Ausdruckweise kannte man hier, immerhin! Nach einer angemessenen Pause sprach er:

„Wir nehmen deine Begrüßung huldvoll an, Weiser Alter. Dennoch sind Wir etwas verwundert über die fehlenden Begrüßungsfeierlichkeiten. Da sind Wir Anderes gewöhnt, wie du dir denken kannst.“

Ibucock lächelte freundlich. Das schien den König ein wenig aus dem Konzept zu bringen. Er sagte:

„Nun, Wir haben dir eine Frage gestellt. Hast du dazu nichts zu sagen?“

Ibucock lächelte freundlich. Nun mischte die Königin sich ein. Vielleicht war der Alte schon etwas schwerhörig.

„Mein Gemahl fragt nach der jubelnden Menge“, schrie sie Ibucock ins Ohr. Dieser wich erschreckt zurück und hielt sich die Ohren zu. Immer noch freundlich lächelnd erwiderte er:

„Wir brauchen das nicht.“

„Was heißt hier *wir*, elender Wicht, hier gibt es nur ein Wir und das sind Wir!“

„Wie Ihr wünscht, Euer Majestät“.

Der König schien das feine, ironische Lächeln, mit dem diese Worte gesprochen wurden, nicht zu bemerken. Er schien besänftigt und setzte seine Befragung weiter fort:

„Es steht Uns in Unserer Gott gegebenen Stellung wohl zu, in allen Ehren empfangen zu werden. Alle Länder sind Uns untertan. In diesem Land scheint man davon aber keine Ahnung zu haben. Nun, wie lautet deine Entschuldigung? Und lass dir etwas Gescheites einfallen, Bursche, sonst sitzt du so schnell im Verlies, so schnell kannst du nicht einmal *paff* sagen!“

„Ich glaube, ich muss Majestät über diese, unsere Stadt erstmal aufklären“ sagte Ibucock lächelnd. Er schien von der königlichen Androhung eines Verlieses nicht im geringsten beeindruckt.

„Unsere!“, schrie der König erzürnt. Er verlor allmählich seine Contenance. „Unsere Stadt, Unsere, Unsere, Unsere, wie alles hier und im ganzen Reich! Wie kannst du es wagen, elender Wicht, dir den pluralis majestatis anzumaßen!“

„Aber Euer Majestät!“ Besorgt betrachtete Ibucock das zornesrot angelaufene Gesicht des Königs. „Ich maße mir gar nichts an. Ich spreche nur von unserer Stadt, der Sumaristadt. Wir haben sie erbaut, sie entsteht jeden Augenblick neu, und sie trägt unsere Wünsche und Vorstellungen.“

„Deine Wünsche und Vorstellungen, deine, deine, deine, wenn gewöhnliche Sterbliche so etwas überhaupt haben dürfen. Du bist ein Du und kein Wir, merk dir das endlich. Das einzige Wir hier sind Wir, und das einzige Unser sind ebenfalls Wir und nicht du!“

Diese, zugegeben etwas komplizierten Ausführungen über Personalpronomen schienen den armen König einigermaßen erschöpft zu haben. Er orderte deshalb einen Thron. Er orderte erneut. Und noch einmal mit Nachdruck. Als das ohne Ergebnis blieb, schien er in resignative Verstimmung zu verfallen. Das rief wieder Ibucocks Mitgefühl auf den Plan. Einfühlsam sagte er:

„Euer Majestät gebricht es leider am Basiswissen über diese Stadt. Nein, bitte, geruht erst einmal zuzuhören, bevor Ihr wieder in Zorn ausbrecht. Dieser Ort ist eigentlich kein Ort, und er nimmt keinen Raum ein. Demzufolge kann er auch niemand gehören, keinem Uns, keinem Wir, egal ob mit Groß – oder Kleinbuchstaben. Er hat keine Regierung und keine Verwaltung, und er verändert sich in jedem Augenblick…“

Der Gesichtsausdruck des Königs ließ erahnen, was er von den Worten des Alten hielt. Zuerst verabsäumte man die grundlegendsten Gesetze der höfischen Etikette, indem man einfach das Begrüßungszeremoniell wegfallen ließ, dann schickte man einen närrischen Alten als Empfangskomitee, der nur Unsinn brabbelte. Empörend! Die Königin war ob des ermüdenden Zwiegesprächs einstweilen im Gras eingeschlafen. Ihr Aufenthalt im Turm hatte sie doch sehr geschwächt.

Ibucock fuhr fort: „Wir, also wir mit kleinem W, würden Uns (mit kleinem U) sehr freuen, wenn Majestät uns heute Abend die Ehre Eurer und der Eurer hochwohlgeborenen Gattin Anwesenheit gäbe, bei der Einweihungsfeier der Säule der Erinnerung. Es wird Speisen geben, die dem verwöhnten Gaumen Euer Majestät schmeicheln werden, Gaukler werden ihre Kunststücke zum Besten geben, eine Vertreterin der Bardenzunft wird eine Geschichte vortragen, und wir alle (mit großem und mit kleinem W) werden erleuchtender Einsichten in das Wesen der Realität teilhaftig werden.“

Diese komplizierte Ansprache hatte jetzt deutlich an den Kräften des alten Magiers gezehrt und, es verlangte ihn dringend nach seinem stillen Studierstübchen und seiner Pfeife.

„Man wird Uns doch mit zwei Sänften abholen und Uns zum Ort der Festlichkeiten geleiten?“, fragte der König.

Ibucock wollte eigentlich sagen, dass die Verhältnisse hier nicht solcher Einrichtungen bedurften, ließ es aber dann aus verständlichen Gründen. Das Königspaar war schon zur Genüge verwirrt. Er sagte das Geleit zu und verschwand umgehend. Auch das trug natürlich seinen Teil zur königlichen Verwirrung bei, worum sich der Alte aber nicht mehr kümmern wollte. Er machte noch einen kleinen Abstecher an E’s. Häuschen vorbei und pfiff durch die Finger. Als E. am Fenster erschien, rief er zu ihr hinauf:

„Ach, weiß du, E., wir werden heute wohl einen Partyservice anfordern. Du hast ja erst kürzlich so schrecklich viel kochen müssen. Würdest du das bitte, übernehmen?“ Damit verschwand er auch aus E’s. Gesichtsfeld und erschien umgehend auf seinem Sofa. Die Pfeife wartete bereits, fertig gestopft und entzündet.

Als es Abend wurde, fanden sich allmählich alle bei der Säule des Erinnerns ein, die seit kurzem auf einem runden Platz im Viertel der Ahnen stand. Sie war aus Obsidian, vollkommen glatt und dreieckig. Obenauf saß eine Kugel aus dem gleichen Material. Eine Seite schaute in die Vergangenheit, eine in die Zukunft, und eine repräsentierte das Gegenwärtige. Die Kugel symbolisierte die Gleichzeitigkeit aller Zeiten. Noch blieb die Säule aber verhüllt.

Erwartungsvolle Stille erfüllte den Platz. Der Rabe Ibucocks hatte es sich nicht nehmen lassen, an der Feierlichkeit Teil zu nehmen. Er saß auf der verhüllten Kugel, ließ hin und wieder ein fragendes *krack* vernehmen und hielt ansonsten ausnahmsweise den Schnabel. Seine Kollegen saßen weiter weg, auf den ansteigenden, steinernen Stufen des amphitheaterähnlichen Rundes. Auch sie verhielten sich angenehm ruhig. Zuletzt erschienen die beiden Sänften mit König und Königin. Sie lösten sich sofort in Nichts auf, als die Beiden ihnen entstiegen waren. Nun konnte das Fest beginnen. Die Gauklertruppe spielte einen flotten Ragtime, während G. das Podium betrat und die Eröffnungsrede hielt. Sie tat das mit erstaunlicher Eloquenz und ganz ohne Manuskript. Dafür erhielt sie viel Applaus. Noch blieb die Säule aber verhüllt.

Nun hatten die Gaukler ihren großen Auftritt. Sie jonglierten, tanzten auf dem Seil, schlugen Räder und Saltos. Der Höhepunkt ihrer Darbietungen aber war ein Seifenblasenbläser, der große, schillernde Seifenblasen aus seinem Rohr zauberte, in welchen Menschen in den Kostümen ihrer Zeit über den Platz schwebten.
Die Ahs und Ohs des Publikums wollten kein Ende nehmen. Da waren in Fell gekleidete Jäger der Steinzeit, frühmittelalterliche Krieger, Renaissanceschönheiten im Stile Raffels, Astronauten, Mädchen im Mini, Barocke Galane, Rokokoschäferinnen, Ritter zu Pferd, Punks und vieles mehr. Selbst der König, der ja doch einigermaßen anspruchsvoll war, staunte mit offenem Munde. Das musste ja unheilige Magie sein! Für so etwas wären die Gaukler in seinem Reich auf dem Galgen gelandet, unerhört!

Dann betrat M. das Podium. Sie hielt eine kleine Bardenharfe in den Händen und ließ ein feines Glissando ertönen, dessen Töne die Luft sektähnlich aufperlen ließen und alle Anwesenden köstlich erfrischten. „Ich werde euch jetzt eine Geschichte erzählen“, sagte sie:

Es war einmal ein König. Er führte Krieg gegen ein benachbartes Königreich, das er unterwarf und seinen Herrscher tötete. Dessen Witwe aber nahm er zur Frau. Es war nämlich in diesen Zeiten so, dass die Königin das Land verkörperte, der König aber war ihr Kriegsherr. Der Gemahl der Königin wurde erst durch sie zum König.

Nun hatte aber die Königin einen Sohn von ihrem ersten Gemahl, und dieser war der rechtmäßige Erbe des Reiches. Das ging dem Usurpatoren gründlich gegen den Strich. Er gab dem Hofjäger den Befehl, den unliebsamen Sprössling möglichst spurenlos zu entsorgen.

Der König im Publikum rutschte unruhig auf seinem Platz herum. Zu nahe war diese Geschichte seinen eigenen Taten.

Der Königin, die bereits einen derartigen Anschlag auf ihren Sohn erwartet hatte, gelang es aber, ihren Sohn an den Hof eines, ihr ergebenen Vasallen zu senden und ihn dort erziehen zu lassen, bevor die böse Tat verübt werden konnte. Der Hofjäger erhielt zum Dank für sein Schweigen ein schönes Stück Land aus dem Besitz der Königin.

Nun galt es, sich schleunigst auf die Erzeugung eines Thronfolgers zu konzentrieren. Doch, trotz zahlreich verbrachter Nächte im Bett seiner Gemahlin (die diversen Gespielinnen begannen schon zu schmollen) wollte sich deren Leib nicht runden. Der König geriet in Rage und drohte, die Unfruchtbare zu verstoßen (Turm). In ihrer Verzweiflung machte sich die Königin auf zu einer Pilgerfahrt zu einer heiligen Stätte, die im Ruf stand, solcherlei Ungemach beseitigen zu können, durch hl. Wasser, durch die Gebete der hl. Mönche des dortigen Klosters und durch Andacht und Einkehr der Betroffenen.

Und, oh Wunder, die fromme Reise schien von Erfolg gekrönt! Schon bald nach ihrer glücklichen Rückkehr rundete sich der Leib der hohen Frau, und sie gebar dem stolzen König eine wunderhübsche Tochter. So ein Desaster! All die Bemühungen und wieder kein Thronfolger! Da war dieses, winzig kleine Detail nur mehr ein weiteres Ärgernis: an der makellos glatten Haut des Säuglings fand sich kein Anzeichen des, in seiner Familie seit vielen Generationen weiter vererbten, Muttermales in Gestalt eines Raben. Das hätte natürlich eine Laune der Natur sein können – oder aber auch nicht. Die Ungewissheit raubte dem König den Schlaf. Er unterwarf also seine Gemahlin einer strengen Befragung. Doch diese wusste nichts Anderes zu berichten als über fromme Übungen, Gebete, Bäder in der hl. Quelle und den frommen Beistand der Mönche (insbesondere dieses Einen…. ), die in ihrem frommen Eifer nichts unversucht gelassen hatten (wirklich nichts), um ihrem Schützling aus der Not zu helfen. Dies alles berichtete die Königin mit unschuldigster Miene und wahrhaft ergreifend treuherzigem Augenaufschlag, so dass dem König nichts Anderes übrig blieb, als ihr Zähne knirschend zu glauben. Aber er ließ die Widerstrebende sicherheitshalber in den Turm einmauern, wobei er für allfällige, erneute Zeugungsversuche eines legitimen Thronfolgers eine winzige Pforte einbauen ließ, zu welcher nur er alleine den Schlüssel besaß.

Irgendwann riefen seine königlichen Pflichten ihn zum Kreuzzug. Der zog sich jahrelang hin, das war leider eine der Eigenheiten dieser Art von Fernreisen. Zuvor ließ er aber vorsorglich die kleine Pforte zumauern. Nach und nach geriet die arme Königin in ihrem Turm in Vergessenheit. Eine Magd hatte sie über all die Jahre hinweg mit allem Nötigen versorgt. Es gelangte in einem Korb, der an einem Flaschenzug hing, in das hoch liegende Turmfenster. So vertat die Darbende ihre besten Jahre im Turm, während ihre Gesundheit und Lebensfreude nach und nach versiegten, wie ein vertrocknender Brunnen.

Der König kehrte niemals wieder. Sein Schicksal ereilte ihn im Hl. Land. Der Sohn der Königin aber war nun erwachsen und gedachte, sein Erbe nun, da sein Widersacher nicht mehr lebte, endlich anzutreten. Mit einigen Bewaffneten stürmte er die, nur unzureichend verteidigte, Burg und nahm sie in Besitz. Mit Entsetzen erfuhr er vom Schicksal seiner armen Mutter und befreite sie umgehend. Aber ihre Gesundheit war schon so geschwächt, dass sie binnen kurzer Zeit starb.

„Nun, jetzt sind die Beiden, der König und seine Gemahlin, hier bei uns zu Gast. Wir begrüßen sie herzlich, wie all die anderen Teilnehmer an unserem Fest. Für sie, wie für viel Andere hier, hat sich der Vorhang zum großen Theater der Inkarnationen nun geschlossen, und es wird nun Zeit für den eigentlichen Anlass unseres Festes, die Enthüllung der Säule des Erinnerns. Sie werden sich erinnern an all ihre Rollen in Zeit und Raum, aber vor allem daran, dass hinter all diesen Rollen Ihr wahres Wesen steht, das weder Kostüme, noch Titel und Würden, weder Macht noch Reichtum braucht, das weder Gut noch Böse kennt und niemals stirbt.
Die werten Gäste werden nun gebeten, sich hintereinander anzustellen und Einer nach dem Anderen die Säule zu berühren. Bitte, bewahren Sie Ruhe, schubsen und drängeln Sie nicht und bewahren Sie das Magische Schweigen.“

Und wirklich, in völliger Ruhe, schweigend hintereinander gehend, verließen alle die Zuschauertribünen. Schon näherte sich der Erste der Säule, da erklang lautes, warnendes Rabengekrächze über dem Platz. Alle schauten erstaunt auf, denn keiner konnte sich erklären, was das zu bedeuten hatte. In die Stille hinein erklang V’s. Stimme, laut und klar:

„Wartet noch! Wir sind noch nicht vollständig. Es fehlt noch jemand. Die Rabenfrau ist noch nicht angekommen.“

„Mist!“ M. sitzt an ihrem Laptop und runzelt die Stirn. „Wie soll ich denn jetzt weiter schreiben, wenn V. nichts von sich gibt.“ V’s. Urlaub hatte den Strom der Mitteilungen an der Stelle unterbrochen, an der vom Tod der alten Tuvaschamanin *Viele Worte* gesprochen worden war. Nun war Funkstille. Würde sich überhaupt noch jemand melden? Hatte V. vielleicht die Motivation verloren und sich entschlossen, der Sache ein Ende zu setzen? Es gab keine Möglichkeit, außer zu warten, bis V. sich von sich aus äußerte.

Am Abend ihrer wöchentlichen skype – Konferenz plätschert das Gespräch eher lustlos und uninspiriert dahin. V. wird zu ihrem Schamanen – Seminar befragt, man erzählt einander Träume, die mehr oder weniger waren, bis plötzlich eine Stimme hörbar wird, Vs. Stimme und dennoch nicht ganz die Ihre. Sie klingt ein wenig rauchig und tiefer als Vs. normale Sprechstimme:

„Rufe M.! Rufe M.!
Brauche M., brauche magischen Kasten!
Schaffe Ort, schaffe Ort für Rabenfrau
Schreibe Leben für Rabenfrau,
Rabenfrau will Ort, festen Ort
Und stehen an festem Ort.
Rufe!“
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).

Re: sumari - rabenclan - geschichten

10
Die Verblüffung ist groß, aber auch die Erleichterung, dass V. jetzt spricht, ohne das schwerfällige Brett. V. selbst weiß zwar, dass sie etwas gesagt hat, aber nicht, was das war. Sie erinnert sich an den Klang einer fremden Stimme, die sich ihres Stimmapparates bedient hat. Das allein schon macht sie aufgeregt und unruhig. Die Tatsache aber, dass diese Stimme ihr V. – Bewusstsein beiseite schieben und sich dessen Kontrolle für kurze Zeit entziehen konnte, verunsichert sie doch etwas. Wer weiß, was diese Stimme so alles von sich geben würde?

An diesem Abend spricht V. nicht mehr für Rabenfrau. Das virtuelle Lagerfeuer erlischt bald darauf, und alle Teilnehmer ziehen sich in die Welt ihrer ureigensten Gedanken und inneren Bilder zurück. M. weiß jetzt, dass es an ihr liegt, die Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner weiter zu spinnen. An diesem Punkt angekommen, warten unendliche Möglichkeiten darauf, sich ins noch Unerschaffene mit ungezählten Armen hinein zu spiralen, in Milliarden Prismen aufzuleuchten, und von der Möglichkeit zur Wirklichkeit zu werden.

Die Fünf aber sind darauf angewiesen, in ihrer Stadt, in ihrer Traumrealität zu handeln, ohne Erinnerung im Wachleben, sich der Führung ihres größeren Wesens anvertrauend, denn noch immer ist die Säule des Erinnerns nicht enthüllt. Und deshalb setzt sich M. jetzt erneut an ihr Laptop, denn die Rabenfrau braucht einen Ort.

Es ist schon Nacht, und eigentlich schläft sie um diese Zeit schon. Doch sie spürt die Dringlichkeit von Rabenfraus Wunsch nach einem Ort für sich, und das lässt ihrer Müdigkeit keinen Raum. So genau weiß sie aber nicht, wie beginnen. Also sendet sie einen stillen Ruf aus: „Rabenfrau!, Ich bin hier, und ich werde dir jetzt etwas erzählen, was du vielleicht schon weißt, aber vielleicht auch vergessen hast. Meine Worte sollen dir ein Licht auf deinem Weg sein, zu dem Ort, der dir bestimmt ist. Höre also“:

Einst waren wir ein Stern. Wir leuchteten am Himmel unser Existenz, wir selbst, uns selbst, hingegeben an das unzerstörbare Ich Bin, ohne Anfang, ohne Ende. Dieses Sein wallte auf, drängte danach, sich zu entfalten, zu erfüllen, sich in unendlichen Variationen zu erfahren. Es gebar unzählbare Splitter seiner selbst, Myriaden von Sternen. Diese Sterne sandten Splitter ihrer selbst in unendliche Arten des Seins, so auch in diese, unsere, die wir Welt nennen. Sie bildeten so ungeheuer viele Formen und Gestalten, dass es unmöglich ist, alle zu kennen. Eine davon waren wir Menschen. Wir lebten auf viele, verschiedene Arten, an vielen, verschiedenen Orten, als Mann, als Frau, als Zwitterwesen, als Vater, Mutter, Tochter, Sohn, Weiser und Tor, Arme und Reiche, Mildtätige und Harte. Wie auch immer wir lebten, was auch immer wir taten, immer trugen wir das Zeichen unserer Herkunft auf unseren Stirnen, den Stern der unzerstörbaren Existenz. Wir sind die Sternenkinder.

Manche dieser Sternenkinder taten sich zusammen. Sie kamen immer wieder, trafen und erkannten einander wieder und taten sich erneut zusammen, um freudvoll ihren Beitrag zur Erschaffung ihrer Realität zu leisten. Eines dieser Sternkonstellationen ist der Große Rabe. Zu ihm gehört auch der Klan der Gaukler. Er besteht aus Magiern, Heilern, Barden, Huren, Hexen, Priestern und Priesterinnen, Toren, Weisen, Marketenderinnen, Königen, Hirten, Feen, Kriegern und Narren. Der Klan der Gaukler zieht durch die Länder und Zeiten, er folgt seinem Stern im Sternbild des Raben. Du, Rabenfrau, bist eine von ihnen. Ohne dich sind sie nicht vollständig. Du bist der Schlussstein, der fehlende Stern, das Auge des Großen Raben. Mit deiner Ankunft kann die neue Oktave in der Symphonie unserer Existenz erklingen. Deshalb lass dich bei uns nieder. Wir erwarten dich in der Sumaristadt, an der Säule des Erinnerns. Du wirst uns finden. Halte Ausschau nach den Raben. Sie werden dich leiten.

Die Rabenfrau
Es ist nicht leicht, einen Ort jenseits von Zeit und Raum aufzusuchen, wenn die Koordinaten sich nicht dreidimensional festlegen lassen. Wer schon einmal versucht hat, sich mit jemand Anderem an einem imaginären Ort zu treffen, der weiß das. Dazu kommt noch, dass dieser gedachte Ort nicht für jeden Menschen gleich aussieht. Jeder stattet ihn gemäß seiner eigenen Vorlieben und Gewichtungen individuell aus. Insofern gibt es also nicht *die eine Sumaristadt*, sondern fünf verschiedene, die einander womöglich überhaupt nicht gleichen. Da wird es schon ziemlich schwierig, sich an einem gedachten Ort zu treffen. Wenn wir uns dann noch vor Augen halten, dass auch jeder sein Gegenüber in der Wahrnehmung selbst erschafft, dann wird es schon ein wenig verwirrend.
Trotz all dieser komplizierten Umstände gelang den Fünfen dieses erstaunliche Kunststück dennoch. Es gelang ihnen, in einer Freitag Nacht, nach ihrer wöchentlichen Campfire – skype - konferenz, an der Säule des Erinnerns zusammen zu treffen. Was macht es da schon aus, dass es in Wahrheit fünf Säulen, völlig verschieden in Größe und Aussehen waren, wenn es doch eigentlich das Konzept Säule war, welches bestimmte Vorgänge in ihrem Bewusstsein auslösen sollte.

Immer noch war die Säule nicht enthüllt. Kann man denn mit Bestimmtheit sagen, dass unter dem weißen Tuch überhaupt eine Säule war? Es war eine oder nicht oder etwas völlig Anderes, wie wir seit Schrödingers Katze gelernt haben zu denken. Erst im Augenblick der Enthüllung würde sich die Welle – Teilchen – Möglichkeit dazu entscheiden, ein Etwas zu sein, im besten Fall doch eine Säule. Gehen wir also davon aus, dass unter dem Tuch eine Säule verborgen ist. Das vereinfacht die Sache doch ganz wesentlich.

Nun waren es aber nicht nur die Fünf, die einander an dem, sich vermutlich als Säule entpuppendem, weißem, länglichem Ding, einzufinden hatten, sondern alle, an dieser Geschichte Beteiligten – alle, die schon vor kurzem an dem aufwendigen Fest der Enthüllung Teil gehabt, den eigentlichen Höhepunkt, die nämliche Enthüllung aber nicht miterleben durften, weil eine gewisse Rabenfrau, die zudem niemand kannte, noch nicht eingetroffen war. Nun musste man alle erneut zusammen rufen, und das war nicht einfach, weil die Schöpfer dieser Stadt es verabsäumt hatten, ein ordentliches Mobilfunknetz einzurichten. Das hielten sie für unelegant. Sie bevorzugten Telepathie. Das war immer wieder eine Quelle von Missverständnissen. Konzentrierte sich die Eine auf eine Rose, kam das bei der anderen als Hose an, bei der nächsten als rosa Lolli und am Ende stand ein unverständliches Kuddelmuddel, wie beim *Stille Post – Spiel* Sie bedienten sich deshalb lieber der, zahlreich vorhandenen, Raben. Brieftauben hätten es sicher auch und besser getan, aber Raben haben einen solch mystischen touch, und die fünf Damen haben einen ausgesprochenen Hang zur Mystik.
Man verzichtete diesmal auf Buffet und Festlichkeit, was zwar von vielen mit einigem Murren quittiert wurde, dennoch fanden sich alle ein. Man wollte jetzt doch endlich wissen, was es mit dieser ominösen Säule auf sich hatte.

Das also ist die Geschichte: in die Träume der fünf Frauen klang etwas hinein, wie rhythmisches Trommelschlagen, stetig und hypnotisch. Es hätte einschläfernd gewirkt, würden die Frauen nicht ohnehin geschlafen haben. So aber wirkte es irritierend.

G., die sich gerade auf einer außerkörperlichen Reise durch die Straßen der Sumaristadt befunden hatte, fiel in Marschrhythmus und marschierte fröhlich auf den Platz der Säule zu.

Auf A. wirkte der Rhythmus wie Pulsschläge, die ihren Traumkörper im Takt der Schläge durch eine Art Aderngeflecht drückten. Sie landete am Platz der Säule, wo G. bereits wartete.

E. vergaß im Moment des Erwachens sofort ihren Traum. Der Trommelrhythmus aber blieb, und das war merkwürdig. Äußerst merkwürdig sogar. Deshalb versuchte sie, der Quelle des Geräusches auf den Grund zu gehen. Diese lag….. auf dem Platz der Säule!

M. war gerade wieder in einer ihrer gewohnten Traumszenen eingetaucht, ein Kindergarten, der von ihr betreut werden sollte. Genervt wurde sie sich des lauten Trommelns gewahr, das jetzt eben, in der Ruhezeit, völlig unangebracht, von überall her ertönte. Aber zum Kuckuck, die Kleinen schliefen, die Älteren blätterten in Bilderbüchern oder hörten Geschichten aus Kopfhörern. Niemand trommelte. Unerhört! Eine Rücksichtslosigkeit, gerade jetzt die Mittagsruhe derart zu stören! Denen würde sie aber den Marsch blasen!
M. verließ den Raum und betrat….. den Platz der Säule.

V., die gerade irgend etwas von einer Esche träumte, in deren Wurzelgeflecht sie einen Stein vergraben hatte, fiel vor Schreck aus den Zweigen, in denen sie gesessen hatte, als unvermittelt lautes Trommeln einsetzte. Aber ihre Angst, sich die Knochen zu brechen, war völlig unbegründet, denn ein Windstoß wehte sie direkt….. auf den Platz der Säule.

Sie wurden schon erwartet. Die minoische Priesterin mit dem exklusiven Dekollete, Witty, Fee und Urs, Arturius und Astrid, Ibucock, das Königspaar, alle waren sie versammelt. Selbst der König war diesmal zu Fuß gekommen. Er hatte, im Laufe seiner Anwesenheit, Paläste erschaffen, einer noch prächtiger als der Andere. Es war ihm aber klar geworden, dass dieser Prunk keinen hier zu beeindrucken schien. Alle freuten sich an seiner Freude, doch niemand schenkte seiner Königswürde gebührende Aufmerksamkeit. Respekt wurde ihm gezollt, wie auch allen Anderen hier, weil sie waren, was sie eben waren. Da verlor er die Freude am Prunk, auch an Sänften. Und er gewann Freude an Fußwegen. Das hätte er nie vermutet.

Jemand aber saß am Fuße der verhüllten Säule. Eine Frau, eine uralte Frau. Sie trug Rabenfedern im schlohweißen Haar und einen Umhang aus Rentierfell. Um den Hals hing ihr ein Lederband mit diversen Tierzähnen, Knochen, Krallen und Federn. Sie schien der Anwesenheit all der Menschen keine Aufmerksamkeit zu zollen. Sie trommelte auf einer Schamanentrommel. Es war ihr Trommeln, das die Menschen auf den Platz gerufen hatte. Vs. Miene spiegelte Erkennen und Erstaunen gleichermaßen. Sie flüsterte: „Rabenfrau, bist du es?“ Doch die alte Schamanin schüttelte nur verneinend den Kopf und schlug weiter ihre Trommel. Doch mit einem Mal hielt sie inne, legte die Trommel zur Seite und blickte den Anwesenden, einem nach dem Anderen, intensiv in die Augen. Sie machte Ibucock ein Zeichen, und der sagte:

„Nun können wir die Säule des Erinnerns enthüllen.“

„Aber die Rabenfrau, sie ist doch noch nicht gekommen“, sagte V. „Ich dachte, wir müssen warten, bis sie hier ist.“

Ibucock erwiderte: „Die Rabenfrau ist bereits eingetroffen. Die Säule wird enthüllt.

Die Fünf sahen einander fragend an. Keine Spur von einer Rabenfrau. Sollte der alte Ibucock schon ein wenig verwirrt sein?

Auf ein weiters Zeichen der Schamanin hieß Ibucock die Anwesenden, einen Kreis um die Säule zu bilden und einander an den Händen zu fassen. Die, über der Säule kreisenden, Raben ließen sich, wie auf ein vereinbartes Zeichen, alle auf einmal im Kreis der Menschen nieder. Sie saßen ganz ruhig da, wie versteinerte Abbilder ihrer selbst. Stille breitete sich auch auf dem ganzen Platz aus. Nichts bewegte sich. Sogar der leichte Wind, der die Gewänder gebauscht und hier und da Bänder und Haare hatte flattern lassen, legte sich mit einem Mal. Es war, als würde die Zeit anhalten und alles im Umkreis zu Gallert erstarren. Die einzige Bewegung kam von Ibucock. Mit einem Ruck zog er die weiße Verhüllung von der Säule ab. Eine summende Vibration wie von einem riesigen Generator erfasste in genau dem Augenblick den Platz und alles, was sich auf ihm befand. Um die Kugel am oberen Ende der Säule bildete sich eine golden leuchtende Aura, die, sich rasch ausbreitend, bald den Kreis der Menschen umschloss. Das war der Augenblick. Der Augenblick des Erinnerns. Er setzte ein, für alle gleichzeitig, und für alle in überwältigender Plötzlichkeit und nie erlebter Klarheit.

Sie sahen einander an und erkannten sich selbst in jedem Anderen. In einem Sekundenbruchteil wussten sie um all ihre Gestalten an allen Orten und zu allen Zeiten. Alle Leben und alle Tode, die sie einst gestorben waren und manche von ihnen noch sterben würden, wurden ihnen in diesem Augenblick offenbar. Das Gewebe des Lebens lag offen vor ihren Augen, jeder Faden im bunten Auf und Ab wurde erkennbar als einmalig und doch verwoben zu einem gemeinsamen Gespinst ohne Anfang und Ende. Und die Erkenntnis wurde zu jubelnder Freude. Lange vergessene Freundschaften wurden erneuert, alte Lieben wieder aufgefrischt, Erinnerungen geteilt, Anektoten lachend wieder erzählt, Feindschaften begraben, Schuld vergeben. Das Wichtigste aber war, dass der trennende Schleier zwischen dem so genannten wachen Leben und dem Traum zerriss. Die trennenden Barrieren, die das Diesseits und die jenseitigen Bereiche scheinbar teilten, würden von nun an nur dünn sein und Wanderern zwischen den Welten Durchlass gewähren.

In das allgemeine, aufgeregte Stimmengewirr ließ sich nun eine volle, tiefe und weit reichende Stimme hören. Ohne zu schreien, erfüllte sie den ganzen Platz. Es war eine weibliche Stimme. Sie sagte:

„Die Rabenfrau ist hier. Wir wollen sie in unserer Mitte begrüßen. Sie ist *Die Stimme*, und sie wird von nun an für alle Sternenkinder sprechen, die verkörperten und die nicht verkörperten. Sie wird den Klan der Gaukler in die neue Zeit des Wandels führen.“

Alle blicke wandten sich der Quelle dieser stimme zu. Es war V., die gesprochen hatte. Sie war die Rabenfrau. Sie war es immer gewesen. Und jetzt erinnerte sie sich.
Wunder sind nicht die ausnahme von der regel, sondern die natürliche, wahre ordnung der dinge (Bashar).